Die Corona-Krise – Wo stehen wir, was kommt noch?

Der Faktencheck zur Sendung vom 16.03.2020

Immer stärker hat das Coronavirus Deutschland im Griff. Wo stehen wir bei den Abwehrmaßnahmen? Schützen wir uns und unsere Angehörigen genug? Wie sehr sind Wirtschaft und Wohlstand bedroht? Mit diesen Fragen beschäftigt sich in der ARD ein zweistündiges "hartaberfair-extra". Im Studio beantworten Politiker und Experten die Fragen der Zuschauer.

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Anja Kohl über Maßnahmen der Bundesregierung

Anja Kohl hält das Signal der Bundesregierung, die Folgen der Corona-Krise für Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher abzufedern, für richtig und wichtig. Deutschland sei für diese Maßnahmen in einer hervorragenden Ausgangsposition, da die Schuldenstände mit 60 Prozent des BIP im Vergleich zu anderen Staaten extrem niedrig seien.

“Die Bewertung, dass die Signale und Maßnahmen der Bundesregierung richtig und wichtig sind, ist absolut zutreffend“, stimmt Prof. Michael Grömling zu. Der Volkswirt leitet die Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Seiner Ansicht nach gibt es keine ernsthafte Alternative zu den gegenwärtig vorgenommenen Stabilisierungsmaßnahmen. “Das Gesundheitssystem muss jetzt funktionieren. Die Kurzarbeit stabilisiert Beschäftigung, Einkommen und Konsum. Die Maßnahmen zur Liquiditätssicherung sichern das Überleben von Unternehmen und damit auch die Erholungsschancen nach der unmittelbaren Krise. Diese Maßnahmen schaffen auch Vertrauen und verhindern sich selbst verstärkende Abwärtsspiralen“, sagt der Experte. Für ihn ist die aktuelle Situation der echte große Test für Stabilisierungspolitik jenseits ökonomischer Denkschulen. Die Maßnahmen müssten zeitnah, zielgerecht und zeitbegrenzt sein, so Grömling. Dies bestimme letztlich auch die finanzpolitische Tragfähigkeit. “Zeitnah, weil Abwarten am Ende des Tages viel mehr kosten kann. Zielgerichtet, weil es ums Überleben von Unternehmen und Arbeitsplätzen und um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems geht. Zeitbegrenzt, weil jetzt in der Krise gehandelt werden muss. Die fiskalpolitischen Lasten hängen aber auch davon ab, nach der Krise wieder in den Normalmodus zurückzukehren“, so der Wissenschaftler.

Grömling stimmt mit Anja Kohl auch darin überein, dass Deutschland mit Blick auf die Fiskalpolitik eine im internationalen Vergleich komfortable Ausgangsposition hat. “Der Schuldenberg liegt bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und in den letzten Jahren wurden Überschüsse im laufenden Haushalt realisiert. Diese finanzpolitische Ausgangsposition haben viele Länder in Europa und auch die USA nicht“, stellt Grömling klar. Dennoch hält er die Zeit für finanzpolitische Grundsatzdiskussionen über die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte für noch nicht gekommen. Bei aller Notwendigkeit sei hierfür noch Zeit, so Grömling. Die Bewertung an den Finanzmärkten nehme auch in den Blick, wie man sich nach der Krise wieder aufstellt, sagt der Experte. “Deutschland hat derzeit das Glück, dass in den letzten Jahren erfolgreich konsolidiert wurde. Denn dies schafft jetzt auch entsprechende fiskalpolitische Spielräume in der Krise“, sagt Grömling.

Rechtsanspruch auf Corona-Test?

Ungeklärt blieb die Frage, ob es einen allgemeinen Rechtsanspruch auf einen Corona-Test gibt.

