Weckruf oder Panikmache: Braucht das Klima eine Öko-Revolution?

Der Faktencheck zur Sendung vom 02.12.2019

In Madrid beginnt der Weltklimagipfel. Bei uns spitzt sich der Streit zu: Wie radikal muss die Politik umsteuern für das Klima? Führt der Klimawandel wirklich schon bald in eine Katastrophe? Und ist eine Art Öko-Revolution die letzte Antwort?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Hans von Storch über die weltweiten CO2-Emissionen

Hans von Storch geht von einem weltweiten CO2-Austoß von 38 Gigatonnen pro Jahr aus.

Der Großteil der CO2-Emissionen entsteht durch fossile Energieträger und Industrie. Im vergangenen Jahr waren alleine diese Bereiche für den Ausstoß von 37,5 Gigatonnen CO2 verantwortlich. Der Gesamtausstoß ist aber deutlich höher. Laut des „Emission Gap Report 2019“ der UN wurden im vergangenen Jahr weltweit 55,3 Gigatonnen CO2 ausgestoßen. Im Vergleich zum Vorjahr (53,5) ist dies ein Anstieg um rund drei Prozent. Nach Angaben der UN sind die Emissionen in der vergangenen Dekade jährlich um 1,5 Prozent gestiegen. Weitere bedeutende Quellen für den CO2-Ausstoß sind Haushalte und Verkehr.

Nina Kronjäger über Klimawandel und schwerfällige Demokratie

Für Nina Kronjäger ist ziviler Ungehorsam ein alternatives Mittel der Demokratie-Beteiligung. Für sie ist dies eine Art Ausgleich zu bestehenden demokratischen Institutionen, die ihrer Ansicht nach zu schwerfällig und in Teilen auch undemokratisch sind, da sie zu stark von Wirtschafts-Lobbyisten gesteuert werden. Ist eine parlamentarische Demokratie zu schwach, um große Aufgaben wie den Kampf gegen den Klimawandel zu bewältigen?

“Mehr Demokratie führt zu einer besseren Klimapolitik“, sagt Dr. Frederic Hanusch. Dies zeigten wissenschaftliche Studien, sagt der Politikwissenschaftler. Hanusch befasst sich am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam mit Klimapolitik, Demokratie und globalem Wandel. Dennoch, so Hanusch, machten selbst die besten Demokratien keine Klimapolitik, die zur Erreichung des Pariser Abkommens ausreiche. “Es braucht also demokratische Innovationen, die auf der Höhe der Herausforderungen unserer Zeit sind. Die meisten Demokratien wurden gegründet, als das Wissen um die Erderwärmung noch nicht existierte oder nur wenig verbreitet war“, sagt der Experte. Daher seien sie auf die Besonderheiten des Klimawandels nicht abgestimmt, etwa was die Zeit betreffe. „Wie können Wahlzyklen von vier Jahren ergänzt werden um demokratische Institutionen und Verfahren, welche die Jahrhunderte und Jahrtausende umfassenden Klimazyklen angemessen berücksichtigen?“ Hanusch kommt zu dem Schluss, dass gegenwärtige Demokratien der Erderwärmung tatsächlich nicht angemessen begegnen können. “Wir sollten uns überlegen, wie wir unsere Demokratien demokratisieren wollen“, so der Klimaexperte.

Hans von Storch über direkten und indirekten CO2-Ausstoß

Hans von Storch sagt, zu der etwa 1 Gigatonne CO2, die in Deutschland ausgestoßen werde, müsse noch der CO2-Ausstoß addiert werden, der für die im Ausland produzierten und nach Deutschland importierten Waren entsteht. Großzügig gerechnet seien dies vielleicht noch einmal 1 Gigatonne.

Tatsächlich werden in vielen Statistiken zum CO2-Ausstoß lediglich die Emissionen berücksichtigt, die direkt hier in Deutschland entstehen. Laut Umweltbundesamt waren dies im Jahr 2018 760 Millionen Tonnen. Auch wenn von Storch mit seiner Schätzung von einer Gigatonne zu hoch gegriffen hat, ist es richtig, dass auch die CO2-Emissionen, die für die Produktion von Waren aus dem Ausland, die nach Deutschland importiert werden, in die CO-2-Bilanz mit eingerechnet werden können. Laut einem aktuellen Bericht des statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2015 durch die Herstellung von Produkten, die im Ausland produziert und nach Deutschland importiert wurden, rund 500 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Berücksichtigt man den direkten und den indirekten CO2-Ausstoß, emittierte Deutschland im Jahr 2015 insgesamt 1,472 Milliarden Tonnen CO2. Auch bei der Miteinberechnung der CO2-Emissionen, die bei der Produktion von Waren entstehen, die für den Export bestimmt sind (579 Mio. Tonnen), kommen die Statistiker unter dem Strich auf 1,472 Milliarden Tonnen CO2.

Tino Pfaff und Rainer Hank über extinction rebellion und Demokratie

Tino Pfaff nimmt für extinction rebellion (XR) in Anspruch, die Demokratie schützen zu wollen, die seiner Ansicht nach durch den Klimawandel gefährdet ist. Rainer Hank hält dagegen und betrachtet XR selbst als Gefahr: Er will in der Bewegung einen demokratieskeptischen Unterton mit einem Hang zum autoritären Handeln durch die Form eines „guten Diktators“ beobachtet haben. Wie schätzt der Politikwissenschaftler die Bewegung ein?

