Der Faktencheck zur Sendung vom 03.06.2019

Drei Minister, ein Thema: Wie kann man den Beruf der Pflege attraktiver machen? Ist die Initiative der Bundesregierung dazu mehr Show oder echte Hilfe? Franziska Giffey, Jens Spahn und Hubertus Heil diskutieren im Studio mit Pflegenden, Heimbetreibern, Betroffenen.

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Gottlob Schober und Silke Behrendt-Stanis über Qualität in der Pflege

Gottlob Schober und Silke Behrendt-Stanis sagen, dass die Qualität in der Pflege in den vergangenen Jahren schlechter geworden sei. Aufgrund des Mangels an Pflegepersonal würden heute Pfleger eingestellt, deren Qualifikation noch vor wenigen Jahren für diesen Beruf nicht ausreichend gewesen wäre. Hat sich die Qualität in der Pflege tatsächlich verschlechtert?

Astrid Elsbernd, Professorin für Pflegewissenschaften an der Hochschule Esslingen, sieht die Entwicklung der Qualität in der Pflege differenzierter. “Ich teile die Meinung nicht, dass die Pflege in Deutschland insgesamt in den vergangenen Jahren qualitativ ausschließlich schlechter geworden ist.“ Richtig sei, dass der Fachkraftmangel seit den 1990er Jahren bis heute wieder stetig zugenommen hat. Internationale Studien hätten ergeben, dass die Pflegequalität in den Einrichtungen sinkt, wenn Fachkräfte fehlen bzw. nicht in ausreichender Anzahl und mit der erforderlichen Bildung patienten- und bewohnernah eingesetzt werden, so Elsbernd. “Diese Studien wurden international wiederholt durchgeführt und belegen, dass Pflegequalität auch von der quantitativen und qualitativen Personalausstattung abhängt“, erklärt die Expertin. So führe Personalmangel unter anderem zu einer höheren Sterblichkeit und zu einer vermeidbaren Zunahme von Pflegebedürftigkeit. Die Befunde seien eindeutig. Die Patienten- bzw. Bewohner-Sicherheit ist stark gefährdet und die Organisationen können diesen Risiken nur unzureichend begegnen.

Es müsse aber berücksichtigt werden, dass das Pflegewissen in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat und die heutigen Ausbildungen und Studiengänge neues und wissenschaftlich fundierteres Pflegewissen vermitteln, das den pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen enorm zugutekommt, sagt die Pflegeforscherin. So seien beispielsweise seit Ende der 1990er Jahre gemeinsam mit der Pflegewissenschaft neue Standards in der Pflege implementiert worden. Hierzu zählen laut Elsbernd unter anderem Sturzprophylaxe, Schmerzmanagement, Ernährungsmanagement, Kontinenzförderung, Vermeidung von chronischen Wunden und Wundliegen sowie Mobilitätsförderung. Auch im Bereich der Weiterbildungen konnten nach Ansicht von Elsbernd neue pflegeinhaltliche Impulse gesetzt werden. “Pflegende sind heute besser denn je darin ausgebildet, Pflegebedarfe zu erkennen und den Bewohnern oder Patienten geeignete pflegerische Maßnahmen anzubieten.“

Insgesamt stellt die Pflegeforscherin fest, dass die pflegerische Versorgung der Bevölkerung in den Einrichtungen schlechter geworden ist, die dem Fachkraftmangel nicht entgegengetreten sind, zunehmend und willentlich mit Pflegehilfskräften die Versorgung absichern und bereits vorliegendes pflegerisches Wissen und dessen Umsetzung bei den Betroffenen nicht oder kaum zur Anwendung bringen. Solche Einrichtungen gebe es in Deutschland, so Elsbernd. Allerdings gebe es auch Krankenhäuser, stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste, die sich gegen diese Trends bewegen. Sie zahlen höhere Löhne, fördern und honorieren Weiterbildung der Mitarbeiter und bringen pflegewissenschaftliche Konzeptentwicklung voran.

Die Ausstattung mit Pflegepersonal muss nach Ansicht von Elsbernd differenziert betrachtet werden. Eine Steuerung über ausschließlich quantitative Betrachtungen vorzunehmen hält sie für nicht sinnvoll. Das gängige Instrument der Personaluntergrenzen zeige sowohl in der stationären Altenpflege als auch in Krankenhäusern bereits heute seine sehr negativen Seiten, so Elsbernd. “Ich kann Herrn Minister Heil hier nur bestärken, besser auf die Instrumente der Lohnuntergrenzen oder noch besser der allgemein verbindlichen Tarifverträge zu setzen. Auch ist es sehr zu begrüßen, dass mit der Ausbildungsreform in der Pflege deutliche Impulse für eine pflegefachlich fundierte Pflege gegeben wurde“, sagt die Expertin. Nun solle die Politik den nächsten Schritt gehen, rasch und attraktiv ausbilden sowie die Arbeits- und Lohnbedingungen konsequent verbessern, so der Wunsch von Astrid Elsbernd.

Gottlob Schober über die Gründe für den Pflegenotstand

Gottlob Schober sagt, die schlechte Situation in der Pflege gehe darauf zurück, dass sie vor vielen Jahren unter Selbstverwaltung – also an Heimträger und Pflegekassen - gestellt worden sei. Daher sei in erster Linie die Selbstverwaltung in der Pflege für die heutigen Missstände verantwortlich und nicht die Politik. Muss die Politik heute die Fehler der Selbstverwaltung ausbügeln?

