Die Erde schwitzt, das Eis schmilzt: Wie radikal müssen wir uns ändern?

Der Faktencheck zur Sendung vom 25.03.2019

An den Polen, in den Alpen – das Eis schmilzt und zeigt den rasanten Klimawandel. Können wir da so weitermachen wie bisher? Oder müssen wir unser Leben bei Energie, Reisen, Autos radikal verändern? Und was macht das mit Industrie und Arbeitsplätzen bei uns?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Herbert Diess über Kohlesubventionen

Herbert Diess erinnert an die Steuerungsaufgabe der Politik, damit CO2 in großem Maßstab reduziert werden kann. Er wundert sich, dass Steinkohle nach wie vor mit 100 Euro pro Tonne subventioniert wird. Um den CO2-Ausstoß deutlich zu verringern, müsse sie stattdessen besteuert werden. Hat er Recht?

“Womit Herbert Diess in der Tat recht hat, ist, dass Steinkohle nach wie vor in hohem Maße subventioniert wird“, sagt Prof. Bernd Hirschl. Der Klimaschutzexperte ist Leiter der Forschungsabteilung “Nachhaltige Energiewirtschaft und Klimaschutz“ am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (iöw). Darüber hinaus lehrt er an der BTU Cottbus-Senftenberg Management regionaler Energieversorgungssysteme. “Dies betrifft zum einen die Milliarden schweren Subventionen für den deutschen Steinkohlebergbau, der international schon seit den 1950er Jahren nicht wettbewerbsfähig war. Diese Subvention lag phasenweise - in Abhängigkeit vom jeweiligen Weltmarktpreis – bei rund 100 Euro pro Tonne. Bis letztes Jahr, als die letzte Zeche in Deutschland geschlossen wurde“, sagt Hirschl. Trotz der Schließung der Zechen in Deutschland fallen nach wie vor Kosten für die Steinkohle an. So zahle der Steuerzahler langfristig auch für die Ewigkeitskosten, die uns die Kohlegruben hinterlassen (z. Bsp. Grubengas- und Wassermanagement), für Strukturhilfen in Kohleregionen oder Sozialkosten, wie etwa für Frühverrentungsprogramme der Kohlekumpel, erklärt der Experte. Zudem würden die Emissionen aus Steinkohlekraftwerken nicht im ökologisch notwendigen Maß belastet, stellt Hirschl fest: “Es werden nicht die so genannten externen Kosten der Kohleverbrennung in den Preisen für Kohlestrom- und Wärme abgebildet. Der CO2-Emissonshandel deckt seit seiner Einführung nur einen Bruchteil ab.“ Aus all diesen Tatbeständen ergebe sich ein sehr hoher, ebenfalls milliardenschwerer Subventionsbetrag, so Hirschl. Allerdings lasse der sich nur schwer exakt beziffern. “Die Aussage ist in der Tendenz richtig, die genannte Zahl betrifft jedoch einen nicht mehr gültigen Sachverhalt bei gleichzeitiger Ausblendung vieler weiterer Subventionstatbestände“, sagt Hirschl.

Einen Haken habe Diess´ Vergleich mit dem Automobilsektor: “Es lenkt ab von der hohen Verantwortung, die die fossilen Kraftstoffe und somit der Verkehrsbereich beim Klimaschutz haben. Denn während der Energiebereich bisher der einzige Sektor ist, der wirklich nennenswerte Reduktionsbeiträge geliefert hat - und weiter liefern muss -, stagniert die CO2-Reduktion im Verkehrssektor seit vielen Jahren auf dem gleichen, viel zu hohen Niveau“, kritisiert Hirschl.

Herbert Diess über Politik und Klimaschutz

Herbert Diess fordert von der Politik, die Milliardensummen, die gegen den Klimawandel bereitgestellt werden, an den “großen Hebeln“ einzusetzen. Gibt die Politik das Geld derzeit denn an den falschen Stellen aus?

“An einigen Stellen der Klimaschutz-Förderpolitik wurden und werden tatsächlich immer noch fragwürdige Anreize gesetzt“, sagt auch Prof. Bernd Hirschl und nennt als Beispiel die Zuschüsse für fossile Heizungstechnik. Allerdings sei die Fehlsteuerung von Anreizmitteln an der einen oder anderen Stelle nicht der zentrale Grund, warum wir die Klimaschutzziele in so hohem Maße verfehlen, sagt der Experte. “Wenn die Politik keine klaren Rahmenbedingungen schafft, wie z.B. einen wirksamen CO2-Preis, durch den sich viele klimafreundliche Technologien von allein wirtschaftlich rechnen würden und sich auch nicht traut, per Ordnungsrecht Vorgaben zu machen, wie etwa eine Solarpflicht für Neubauten, müsste sie im Grunde noch viel mehr an Fördermitteln ausgeben, um die ökonomischen Nachteile der Klimaschutztechnologien gegenüber den heutigen fossilen Standards auszugleichen.“

