Zwischen Hysterie und begründeter Angst: Wie gefährlich ist das Coronavirus?

Der Faktencheck zur Sendung vom 02.03.2020

Die Zahl der Infektionen steigt. Ist unser Gesundheitssystem stark genug? Wie groß ist die Gefahr im Alltagsleben? Was muss jetzt passieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein zweistündiges "hartaberfair-extra". Im Studio beantworten Politiker und Experten die Fragen der Zuschauer. Zu Beginn des Extras berichten Reporter aus dem Land: Wie ist die Situation in den besonders betroffenen Ortschaften? Wie sind Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken auf eine mögliche Epidemie vorbereitet? Wie reagieren die Menschen?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Borwin Bandelow über die Sterberate bei Corona

Für Borwin Bandelow sind die unterschiedlichen Aussagen über das erhöhte Sterberisiko durch das Corona-Virus im Vergleich zu einem Grippe-Virus verwirrend. Wie hoch im Vergleich zu einer Grippe ist das Sterberisiko einer Corona-Infektion tatsächlich?

“Die Verwirrung kommt durch die Zahlen aus China“, sagt Prof. Ulf Dittmer, Leiter der Virologie an der Uniklinik Essen. In Wuhan liege die Sterberate bei ca. 1,5 Prozent und damit tatsächlich fast zehnmal höher, als bei vielen Influenzaviren, so Dittmer. Er schränkt jedoch ein: “Das hängt aber offensichtlich mit einer schwachen Sozialstruktur in der Stadt zusammen, die Vorerkrankungen fördert.“ In besser entwickelten Städten, wie Shanghai oder Peking, sei die Sterberate deutlich geringer und liege bei Werten, wie man sie auch bei Influenza findet, so der Virologe. Diesen Standard hätten wir in Deutschland, wo es bei rund 150 Infektionen glücklicherweise noch keinen Todesfall gegeben habe, mit Sicherheit auch, sagt der Experte.

Für Prof. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Molekulare Virologie der Uni Münster, ist die hohe Dunkelziffer von Erkrankungen mit nur schwachen Symptomen, die nicht registriert werden, ein weiteres Problem einer genauen Bestimmung. “Dies gilt sowohl für die Influenza als auch für das neue Coronavirus, wobei bei letzterem die derzeit generell noch vorläufige Datenlage hinzukommt.“ Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen gehe man bei Infektionen mit dem neuen Coronavirus derzeit von einer Mortalitätsrate von ca. 0,3 – 0,7 Prozent aus, während bei den bestätigten Influenzafällen in dieser Saison in Deutschland die Mortalität bei ca. 0,2 – 0,3 Prozent liege, so der Virologe. “Dies erlaubt die vorläufige Schätzung, dass das Sterberisiko bei Corona-Infizierten ungefähr in der Größenordnung einer schweren Influenza-Epidemie liegt“, sagt Ludwig.

Dass die aktuellen Daten noch keine abschließenden Erkenntnisse über das tatsächliche Sterberisiko zulassen, sagte auch vor wenigen Tagen der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler. Zwar sei die aktuelle Sterberate 5 bis 10-mal höher als bei einer Grippe, da es aber noch nicht so viele Zahlen gebe, änderten sich diese Raten kontinuierlich, so Wieler.

Alexander Kekulé über Grippeimpfung

Alexander Kekulé hat sich nicht gegen die Grippe impfen lassen, weil er nach drei Grippe-Erkrankungen gegen die drei zirkulierenden Influenza-Virenstämme sehr wahrscheinlich immun sei. Gilt dies auch für neue Influenza-Virenstämme?

