Der Osten hat gewählt, der Westen schaut gequält: Sieht so die Einheit aus?

Der Faktencheck zur Sendung vom 28.10.2019

Die Wahl in Thüringen hat gezeigt: Der Osten tickt politisch anders - auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. Warum sind AfD und Linke so stark im Osten? Woher kommt die Unzufriedenheit? Oder kann so nur ein Wessi fragen, der den Osten nicht versteht?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Antje Hermenau über Kriegsflüchtlinge in Polen

Antje Hermenau sagt, Polen habe in den vergangenen Jahren ein Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine integriert.

Offiziell haben nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat zwischen 2014 und 2018 insgesamt gerade einmal 7005 Ukrainer einen Asylantrag in Polen gestellt. Zwar leben in Polen tatsächlich viele Ukrainer und besonders in den vergangenen Jahren sind viele Ukrainer nach Polen gezogen. Allerdings kam der weitaus größte Teil in unser Nachbarland, um zu arbeiten.

Richtig ist aber auch, dass die Zahl der Ukrainer, die nach Polen gegangen sind, seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2014 deutlich gestiegen ist. Viele zog es aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation durch den Krieg nach Polen. Das geht aus Daten von Eurostat hervor. Waren es im Jahr 2014 noch rund 250.000 Ukrainer, die in Polen eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, stieg die Zahl im darauffolgenden Jahr deutlich auf 430.000 an. Der weitaus größte Teil hiervon (354.000) kam nach Polen, um einer Arbeit nachzugehen. Den Höhepunkt erreichte die Zahl an Aufenthaltsgenehmigungen für Ukrainer mit rund 585.500 im Jahr 2017. Hiervon wurden 545.000 Genehmigungen aufgrund von Erwerbstätigkeit erteilt. Im vergangenen Jahr ging die Zahl deutlich auf 413.000 zurück. Insgesamt hat Polen im letzten Jahr 635.000 Aufenthaltsgenehmigungen erteilt – so viele, wie kein anderes EU-Land. Die meisten hiervon wurden zum Zweck der Erwerbsarbeit vergeben. Weitere häufige Gründe für eine Aufenthaltsgenehmigung sind Familie und Bildung.

Joerg Helge Wagner über Geld für die neuen Bundesländer

Der Journalist Joerg Helge Wagner sagt, seit der Wiedervereinigung seien 1,6 Billionen Euro in die neuen Bundesländer geflossen.

Seit der Wiedervereinigung wird immer wieder darüber diskutiert, wie hoch die Transferleistungen in die neuen Bundesländer denn nun wirklich waren. Verschiedene Institute und Wirtschaftswissenschaftler kommen dabei auf unterschiedliche Zahlen. Auch die Größenordnung, die Joerg Helge Wagner nennt, wird dabei genannt.

Die Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse liegen in der uneinheitlichen Berücksichtigung dessen, was als Transferleistung betrachtet wird und inwieweit beispielsweise die Steuer- und Wirtschaftsleistung der neuen Bundesländer mit den Transferzahlungen verrechnet wird. Unstrittig sind die Zahlungen, die seit 1990 beispielsweise über den Fonds Deutsche Einheit und die Solidarpakte I und II direkt an die neuen Bundesländer und Berlin geflossen sind – bis Ende des Jahres werden dies 344 Milliarden Euro sein. (Der Solidarpakt ist nicht identisch mit dem Solidaritätszuschlag, der von allen Steuerzahlern in den Gesamthaushalt fließt).

Darüber hinaus aber gibt es noch weitere Posten, die zu den Transferleistungen gerechnet werden können: Gelder, die über die Treuhandanstalt geflossen sind oder Ausgleichszahlungen bei der Sozialversicherung. Andere Untersuchungen, wie etwa vom ifo, beziehen auch Finanzausgleichszahlungen oder allgemeine bundestaatliche Aufgaben in die Transferkosten mit ein. Auf diese unterschiedlichen Berechnungen hat im vergangenen Jahr auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verwiesen. So habe das ifo-Institut beispielsweise die gesamten Transferleistungen aus Solidarpakt, Sozialleistungen oder Wachstumsprogrammen zwischen 1991 und 2013 auf 3,4 Billionen Euro beziffert. Gleichzeitig aber seien aus den ostdeutschen Ländern in diesem Zeitraum 1,8 Billionen über Steuern und Sozialabgaben zurückgeflossen. Unter dem Strich steht demnach eine Nettotransfersumme von 1,6 Billionen Euro.

Das DIW wiederum hat laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages als Berechnungsgrundlage den ostdeutschen Außenhandelssaldo herangezogen und die eigene Wirtschaftsleistung mit den verbrauchten Gütern verglichen. Hierbei ergab sich ein Minus, welches durch Transferleistungen ausgeglichen worden sei. Das DIW kommt mit Hilfe dieser Berechnungsgrundlage auf ein Transferleistung von 1,5 Billionen Euro seit 1990.

Der Ökonom Ulrich Blum von der Uni Halle-Wittenberg verfolgt einen anderen Ansatz. Er betrachtet die große Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in den Westen. So hätten diese Abgewanderten Fachkräfte im Westen insgesamt Steuern und Abgaben in Höhe von 1,3 Billionen Euro erwirtschaftet. Verrechnet mit den Transferleistungen, die Blum zwischen 1990 und 2014 auf 1,5 Billionen Euro beziffert, bleibt eine Nettotransfersumme von West nach Ost von 200 Milliarden Euro. Laut Blum habe der Osten einen Großteil der Kosten also selbst erbracht.

Mehr zur Sendung

Stand: 29.10.2019, 11:43 Uhr