Freiheit nur in kleinen Schritten: Wie schädlich wird die Dauer-Quarantäne?

Der Faktencheck zur Sendung vom 20.04.2020

Nur langsam bekommen die Bürger erste Freiheiten zurück. Wird der Schaden für die Wirtschaft, die Belastung für Familien zu hoch? Geschäfte öffnen, aber Kitas und Schulen bleiben weiter zu – ist das alles logisch? Experten und Politiker beantworten die Fragen der Zuschauer.

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Corona-Tests für Bundesliga - wie hoch wäre der Anteil?

Karl Lauterbach spricht sich gegen eine verfrühte Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Fußball-Bundesliga aus. Es würden 20.000 Corona-Tests benötigt, um den Spielbetrieb sicher zu stellen. Das wäre gemessen an allen verfügbaren Tests ein Anteil im Prozentbereich, der beispielsweise Beschäftigten im Pflegebereich fehlen würde. Die DFL hält dagegen und sagt, der für die Spiele benötigte Anteil an verfügbaren Testkapazitäten läge im Promillebereich.

Unstrittig sind die Schätzungen von rund 20.000 Tests, die bis Saisonende benötigt würden, um Spieler und Betreuer auf eine Covid-19-Infektion hin zu untersuchen. Alle müssten vor und nach den Spielen in vorgegeben Zeitabständen getestet werden. Welchen Anteil diese 20.000 Tests im Vergleich zu allen Tests ausmachen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So ist bis heute unklar, wie viele Wochen die Bundesliga benötigen wird, um die noch ausstehenden neun Spieltage zu absolvieren. Der Zeitraum ist für die Berechnung des Anteils aber mitentscheidend. Hier nur zwei Szenarien:

- Neun Spieltage in neun Wochen: Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden in der Woche vom 06.04.20 und 12.04.20 360.000 Personen auf eine Corona-Infektion hin getestet. Angenommen diese Größenordnung würde auch für die kommenden Wochen gelten, würden innerhalb von neun Wochen rund 3,24 Millionen Menschen auf Corona getestet. Der Anteil der benötigten 20.000 Tests für die Bundesliga läge dann bei 0,6 Prozent bzw. 6 Promille.

- Neun Spieltage in fünf Wochen: In Fünf Wochen läge die Zahl der getesteten Personen - bei der zugrunde gelegten Annahme von 360.000 Tests pro Woche – bei 1,8 Millionen. Dann würde der Anteil der Tests für die Bundesliga auf 1,1 Prozent steigen.

Das Robert Koch-Instituts verweist allerdings darauf, dass die Zahl der getesteten Personen nicht mit der Zahl der Testkapazitäten gleichzusetzen ist. Die Testkapazitäten sind demnach deutlich höher. Laut Robert Koch-Institut verfügten in der 15. Kalenderwoche über 190 Labore Testkapazitäten von rund 730.000 pro Woche. Die DFL bezieht sich in ihrer Stellungnahme an die „hartaberfair“ – Redaktion explizit auf die Testkapazitäten. Das erklärt, warum die DFL von einem Anteil unter 4 Promille spricht, der für die Durchführung der restlichen Bundesligaspiele nötig wäre: Würde die Testkapazität von 730.000 pro Woche, die das Robert Koch-Institut angibt, voll ausgeschöpft, würden in den kommenden neun Wochen 6,5 Millionen Menschen getestet. Dann läge der Anteil der Tests, den die Bundesliga benötigt, bei 0,3 Prozent bzw. 3 Promille. Bei einem Szenario von neun Spieltagen in fünf Wochen würde der Anteil auf 0,54 Prozent oder 5,4 Promille steigen. Der Anteil der benötigten Tests für Fußballprofis liegt also eher im Promille- als im Prozentbereich.

Das Argument, es würden Tests auf Kosten von Mitarbeitern - etwa im Pflegebereich oder in Krankenhäusern - vergeudet, kann auch der Berufsverband “Akkreditierte Labore in der Medizin“ (ALM) nicht nachvollziehen. Gegenüber der Zeitung „Die Welt“ sagte der ALM-Vorsitzende Evangelos Kotsopoulos: “Selbst, wenn die 36 Vereine ihr Personal alle zwei Tage durchtesten würden mit jeweils 40, 50 Personen, liegen wir unter einem halben Prozent der Testkapazitäten.“ Sein Verband hält das für “vollkommen unproblematisch“.

Harvard-Studie zum Verlauf der Corona-Pandemie

Karl Lauterbach sagt, laut einer Harvard-Studie müssen wir uns darauf einstellen, dass es bis zum Jahr 2022 dauern kann, bis wieder Normalität einkehrt.

Tatsächlich wurde in der vergangenen Woche in der Fachzeitschrift „Science“ eine Studie von Forschern der Harvard-University veröffentlicht, die in einer Simulation den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie untersucht haben. Die Wissenschaftler (Stephan M. Kissler, Marc Lipsitch u.a.) kommen zu dem Schluss, dass es bis zum Jahr 2022 dauern könnte, ehe die Regeln zum “social distancing“ aufgehoben werden können. Nur so könne eine Überlastung der Gesundheitssysteme verhindert werden. Die Ergebnisse ihrer Simulation beruhen allerdings auf der Annahme, dass sich die Entwicklung eines Impfstoffes noch länger hinziehen wird. “Behandlungen oder Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 würden die Dauer und Intensität der sozialen Distanzierung verringern, die erforderlich ist, um die Kontrolle über die Epidemie aufrechtzuerhalten“, heißt es in der Studie. Zu lange anhaltende Phasen der Kontakteinschränkungen sehen aber auch die Harvard-Wissenschaftler skeptisch, da sich hierdurch keine nötige Herdenimmunität aufbauen kann. Eine Möglichkeit könnte unter wissenschaftlicher Beobachtung ein Wechsel von Phasen der Beschränkungen und Lockerungen sein. Die Forscher räumen ein, dass es weitere unbekannte Faktoren gibt. So sei nach wie vor nicht geklärt, ob eine Infektion eine Immunität nach sich zieht und wie lange diese anhalten würde. Um stichhaltigere Aussagen treffen zu können, seien eine Reihe weiterer Studien zum SARS-CoV-2-Virus nötig.

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Stand: 21.04.2020, 10:51 Uhr