Dass sich Investitionen in klimafreundliche Technologien auszahlen, zeige die Wind- und Solarenergie. “Die bereits gezahlten Milliarden für Wind- und Solaranlagen haben dazu geführt, dass wir als Gegenwert zum einen bereits rund 40 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bereitstellen und zudem die heute gebauten Solar- und Windkraftwerke den Strom deutlich günstiger produzieren können als dies mit jedem neuen fossilen und nuklearen Kraftwerk möglich wäre“, sagt Hirschl. Allerdings habe die Politik dies nicht mit Staatsgeldern erreicht, sondern über die EEG-Umlage, die von den Stromkunden finanziert wird, stellt Hirschl klar. “Insofern geht die Kritik mit den ‘falschen großen Hebeln‘ in die falsche Richtung, denn es wird suggeriert, man müsste mit gleichem Mitteleinsatz nur effizientere Technologien fördern“, sagt der Experte für Energiemanagement. Richtig sei aber, dass es derzeit überhaupt keine großen Hebel für ambitionierten Klimaschutz gibt, „da weder eine entsprechende Besteuerung fossiler Brennstoffe, noch das derzeit stark gedeckelte „Erneuerbare Energien Gesetz“, noch Gebäude- oder Fahrzeugvorschriften diese Hebelwirkung entfalten“, so Hirschl.

Hat VW auch beim CO2-Ausstoß getrickst?

Herbert Diess sagt, VW habe nicht bei den CO2-Werten getrickst, sondern die Stickoxid-Werte nicht eingehalten.

VW hatte im Jahr 2015 zunächst selbst zugegeben, dass bei weltweit rund 800.000 Fahrzeugen die Angaben bei Verbrauch und CO2-Ausstoß nicht den realen Werten entsprachen. Gegenüber dem damaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt habe der Konzern eingeräumt, dass offensichtlich Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verbrauchswerte nach unten zu verfälschen. Dies sei bei einer internen Prüfung des Automobilkonzerns ans Tageslicht gekommen, erklärte Dobrindt in einer aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag. Ein Konzernsprecher hatte noch im November des Jahres 2015 gegenüber der Nachrichtenagentur dpa-AFX eingeräumt, dass VW Testabläufe gezielt manipuliert habe, um die CO2-Werte und den Kraftstoffverbrauch zu schönen. Dies sei entweder über manipulierte Testwagen oder beim Messvorgang selbst geschehen.

Nur einen Monat später dann die Kehrtwende: Nach intensiven Prüfungen habe sich herausgestellt, dass die Messwerte der betroffenen Fahrzeuge nun doch den ursprünglich festgestellten CO2-Werten entsprechen, so VW. “Der Verdacht auf rechtswidrige Veränderung der Verbrauchsangaben von aktuellen Serienfahrzeugen hat sich nicht bestätigt“, heißt es in einer Mitteilung des Autoherstellers. Abweichungen habe man lediglich bei neun Modellvarianten feststellen können und hätten durchschnittlich nur wenige Gramm CO2 betragen.

Das Kraftfahrbundesamt (KBA) hatte angekündigt, diese Werte selbst zu überprüfen. Wir haben beim KBA nach den Ergebnissen der Messungen nachgefragt. Sobald uns die Antwort vorliegt, werden wir diesen Faktencheck aktualisieren.

Geplante Kohlekraftwerke weltweit

Im Jahr 2017 waren weltweit 1.380 Kohlekraftwerke in 59 Ländern im Bau oder Planung. Zu diesen Zahlen kommt die so genannte „coalexit-list“ aus dem vergangenen Jahr. Sie wird von rund 30 Umwelt- und Klimaschutzorganisationen erstellt, darunter auch die deutsche NGO „Urgewald“.

Allerdings gibt es auch einen deutlichen Trend zu weltweit weniger Kohlekraftwerken. Das ist das Ergebnis einer Studie von Greenpeace und den amerikanischen Umweltschutzorganisationen “Sierra Club“ und “Coalswarm“. Demnach ist die Zahl der neuen und in Betrieb gegangenen Kohlekraftwerke im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent zurück gegangen. Auch die Baustarts gingen um 29 Prozent deutlich zurück. Noch deutlicher zeigt sich der Trend, wenn man die 2017er Zahlen im Vergleich zum Jahr 2015 betrachtet. So nahm die Zahl der fertig gestellten Kraftwerke um 41 Prozent ab. Begonnene Bauvorhaben gingen sogar um 73 Prozent zurück.

Stand: 26.03.2019, 10:42 Uhr