Gefühltes Öko-Vorbild, gelebter Klimasünder: Lügt sich Deutschland grün?

Der Faktencheck zur Sendung vom 04.02.2019

Deutschland hält sich für den Öko-Weltmeister: Aber warum produzieren wir dann immer mehr Müll, werden die Autos immer größer? Alles eine Lebenslüge? Unterlaufen Industrie und Bürger die staatlichen Vorgaben, weil Umweltschutz mühselig und Konsum bequemer ist?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Hannes Jaenicke über deutsche Klimapolitik

Der Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke ist enttäuscht: Jedes der selbst gesetzten Klimaziele werde von Deutschland "krachend" verfehlt. Ist die Bilanz der deutschen Klimapolitik tatsächlich so verheerend?

"Die Aussage ist falsch", sagt Prof. Niklas Höhne. Der Klimaforscher von der Universität Wageningen (Niederlande) erinnert daran, dass Deutschland sein letztes Klimaschutzziel erfüllt hat: "Im Rahmen des Kyoto-Protokolls hatte sich Deutschland verpflichtet, Treibhausgas-Emissionen im Zeitraum 2008-2012 um 21 Prozent gegenüber 1990 zu senken." Dieses Ziel sei sogar übererfüllt worden, so der Leiter des "NewClimate Institute". Allerdings räumt der Klimatologe ein, dass die Treibhausgasemissionen seitdem nicht weiter gefallen sind. Das Ziel einer Reduktion um 40 Prozent bis 2020 werde weit verfehlt werden, so Höhne.

Für die deutschen Klimaziele bis zum Jahr 2020 stimmt Andreas Löschel, Professor für Energie- und Ressourcenökonomik an der Universität Münster, zu. “Nach dem Energiekonzept aus dem Jahr 2010 sollen die deutschen Treibhausgasemissionen gegenüber dem Jahr 1990 um mindestens 40 Prozent bis zum Jahr 2020 und um mindestens 55 Prozent bis 2030 gesenkt werden. Das Klimaschutzziel für das Jahr 2020 wird aller Voraussicht nach tatsächlich deutlich verfehlt werden“, sagt der Ökonom. Zwischen 2010 und 2017 seien die Treibhausgasemissionen praktisch stagniert. Löschel erinnert daran, dass im Zuge des Monitorings der Energiewende schon seit Jahren auf die Gefahr einer deutlichen Verfehlung des Klimaziels hingewiesen wurde. “Auch die Bundesregierung räumt ein, dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 - ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen - nur etwa 32 Prozent betragen wird. Das Klimaschutzziel soll nun so schnell wie möglich erreicht werden“, sagt der Energieexperte. Er hält aber auch die Erreichung des Ziels für 2030 mit der jetzigen Dynamik nicht für möglich, „denn von 2017 bis 2030 müssten die jährlichen Treibhausgasemissionen dreimal stärker gesenkt werden als in den Jahren von 2000 bis 2017."

Die Zielverfehlung betreffe alle Bereiche, erklärt Löschel: Energiesektor, Industrie, Verkehr und Haushalte. “Der Energiesektor als der bedeutendste Emittent konnte im Unterschied zu fast allen anderen Sektoren seine Emissionen seit 2013 deutlich senken. Bei einer Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission dürfte auch das Sektorziel aus dem Klimaschutzplan für 2030 erreicht werden“, glaubt der Volkswirt. Allerdings bestünden erhebliche Schwierigkeiten, die Emissionen im Verkehrssektor, aber auch im Gebäudebereich zu senken. “Der Verkehrsbereich verfehlt die Energiewendeziele sowohl bezüglich der Steigerung des Anteils Erneuerbarer als auch bezüglich der Minderung des Endenergieverbrauchs deutlich. Mittlerweile umfasst die Ziellücke zum 2020er-Ziel rechnerisch etwa den Jahresverbrauch von 10 bis 11 Mio. Pkw in Deutschland“, rechnet Löschel vor. Dies entspreche einem Reduktionsbedarf bis zum Jahr 2030 von knapp 70 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente, bzw. ca. 41 Prozent