Wir haben bei Prof. Martin Stellpflug nachgefragt. Der Rechtswissenschaftler ist Vorsitzender des Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht beim Deutschen Anwaltverein. Stellpflug verweist auf das Sozialgesetzbuch, wonach Versicherte der GKV Anspruch auf eine Kassenleistung haben, sofern “sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.“ (§27 SGB V). Ein Rechtsanspruch auf einen Corona-Test besteht nach Ansicht des Medizinrechtlers also nur dann, „wenn nach den Umständen des Einzelfalles, der von ärztlicher Seite beurteilt werden muss, eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegen könnte und die Untersuchung zur Einleitung ihrer Behandlung erforderlich ist.“ Es bedürfe also einer medizinischen Indikation zur Diagnostik. Maßgeblich bei der Beurteilung von Symptomatiken oder der Notwendigkeit einer Behandlung dürften nach Ansicht des Anwalts die Kriterien des Robert-Koch-Instituts sein: Hielt sich eine Person in einem Risikogebiet auf? Hatte sie Kontakt zu Infizierten oder anderen Risikopersonen? Dies aber müssten Mediziner - und zwar der behandelnde Arzt - jeweils im Einzelfall entscheiden, so Stellpflug. Sein Fazit: “Im Ergebnis besteht kein Anspruch auf Corona-Testung, solange hierzu keine medizinische Indikation besteht, ein Corona-Test ist keine ‘Wunschleistung‘“.

Liegen Symptome vor, die möglicherweise durch das Corona-Virus hervorgerufen wurden, raten Virologen davon ab, persönlich zum Hausarzt zu gehen. Vielmehr soll das weitere Vorgehen telefonisch mit dem Arzt abgeklärt werden. Weitere Informationen zu Corona erhält man bei den zuständigen Stellen der Bundesländer und Städte – zum Beispiel bei den Gesundheitsämtern. Die Verbraucherzentrale hat eine Liste von zentralen Anlaufstellen und Bürgertelefonen in den verschiedenen Bundesländern erstellt. Diese finden Sie hier:

Anja Kohl über die Gefahr einer globalen Wirtschaftskrise

Anja Kohl sieht die Gefahr einer sich anbahnenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Wenn nach europäischen Staaten mit den USA nun auch die größte Volkswirtschaft der Welt „in eine Art Shutdown geht“, komme eine Volkswirtschaft, die auf Konsum basiert, fast zum Erliegen. Dies bekomme dann noch einmal eine andere Dimension. Wie groß ist die Gefahr einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise?

“Die meisten Ökonomen wurden in den letzten Wochen permanent überrollt in der Einschätzung der ökonomischen Auswirkungen der Corona-Epidemie“, sagt Prof. Michael Grömling. “Zunächst standen der Nachfrageeinbruch in China und ausbleibende Zulieferungen aus Asien im Vordergrund. Dann verschob sich der Fokus auf Italien, auf die großen Länder in Europa und mittlerweile auch auf die USA.“ Es zeige sich jetzt aber Tag für Tag, dass es nicht mehr nur die Auslandsgeschäfte einschließlich der Zulieferungen in den internationalen Wertschöpfungsketten sind, die sich wie Mehltau auf das Wirtschaftsleben legen, so Grömling. Vielmehr kämen nun auch die Binnenmärkte zum Erliegen. “Die auch im Inland weit gespannten Verflechtungen kommen durch die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten unter große Anspannung“, so der Volkswirt. Das sei eine völlig andere Situation, als die bislang bekannten Angebots- und Nachfrageschocks. Grömling ist sicher: “Dies wird im Jahr 2020 einen Einbruch der Weltwirtschaft auslösen.“ Über das Ausmaß könne derzeit allerdings nur spekuliert werden. “Ob sich dies aber in eine ausgeprägte Krise auswachsen wird, hängt jetzt entscheidend von den Verhaltensweisen ab. Ein eindeutiges Krisensymptom wäre ein starker und anhaltender Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge von Unternehmenszusammenbrüchen“, erklärt Grömling. Man könnte frühere Strukturkrisen als Anschauungsbeispiel heranziehen, bei denen sich durch vielfältige Inflexibilitäten konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu verhärteter struktureller Langzeitarbeitslosigkeit ausgewachsen habe. “Diese Fehler der Vergangenheit gilt es zu vermeiden. Hier sind nach der unmittelbaren Krise die Tarifpartner und die Entscheidungen über die Standortbedingungen relevant.“ Die Weltwirtschaft wurde nach Ansicht Grömlings in den letzten Jahren vor allem durch den Protektionismus geschwächt. “Hier liegen die große Chance und Verantwortung, die Weichen für eine schnelle Erholung nach der unmittelbaren Corona-Krise neu zu stellen. Das gegenwärtige weltpolitische Klima schürt jedoch eher die Gefahr, dass sich die Krise unnötig verstärkt“, befürchtet der Wirtschaftsexperte.

