Wieder da oder nie wirklich weg: Wie stark ist der Judenhass in Deutschland?

Der Faktencheck zur Sendung vom 14.10.2019

Öffentlich bekennt Deutschland: Nie wieder Antisemitismus. Warum werden Juden dann hierzulande beleidigt, bedroht, müssen um ihr Leben fürchten? Alles Einzeltäter wie in Halle? Oder wächst der alte Judenhass neu heran, wird wieder alltäglich?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Michel Friedman über antisemitische Straftaten

Michel Friedman sagt, im 2018 habe die Zahl der antisemitischen Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent zugenommen.

Betrachtet man lediglich die antisemitischen Gewalttaten, so hat sich die Zahl nach Angaben des Bundeskriminalamtes sogar verdoppelt. Wurden im Jahr 2017 noch insgesamt 37 antisemitische Gewaltdelikte gezählt, waren es im vergangenen Jahr 69. Hiervon waren 49 rechtsmotiviert. Eine Steigerung um 20 Prozent ist richtig, wenn man alle antisemitisch motivierten Straftaten betrachtet. Das BKA zählte in seiner Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) im vergangenen Jahr 1.799 Fälle. 89,1 Prozent dieser politisch motovierten Straftaten wurden demnach aus dem rechten Spektrum begangen.

Die Aussagekraft dieser Zahlen ist allerdings umstritten. So macht der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus in einem Lagebericht darauf aufmerksam, dass fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten grundsätzlich immer dann dem rechten Spektrum zugeordnet werden, wenn keine weiteren Merkmale erkennbar seien. Beispielsweise dann, wenn einem Schriftzug “Juden raus“ kein Tatverdächtiger zugeordnet werden kann. “Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis“, heißt es in dem Bericht für das Bundesinnenministerium. Außerdem hänge es von den Erfahrungen, der Sensibilität und dem Fachwissen der ermittelnden Beamten ab, ob eine antisemitische Straftat als solche erkannt und richtig eingeordnet werde. Darüber hinaus verweisen die Autoren darauf, dass es sich bei der BKA-Statistik um eine “Eingangsstatistik“ handele: “D.h. es werden alle angezeigten Fälle mit entsprechend ermittelter oder unterstellter Tatmotivation gezählt.“ Was jedoch fehle, sei eine Übersicht über die Zahlen der Ermittlungsverfahren und der erfolgten Verurteilungen.

Hierzu gibt das Bundesjustizamt seit einigen Jahren genauere Zahlen heraus. So wurden im Jahr 2017 insgesamt 1.858 Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet. Die meisten wegen Volksverhetzung oder der Darstellung von gewaltverherrlichenden- oder verharmlosenden Inhalten (1076). In einem Drittel der Fälle ging es um die Darstellung verfassungsfeindlicher Symbole (631). In 25 Fällen wurde wegen Körperverletzung ermittelt. Unklar bleibt aber auch bei dieser Statistik, aus welcher politischen Motivation heraus die Straftaten begangen worden sind.

Georg Mascolo über das Gutachten des Verfassungsschutzes

Georg Mascolo wirft der AfD vor, sich nicht ausreichend von denen in der Partei zu distanzieren, die ohne Zweifel rechtsradikal seien. Für dieses Gedankengut gebe es im Prüfbericht des Verfassungsschutzes zur AfD zahlreiche Belege.

Die AfD steht seit geraumer Zeit unter Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes (BfV). Anfang des Jahres hatten die Verfassungsschützer die Partei als “Prüffall“ eingestuft. Diesen Begriff darf die Behörde in Zusammenhang mit der AfD nach einer Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts zwar nicht mehr verwenden, dennoch hat es sich der Präsident des BfV, Thomas Haldenwang, zur Aufgabe gemacht, “die unter Extremismus-Verdacht stehenden AfD-Teilorganisationen ‘Der Flügel‘ und ‘Junge Alternative‘ zu beobachten.“ Im Januar ging das BfV mit einem Teil der Ergebnisse eines Gutachtens an die Öffentlichkeit, das untersuchte, ob es in der AfD und ihren Teilorganisationen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gibt. Der Blog “netzpolitik.org“ hat das gesamte Gutachten veröffentlicht. Die Verfassungsschützer dokumentieren zahlreiche Zitate aus Reden, Interviews und social-media-Einträgen und den Gebrauch von Sprache, die nach Ansicht der Behörde besonders in rechtsextremistischen Kreisen verwendet wird, um fremdenfeindliche Positionen zu verbreiten. Zu diesen Schlagworten zählen demnach Begriffe wie “Umvolkung“, “Volkstod“, “Überfremdung“ oder “Bevölkerungsaustauch“.

Das komplette Gutachten des Verfassungsschutzes mit zahlreichen Zitaten, Belegen und Schlussfolgerungen finden Sie hier:

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Stand: 15.10.2019, 10:08 Uhr