Auch in der Vergangenheit gebe es ein anschauliches Beispiel für die Verfehlung von Klimazielen, erinnert Löschel. “Anlässlich der ersten internationalen Klimakonferenz in Bonn hat sich Deutschland ein Klimaziel für das Jahr 2005 gesetzt. Der Ausstoß von CO2 sollte bis 2005 im Vergleich zu 1990 um 25 Prozent gesenkt werden.“ Auch dieses Ziel sei verfehlt und die Emissionen um gerade einmal 16 Prozent gesenkt worden, so Löschel. Sein Fazit: “Die Klimabilanz Deutschlands ist tatsächlich nicht gut. Allerdings gilt dies auch für etliche andere Länder und hängt natürlich auch von der Ambition der Klimaziele ab.“

Svenja Schulze über Kosten des Klimawandels

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist sicher: Deutschland sollte sich die Kosten, die mit dem Ausstieg aus dem Kohlestrom verbunden sind, leisten. Nichts gegen den Klimawandel zu tun, sei unter dem Strich teurer. Hat Sie Recht?

“In der Tat ist es global teurer, nichts gegen den Klimawandel zu tun als die Kosten sinnvoller Klimaschutzpolitik zu tragen“, sagt Andreas Löschel. Der Energieökonom verweist auf den Weltklimarat, der in seinem letzten Sachstandsbericht dargelegt habe, dass die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels, das im Pariser Abkommen noch verschärft wurde, mit massiven technologischen, ökonomischen und institutionellen Herausforderungen verbunden sei. Die notwendigen Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten seien ohne Beispiel, sagt Löschel: “Werden aber alle Minderungsmöglichkeiten genutzt, werden effiziente Maßnahmen zur Minderung gewählt und machen alle Länder sofort mit, dann sind die Kosten für die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels tragbar und entsprechen einer Verringerung des jährlichen Konsumanstiegs um 0,06 Prozentpunkte.“ Die Schäden durch ungebremsten Klimawandel lägen sicher deutlich darüber, so der Volkswirtschaftler.

Er macht aber darauf aufmerksam, dass diese globale Kosten-Nutzen-Rechnung nicht für jedes einzelne Land auf der Welt gelte, da die Schäden durch Klimawandel insbesondere den globalen Süden betreffen und die Kosten der Klimapolitik wohl vor allem bei den Industrieländern anfallen. Dies erklärt nach Ansicht Löschels auch die Probleme bei der Erreichung der Klimaziele in Deutschland: “Klimaschutzpolitik kostet erst einmal und der damit einhergehende Nutzen verteilt sich auf der ganzen Welt und kommt den zukünftigen Generationen zugute. Bei einer effizienten Umsetzung dürften aber auch die deutschen Klimaziele nicht zu massiven Mehrkosten führen.“ So habe selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie kürzlich aufgezeigt, dass eine Minderung von 80 Prozent in Deutschland technisch möglich und bei einer ökonomisch sinnvollen Umsetzung auch volkswirtschaftlich kaum mit Extrakosten verbunden sein müsse, so Löschel. “Das setzt aber z.B. die Nutzung einer CO2-Bepreisung zur Minderung der Emissionen und eine weitreichende Technologieoffenheit voraus – und dieses Vorgehen müsste natürlich auch für den Kohleausstieg gelten.“

Das Pariser Abkommen gehe aber noch weiter und erfordere eine weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050 – in Deutschland auch davor -, sagt der Experte. “Die Erreichung dieses Zieles dürfte mit weit höheren Kosten für Deutschland einhergehen, insbesondere wenn andere Länder nicht mitziehen.“

“Recht hat Svenja Schulze damit, dass es für die Gesellschaft als Ganzes langfristig immer teurer wird, wenn man nichts gegen den Klimawandel unternimmt“, sagt Niklas Höhne. Der Mitverfasser der Berichte des Weltklimarats (ipcc) sagt, die Schäden durch Klimawandel können auf bis zu 20 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts ansteigen. Die Gesamtkosten zur Reduzierung der Emissionen machten dagegen “nur“ ein paar Prozent aus. “Für einzelne Akteure oder kurzfristig mögen die Kosten für Klimaschutz überwiegen, aber für alle zusammen und langfristig lohnt es sich immer“, sagt Höhne.