“Die Missstände in der Pflege sind sicherlich multikausal entstanden“, stellt Prof. Astrid Elsbernd fest. Die Selbstverwaltung führe zunehmend langwierige Verhandlungsprozesse, was nur schwer umkämpfte Kompromisse zur Folge habe, so Elsbernd. Aus ihrer Sicht ist dies kein Zeichen von großer Wirksamkeit. “Deshalb darf man an den Instrumenten der Selbstverwaltung aus meiner Sicht ernsthaft zweifeln“, sagt die Expertin. Jedoch dürfe nicht außeracht gelassen werden, dass die Pflegeverbände bzw. der Deutsche Pflegerat bislang nur sehr eingeschränkt mitwirken durften, sagt Elsbernd. Fachliche Impulse seien in diesen Verhandlungen daher nur schwer einzubringen.

“Ich gebe Herrn Minister Spahn recht, dass der geringe Organisationsgrad in Pflegeverbänden und Pflegekammern auch dazu führt, dass diese Interessen nur unzureichend vertreten sind“, sagt Elsbernd. Wolle man weiter auf das Instrument der Selbstverwaltung setzen, dann müsse zumindest sichergestellt werden, dass die Berufsgruppe der Pflegenden durch den Deutschen Pflegerat und durch die entstehenden Landespflegekammern mit allen Rechten und mit ausreichend hohem Stimmrecht mitwirken können, sagt Elsbernd. “Allerdings zeigen die vergangenen Jahre aus meiner Sicht, dass die Politik noch einmal genauer überdenken sollte, welche Weichen sie selbst stellen und welche Themen sie den Partnern der Selbstverwaltung bzw. den Schiedsstellen überlassen will.“ Die Pflegeexpertin begrüßt, dass die drei Minister in der Sendung deutlich gemacht haben, dass sie ihre politische Verantwortung sehen und auch gemeinsam wahrnehmen wollen. Denn die nächsten notwendigen Schritte könnten nur durch eine enge und ressortübergreifende Zusammenarbeit der Ministerien erfolgreich gegangen werden, sagt Elsbernd.

Jens Spahn über Fortschritte in der Pflegepolitik

Jens Spahn sieht bei allen Problemen deutliche Fortschritte durch den Pflegepakt, den er gemeinsam mit Hubertus Heil und Franziska Giffey auf den Weg gebracht hat. In den vergangenen zwölf Monaten seien zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegesituation beschlossen und umgesetzt worden. Wurden im vergangenen Jahr tatsächlich viele richtige Weichen gestellt?

Prof. Astrid Elsbernd erkennt schon seit einigen Jahren ein zunehmendes Engagement der zuständigen Ressorts beim Thema Pflege. “Insbesondere Minister Gröhe hat das Thema “Pflege“ aktiv auf mehreren Ebenen vorangebracht, die dringend notwendige Bildungsreform wurde vor Jahren eingeleitet und endlich auch zu einem Ergebnis gebracht“, sagt Elsbernd. Mit dieser Ausbildungs- und Bildungsreform seien wichtige und richtige Weichen gestellt worden.

Das Problem des schon langandauernden Fachkräftemangels sei erkannt worden, so die Pflegexpertin. Dennoch seien weitere Anstrengungen nötig, um ihm begegnen zu können. “Der Ausbau von Personalstellen in allen Sektoren der Pflege - stationäre Altenpflege, ambulante Pflege, Pflege in Krankenhäuser - muss weiter aktiv vorangebracht und dabei darauf geachtet werden, dass die Stellen auch wirklich im Bereich der professionellen Pflege und nicht im Bereich der Hilfskräfte ausgebaut werden“, fordert Elsbernd. Im internationalen Vergleich liege Deutschland noch immer sehr weit hinter der Personalausstattung anderer Länder zurück, sagt Elsbernd. Dieser Rückstand müsse aufgeholt werden.

Für die Pflegenden sei es von entscheidender Bedeutung, ob sie ihren Beruf dem Stand des professionellen Wissens angemessen ausüben können, so die Pflegeexpertin. Hierfür müssten die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wie Jens Spahn sieht auch Astrid Elsbernd die Notwendigkeit, dass auch die Arbeitgeberorganisationen aktiver denn je mitwirken müssen. “Hier geht es um die Schaffung von angemessenen organisatorischen Arbeitsbedingungen, attraktive Lohnpolitik und Schaffung von beruflichen Aufstiegs- und Weiterbildungschancen, die sich auch monetär auswirken.“ Unter dem Strich hält Elsbernd das Eigenlob Spahns für gerechtfertigt. Allerdings müsse es als Motivation verstanden werden, weitere nachhaltige Schritte einzuleiten. “Es wird aus meiner Sicht 15 Jahre dauern, bis die Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet sind und in dieser Zeit muss die Politik das Thema intensiv und multidimensional steuern“, sagt Astrid Elsbernd. Dabei müssten neben den Themen der Finanzierung auch die Themen der Verteilung und Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe in den Blick geraten, so die Expertin.

Betriebsräte in Einrichtungen des bpa

Wie viele Einrichtungen, die dem Verband unseres Gastes Bernd Meurer angehören, haben einen Betriebsrat, wollte Gottlob Schober wissen.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) konnte uns auf Nachfrage keine Zahl nennen. Bei über 10.000 Einrichtungen, die dem Verband von Bernd Meurer angeschlossen sind, könne auch keine seriöse Schätzung abgegeben werden, so ein Sprecher.

Stand: 04.06.2019, 10:38 Uhr