“Historisch gesehen gibt es viele Belege dafür, dass Demokratien niemals perfekt sind“, sagt Dr. Frederic Hanusch. Er erinnert etwa an die Abschaffung der Sklaverei oder die Arbeiter-, Bürgerrechts- oder Frauenbewegung, die allesamt gegen die Demokratie ihrer Zeit aufbegehrten. Am Ende habe dies zu einer Stärkung der Demokratie geführt, sagt der Politikwissenschaftler. Hierfür müssten solche Bewegungen allerdings Kriterien erfüllen: “Ihr Anliegen muss etwa auf die Inkludierung bisher nicht repräsentierter Gruppen sowie auf eine Mehrung des Gemeinwohls zielen. Das unterscheidet beispielsweise extinction rebellion von Pegida. Letzteren geht es nur um das Wohl derer, die ihrer Meinung nach als Deutsch zu bezeichnen sind, und um die Exklusion anderer, etwa Menschen islamischen Glaubens. XR zielt hingegen auf den Einbezug künftiger Generationen und der Natur selbst, ihnen geht es um das Wohl des Planeten Erde“, sagt Hanusch. Zwar gebe es bei XR ein paar laute Stimmen, die das Primat der Demokratie in Frage stellen, sagt Hanusch. Die Mehrheit der Bewegung scheine jedoch an der Demokratie sehr gelegen, was sich auch an der Planung von Bürgerversammlungen zeige. “Wer am Ende die Oberhand behält, lässt sich noch nicht vollends sagen, aber gegen den Willen des Großteils der Mitglieder wird sich vermutlich schwer Politik machen lassen“, so der Experte.

Christopher Grau über ein Verbot von Einfamilienhäusern

Christopher Grau sagt, er habe gelesen, Grünen-Parteichef Robert Habeck wolle Einfamilienhäuser verbieten.

Das ist nicht richtig. Niemand von den Grünen – auch nicht Robert Habeck – hat ein Verbot von Einfamilienhäusern gefordert. Vor dem Hintergrund von größer werdender Ressourcenknappheit – etwa von Sand – haben die Grünen auf ihrem Parteitag im November den Beschluss “Bauwende – Nachhaltiges ressourcenschonendes Bauen“ verabschiedet. Hierin weisen die Grünen darauf hin, dass Einfamilienhäuser im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern besonders viele Ressourcen verbrauchen, da der “Außenhautanteil“ vergleichsweise groß ist. Darüber hinaus beanspruchten sie extrem viel Bauland und Infrastruktur. Von einem Verbot ist in dem Beschluss allerdings nicht die Rede.

Die Frage, ob Einfamilienhäuser heute überhaupt noch zeitgemäß sind, treibt nicht nur die Grünen um. Auch Stadtplaner und Architekten befassen sich schon seit geraumer Zeit mit dieser Frage. So mahnte etwa der Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, schon vor zwei Jahren in einem Interview mit der FAZ zu mehr Sparsamkeit vor dem Hintergrund des Klimaschutzes: „Mit Blick auf den Klimaschutz muss unser Flächenverbrauch sparsamer werden. Momentan verbrauchen wir in Deutschland täglich 66 Hektar. Kurzfristig wollen wir auf 30 Hektar kommen, und es müssten noch weniger sein. Einfamilienhäuser sind echte Flächenfresser, nicht nur weil die Häuser selbst Fläche verbrauchen, sondern auch wegen ihrer Erschließung.“

Christopher Grau über PKW-Zulassungen und CO2

Christopher Grau sagt, trotz einer Verdopplung der Zulassungszahlen, seien die CO2-Emissionen nur wenig angestiegen.

Von verdoppelten Zulassungszahlen kann in Deutschland nicht die Rede sein. Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes sind im Jahr 2018 insgesamt 3,435 Millionen PKW neu zugelassen worden. Das ist im Vergleich zu 2017 ein leichter Rückgang von 0,2 Prozent. Selbst im Vergleich zu 1995 ist dies nur ein Anstieg um rund 120.000.

Was stimmt, ist, dass es heute mehr PKW-Verkehr auf den Straßen gibt, als früher. Im Vergleich zu 1995 ein Anstieg um 18 Prozent, sagt das Umweltbundesamt. Die CO2-Emissionen sind aber nicht im gleichen Maße gestiegen. Hier hat Grau in der Tendenz recht. Weil Fahrzeuge aufgrund technischer Fortschritte heutzutage klima- und umweltverträglicher sind, stieg der CO2-Ausstoß des PKW-Verkehrs zwischen 1995 und 2017 nur um 0,5 Prozent, so das Umweltbundesamt.

Bärbel Höhn und Hans von Storch über Wissenschaftler und Unterschriften-Listen

Bärbel Höhn und Hans von Storch waren sich uneinig darüber, wie viele Wissenschaftler denn nun unterschrieben haben, um auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen. 11.000, wie Bärbel Höhn sagt? Oder stimmen die 23.000, von denen von Storch spricht?

Bärbel Höhn und Hans von Storch sprechen von zwei unterschiedlichen Unterschriftenaktionen. Bärbel Höhn spielte auf eine Anfang November im Fachjournal „BioScience“ veröffentliche Warnung vor einem “Klima-Notfall“ an. Hierin warnen Wissenschaftler vor „untold suffering“ – also unsäglichem Leid, sollte nicht schnell und konsequent gegen den Klimawandel vorgegangen werden. Tatsächlich schlossen sich über 11.000 Wissenschaftler aus 153 Nationen dieser Warnung an. Sie fordern Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Natur, wie beispielsweise die Reduzierung von CO2-Emissionen. Darüber hinaus fordern sie aber auch ein konsequentes Umdenken in den Bereichen Landwirtschaft und Erdbevölkerung. Hans von Storch hatte die Aktion der Gruppe „scientists for future“ im Hinterkopf, bei der sich im Frühling dieses Jahres mehr als 26.000 Wissenschaftler unter anderem mit den Anliegen der „fridays for future“ – Bewegung solidarisch erklärten.

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Stand: 03.12.2019, 13:10 Uhr