Er hält die Kosten des Kompromisses der Kohlekommission allerdings für relativ hoch, da Ausgleichszahlungen an fast alle Akteure vorgesehen seien. “Eine Entschädigung für Kohleregionen und ärmere Haushalte ist unerlässlich, aber eine Entschädigung für Stromversorger, die heute Kohlekraftwerke betreiben, ist fragwürdig“, sagt Höhne. Kohlekraftwerke auf der ganzen Welt stünden unter enormem wirtschaftlichem Druck, da Strom aus Wind und Sonne wettbewerbsfähig werde, so Höhne. “Dies und ein gut funktionierender Preis für CO2-Emissionen hätte die Kohle aus dem Markt getrieben, ohne jedoch die Stromversorger zu entschädigen“, ist sich Höhne sicher.

Erneuerbare Energie, Energiepreise und Trittins Versprechen

Jürgen Trittin hat 2004 versprochen, die Energiepreise werden monatlich nicht höher steigen als die Kosten für eine Kugel Eis. Auch Heike Holdinghausen ist sicher, dass es für den Verbraucher langfristig günstiger wird, wenn Deutschland die erneuerbaren Energien weiter ausbaut.

“Die Energiewende gibt es nicht umsonst“, stellt Andreas Löschel klar. Bei der Diskussion um höhere Energiekosten gehe es zunächst einmal um die Förderung der erneuerbaren Energien, so der Volkswirt. “Die Vergütung an die Betreiber erneuerbarer Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz betrug - abzüglich der Erlöse - im Jahr 2017 mehr als 23 Milliarden Euro oder 6,8 Cent je kWh. Ein Durchschnittshaushalt mit einem Stromverbrauch von 4.400 kWh/Jahr gibt fast 1300 Euro pro Jahr für Strom aus, davon entfallen etwa 300 Euro auf die Förderung erneuerbarer Energien“, sagt Löschel. Zusätzlich entstünden zunehmend regionale Ungleichgewichte zwischen Elektrizitätserzeugung und –nachfrage, die vor allem durch einen erheblichen Netzausbau behoben werden müssten, welcher ebenfalls zusätzliche Kosten verursacht.

“Klimaschutz und Steigerung der Energieeffizienz zur Erreichung der Klimaziele verursachen zunächst einmal weitere Kosten. Es ist aber festzuhalten, dass nach einem starken Kostenanstieg seit dem Jahr 2000 die Letztverbraucher – Haushalte und Unternehmen – in den letzten Jahren keine weiteren Steigerungen der Ausgaben für Strom in Summe hinnehmen mussten“, sagt Löschel. Der Energieexperte erklärt, dass hierbei nur die Kosten betrachtet werden dürften, die durch die Maßnahmen der Energiewende zusätzlich verursacht werden: “Zusätzlich müssten eingesparte Kosten, etwa für den Import von fossilen Ressourcen, abgezogen und der Umweltnutzen in diesen Überlegungen eingepreist werden.“ Dennoch werde das Versprechen von Jürgen Trittin aus dem Jahr 2004 nicht eingehalten, stellt Löschel klar. Der ehemalige Bundesumweltminister warb im Sommer 2004 für die erste Novelle des „Erneuerbaren-Energien-Gesetz“: „Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet - so viel wie eine Kugel Eis,“ so Trittin damals.

Langfristig aber sei die Betrachtung eine andere, so Löschel: “Bereits heute liegen die Vergütungen für erneuerbare Energien nicht mehr stark über den Marktpreisen für die Bereitstellung von Strom aus fossiler Stromerzeugung – oftmals auch schon darunter. Mit sinkenden Technologiekosten beim Ausbau erneuerbarer Energien und steigenden fossilen Energieträgerpreisen und CO2-Preisen wird ein Stromsystem auf Basis erneuerbarer Energien zunehmend attraktiv.“ Allerdings seien auch hier die Integrationskosten bei einem hohen Anteil von Wind- und Solarstrom zu betrachten, sagt Löschel. “Zwar muss ein erneuerbares Stromsystem insgesamt nicht mehr als ein kohle- oder gasbasiertes Stromsystem kosten. Allerdings entstehen im Übergang von dem bisherigen auf das neue Stromsystem hohe Investitionserfordernisse, die entsprechend zu tragen sind.“ Neben den ökonomischen Betrachtungen würden zunehmend Aspekte wie Akzeptanz des weiteren Ausbaus von Solar- und insbesondere Windstrom ins Blickfeld rücken, erwartet Löschel.