Kurzarbeitergeld

Bernd Niemeier sagt, beim Kurzarbeitergeld erhalten Arbeitnehmer 60 Prozent ihres normalen Netto-Gehalts. Habe der Arbeitnehmer ein Kind, seien es sogar 67 Prozent.

Geraten Unternehmen durch eine Wirtschaftskrise oder ein unvorhersehbares Ereignis, wie die aktuelle Corona-Pandemie, in schweres Fahrwasser, sind sie oft gezwungen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Dann können Unternehmen Kurzarbeitergeld beantragen. Bezahlt wird das Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit. Es soll helfen, die Gehaltseinbußen, die die Mitarbeiter durch Kurzarbeit erleiden, auszugleichen. Die Höhe des Kurzarbeitergeldes wird allerdings nicht auf Basis des üblichen Nettolohns des Mitarbeiters berechnet. Ausschlaggebend für die Höhe ist die so genannte Nettoentgeltdifferenz. Die Berechnung ist unter anderem von der Steuerklasse und der Frage abhängig, ob der Arbeitnehmer Kinder hat. Richtig ist, dass der Zuschuss durch die Bundesagentur bei 67 Prozent dieser Nettoentgeltdifferenz für Arbeitnehmer mit mindestens einem Kind liegt. Alle anderen werden mit 60 Prozent bezuschusst.

Im Internet gibt es zahlreiche Beispiele für die Berechnung der Höhe des Kurzarbeitergeldes. Exemplarisch ein vereinfachtes Beispiel vom Verlag für Rechtsjournalismus: Ein Arbeitnehmer mit einem Kind verdient normalerweise 1700 Euro netto. Durch Kurzarbeit verringert sich sein Nettogehalt auf 1000 Euro. Die Differenz beträgt also 700 Euro. Diese 700 Euro sind ausschlaggebend für die Höhe des Kurzarbeitergeldes, das die Bundesagentur zuschießt. Da der Arbeitnehmer in diesem Beispiel ein Kind hat, beträgt der Zuschuss durch die Arbeitsagentur 67 Prozent der Nettoentgeltdifferenz von 700 Euro - also 469 Euro. Zusammen mit dem Nettolohn verdient der Arbeitnehmer während der Kurzarbeit 1.469 Euro. Der Arbeitnehmer aus diesem Beispiel erhält unter dem Strich sogar mehr als 67 Prozent seines üblichen Netto-Gehalts.

Peter Altmaier über Corona-Tote in Deutschland und Europa

Peter Altmaier sagt, die Zahl der Todesfälle – bezogen auf 1000 Infizierte – liege in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch mit am niedrigsten.

Stand heute Vormittag ist das richtig. Tatsächlich gibt es viele Länder in Europa, die deutlich weniger Infizierte Personen als Deutschland melden, aber schon mehr Tote zu beklagen haben. Nach aktuellen Daten der Johns-Hopkins-Universität gibt es in Deutschland derzeit rund 7.200 Infizierte. 17 Menschen sind bislang an den Folgen der Corona-Infektion gestorben. Zum Vergleich: Spanien meldet aktuell knapp 10.000 Infektionen aber schon 342 Todesfälle. Auch in Frankreich ist die Zahl der Corona-Opfer mit 148 bei rund 6.600 Infizierten deutlich höher als in Deutschland. Selbst in den Niederlanden, in der rund fünfmal weniger Menschen als hierzulande infiziert sind, liegt die Zahl der Toten bereits bei 24. Das mit Abstand am stärksten betroffene Land in Europa ist nach wie vor Italien. Laut Johns-Hopkins-Universität haben sich dort bereits rund 28.000 Menschen infiziert. Über 2.150 Menschen sind verstorben.

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Stand: 17.03.2020, 07:51 Uhr