Prof. Stephan Ludwig ist es wichtig, dem Eindruck entgegen zu wirken, man sei nach überstandenen Grippe-Erkrankungen, die durch bereits existierende Influenza-Viren ausgelöst wurden, auch gegen neuauftretende Viren-Stämme immun. “Die Wandlungsfähigkeit von saisonalen Grippeviren, bis hin zum Auftreten von vollkommen neuen pandemischen Erregern, gegen die man gar nicht geschützt sein kann, ist ja gerade die große Problematik“, sagt der Virologe. Davon auszugehen, man sei nach überstandenen Grippe-Erkrankungen auch gegen neue Stämme von Grippe-Viren immun, wäre grober Unfug und Wasser auf die Mühlen von Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern, warnt Ludwig. “Eine solche Annahme impliziert ja, dass ältere Menschen, die wahrscheinlich davon ausgehen, mehrfach in ihrem langen Leben die Grippe gehabt zu haben, genug Abwehrkräfte gegen das Virus besitzen“, so der Experte.

Ludwig stellt klar, „dass ganz im Gegenteil ältere Menschen eine Hochrisikogruppe darstellen und die Influenza-Impfung die einzige Möglichkeit ist, prophylaktisch gegen die Grippe vorzugehen. Eine Impfung ist daher in der älteren Bevölkerung unbedingt empfehlenswert.“ Neben dem Schutz der eigenen Person schütze man auch seine Mitmenschen, da man nicht als Überträger dient, so Ludwig. Alleine schon aus diesem Grund sollte eine Impfung besonders für Mediziner zwingend sein. Ludwig sieht vor dem aktuellen Hintergrund des Coronavirus einen weiteren positiven Aspekt von Grippeschutzimpfungen: “Auch hinsichtlich des aktuellen Coronavirus- Ausbruchs wäre eine höhere Impfrate gegen die Grippe in der Bevölkerung sehr gut gewesen, da dann die Anzahl an letztlich negativen Verdachtsfällen reduziert wäre, die nun unser Gesundheitssystem belasten.“

Engpass bei Schutzmasken durch Nachfrage in China?

Alexander Kekulé berichtet von einem Gespräch, in dem ihm erzählt worden sei, das Angebot an Infektionsschutzmasken in Deutschland sei deshalb so knapp, weil Hersteller bereits vor Wochen ihre Lagerbestände wegen der hohen Nachfrage nach China verkauft haben.

Die Nachfrage nach Atemschutzmasken ist auch in Deutschland seit dem Ausbruch des Corona-Virus schlagartig gestiegen. Immer mehr Apotheken und Drogeriemärkte melden den Ausverkauf von Schutzmasken. Dass die Knappheit - insbesondere von Infektionsschutzmasken – auch darauf zurück zu führen ist, dass Hersteller ihre Lagerbestände bereits vor Wochen aufgrund der hohen Nachfrage nach China verkauft haben, konnte der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (PHAGRO) auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Auch über die derzeitige Verfügbarkeit liegen dem PHAGRO nach eigenen Angaben zum jetzigen Zeitpunkt keine Informationen vor.

Der Medizinprodukte-Hersteller 3M verweist allgemein auf die weltweit gestiegene Nachfrage nach Atemschutzmasken. Das Unternehmen teilte uns mit, die Produktion seit dem Ausbruch des Corona-Virus weltweit hochgefahren zu haben. Dennoch übersteige die globale Nachfrage das aktuelle Angebot. 3M verweist darauf, dass seine Produktionsstrategie ohnehin darauf ausgelegt sei, lokal produzierte Produkte auch lokal zu verkaufen. Medizinprodukte, die also in China produziert werden, würden auch in China verkauft, so eine Unternehmenssprecherin. Die globale Versorgungslage werde zudem von Ländern beeinflusst, deren Regierungen Warenströme zentral koordinieren und Exportstopps für benötigte persönliche Schutzausrüstungen verhängen. So hat China, das besonders stark vom Corona-Virus betroffen ist, unlängst einen Ausfuhrstopp auf Hygieneartikel erlassen, darunter auch Atemschutzmasken.

Wir haben bei weiteren Herstellern angefragt, ob etwaige Lagerbestände nach China verkauft wurden und dies möglicherweise zu dem knappen Angebot an Infektionsschutzmasken in Deutschland führte. Sobald unsere Anfragen beantwortet werden, wird der Faktencheck an dieser Stelle ergänzt.

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Stand: 03.03.2020, 11:36 Uhr