Jan Fleischhauer über Klimabilanz von E-Autos

Der Journalist Jan Fleischhauer sagt, die Ökobilanz eines Elektroautos sei im Vergleich zu der eines Autos mit Verbrennungsmotor gar nicht so gut. Erst nach 120.000 Kilometern Fahrleistung habe das E-Auto im Vergleich zum Verbrenner eine positive Klimabilanz.

"Die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien ist natürlich mit Umweltlasten verbunden, am besten untersucht ist dies für die Klimabilanz", sagt Hinrich Helms. Helms forscht am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) zur Elektromobilität und deren Umweltauswirkungen. "Nach 150.000 Kilometer Lebensfahrleistung steht für das Elektroauto in der Regel eine positive Klimabilanz gegenüber dem Verbrenner, im städtischen Einsatz schon deutlich früher," sagt Helms.

Dabei hänge die Klimabilanz der Batterieherstellung entscheidend von den Produktionsbedingungen und Ländern ab, so der Experte. "Heute gibt es noch zahlreiche Produktionsanlagen die keiner Serienfertigung im großen Maßstab entsprechen. Zusätzlich ist der Strommix in den heute dominierenden Fertigungsländern - neben Europa vor allem Japan, Korea, China und USA - noch stark fossil geprägt", sagt der Mobilitätsforscher. Allerdings gebe es schon sehr effiziente Fertigungsanlagen die verstärkt auf erneuerbare Energie setzen, so Helms.

Allerdings werde der "Geburtsnachteil" des Elektroautos in der Regel während der Nutzungsphase auch heute schon ausgeglichen, sagt der Forscher. Dies liege an der hohen Effizienz des Elektromotors und dem Einsatz erneuerbarer Energie in der Stromerzeugung. Darüber hinaus sei im Laufe der Lebenszeit eines Elektroautos mit einem weiteren Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung zu rechnen. Daher verbessere sich die Klimabilanz fortlaufend, ist sich Helms sicher. Wichtig für Elektroautos sei die langfristige Perspektive: "Ohne den Einsatz erneuerbarer Energien sind die langfristigen Klimaschutzziele im Verkehr nicht zu erreichen. Und hier bietet die direkte Nutzung von Strom die effizienteste Möglichkeit erneuerbare Energien im Verkehr einzusetzen."

Niklas Höhne hält die Aussage, die Ökobilanz von Elektroautos sei grundsätzlich nicht besser als von Verbrennern für falsch. Auch er setzt auf den stetigen Anstieg erneuerbarer Energien zur Nutzung von Elektroautos. "Es kommt maßgeblich auf die Annahmen der genutzten Energie bei der Produktion und des Stroms für’s Fahren an. Da zur Zeit der meiste Strom noch aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird, ist die Ökobilanz von Elektroautos nur leicht besser als von Verbrennern." Das Stromsystem ändere sich aber rasant hin zu erneuerbaren Energien mit erheblich besserer Ökobilanz, so Höhne. "Wenn also zur Herstellung und während der Nutzung ausschließlich hochwertiger Ökostrom verwendet wird - was einige Hersteller bereits tun und was man beim Tanken selber entscheiden kann - ist die Ökobilanz von Elektroautos schon nach wenigen tausend Kilometern besser als bei Verbrennern", sagt Höhne. Da wir für effektiven Klimaschutz Treibhausgasemissionen auf null senken müssten, hält er den Umstieg auf Alternativen zum Verbrennungsmotor für unerlässlich.

Stand: 05.02.2019, 08:08 Uhr