Fluchtziel Europa: Was haben wir aus 2015 eigentlich gelernt?

Der Faktencheck zur Sendung vom 09.03.2020

Wieder Not an Europas Grenzen. Aber was machen die EU und Deutschland seit der Flüchtlingskrise besser? Reicht es, Grenzen zu schützen, egal, wie grausam das dann aussieht? Und so bricht erneut der Streit los: Flüchtende abweisen oder aufnehmen?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Florian Schroeder über Flüchtlinge, Sprachkurse und Jobs

Florian Schroeder findet, dass seit 2015 vieles an Integrationsarbeit geleistet worden sei. So hätten 85 Prozent der Geflüchteten einen Sprachkurs absolviert, der von einem Großteil auch abgeschlossen worden sei. Darüber hinaus stünde jeder zweite in Lohn und Brot, viele auch als Facharbeiter und in höher qualifizierten Jobs.

Florian Schroeder bezieht sich auf aktuelle Berichte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie des Sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Gemeinsam erheben sie seit 2016 Daten aus Befragungen von Geflüchteten. Tatsächlich fanden die Forscher heraus, dass schon im Jahr 2018 85 Prozent der Geflüchteten an einem Sprachkurs teilgenommen hatten oder noch teilnahmen. Fast zwei Drittel schlossen ihn auch ab. Auch Schroeders Zahlen zur Integration in den Arbeitsmarkt sind richtig. 2018 ging die Hälfte der Geflüchteten, die seit 2013 nach Deutschland gekommen sind, einer Arbeit nach, so das IAB. Nach Ansicht der Arbeitsmarktforscher gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt sogar schneller als dies in früheren Jahren der Fall war. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Geflüchteten, die einem Job nachgehen, arbeiten als Fachkraft. Insgesamt fünf Prozent üben „komplexe und hochkomplexe Spezialistentätigkeiten“ aus. 44 Prozent arbeiten als Helfer.

Kathrin Göring-Eckardt über Umfragen zu Flüchtlingen

Kathrin Göring-Eckardt sagt, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung spreche sich dafür aus, Flüchtlinge, die aktuell an der griechisch-türkischen Grenze ausharren, aufzunehmen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in der griechisch-türkischen Grenzregion gibt es derzeit einige Umfragen zum Umgang mit den Schutzsuchenden. So deutlich, wie Kathrin Göring-Eckart sagt, fallen die Ergebnisse allerdings nicht aus.

Im ARD-Deutschlandtrend sprechen sich 57 Prozent dafür aus, dass die Flüchtlinge die Grenze zu Griechenland überqueren dürfen, um anschließend auf die EU-Staaten verteilt zu werden. 41 Prozent sind eher dagegen. 48 Prozent sind der Auffassung, Staaten wie Deutschland und Frankreich sollten Flüchtlinge aufnehmen, auch wenn sich andere EU-Staaten dagegen aussprechen. 49 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab. Betrachtet man bei dieser Frage die Parteianhängerschaft, zeigt sich bei der Unionsanhängern ein eher gespaltenes Bild: 49 Prozent sprechen sich für die Aufnahme durch Deutschland und Frankreich aus, 46 Prozent sind dagegen.

Eindeutiger sind die unterschiedlichen Einstellungen der Unionsanhänger in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen. 63 Prozent der Wähler von CDU und CSU glauben, Deutschland könne es verkraften, wenn wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das sind sogar mehr Befürworter als unter SPD-Anhängern. Insgesamt glauben 57 Prozent der Befragten, Deutschland sei in der Lage wieder mehr Flüchtlinge aufzunehmen. 38 Prozent sehen das anders.

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv zeigt ebenfalls ein gespaltenes Bild: Während sich 48 Prozent der Deutschen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen von der griechisch-türkischen Grenze aussprechen, halten dies 47 Prozent aus humanitäre Gründen für richtig.

Ein etwas anderes Bild ergibt sich aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Fast 51 Prozent sprechen sich dagegen aus, dass unbegleitete Kinder aus den griechischen Lagern nach Deutschland geholt werden. Nur knapp 39 Prozent finden das richtig. Eindeutiger als etwa beim Deutschlandtrend ist bei dieser Umfrage die Haltung der Unionswähler. Laut Civey lehnen es ganze 71,2 Prozent der Unionswähler ab, minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. Größer ist die Ablehnung nur unter FDP-Anhängern (75,3 Prozent) und AfD-Wählern (95,6 Prozent).

Florian Schroeder zur Pressekonferenz von Friedrich Merz

Florian Schroeder glaubt nicht, dass die AfD halbiert werden kann, indem man sie kopiert. Genau dies aber habe Friedrich Merz auf der Pressekonferenz zu seiner Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz getan. Auf die Frage, ob die Clan-Kriminalität schuld am Erstarken des Rechtsextremismus sei und ob er ausschließlich die Clan-Kriminalität bekämpfen wolle, habe Merz mit “Ja“ geantwortet.

Dass Merz “ausschließlich“ Clan-Kriminalität bekämpfen will, hat er so nicht gesagt. Dennoch gab es nach der Pressekonferenz, auf der Friedrich Merz den Journalisten seine Kandidatur als Parteivorsitzender der CDU erläuterte, Wirbel um eine Antwort von Merz auf eine Journalistenfrage. Zu Beginn der PK sagte Merz, in diesem Land sei das Problem des Rechtsradikalismus über Jahre massiv unterschätzt worden. Es müssten gleichzeitig aber auch rechtsfreie Räume geschlossen werden, so Merz. “Es gibt zu viele Stadtteile, Brennpunkte in diesem Land, in denen nach wie vor der Rechtsstaat herausgefordert wird, außer Kraft gesetzt wird. Und das muss sich ändern.“ Diese Aussage war Anlass für einen Journalisten am Ende der PK nachzufragen, ob für Merz die Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus eine stärkere Thematisierung von Clan-Kriminalität und Grenzkontrollen sei. Merz hierzu: “Die Antwort ist Ja!“

Kritiker warfen Merz daraufhin vor, die Ursachen für Rechtsradikalismus zu vereinfachen, indem er sie auf Clan-Kriminalität und Migration zurückführe. Dies sei Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen und AfD-Anhängern. Auf Twitter machten viele ihrem Unmut Luft. Matthias Hauer, CDU-Bundestagsabgeordneter schrieb: “Damit will Merz also die AfD halbieren? Wird so nicht klappen.“ Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken zu Merz: “Genau mit so einem Gerede hat Seehofer zum Aufstieg der AfD beigetragen und ist dann mit der CSU – zu recht – voll abgestürzt.“

Gegenüber der dpa wies ein Sprecher von Merz die Kritik zurück: “Es handelt sich hierbei um eine unzulässige Verkürzung einer einstündigen PK, in der er sich sehr klar und differenziert zu diesem Thema geäußert hat.“ Es sei klar, dass die Bekämpfung der Clan-Strukturen dazu gehöre, aber natürlich nicht das einzige Mittel sei, so Merz´ Sprecher. Merz selbst stellte am gleichen Tag in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen klar, dass er keine Rechtsverschiebung der Partei wolle.

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Stand: 10.03.2020, 10:07 Uhr