Sprachlos, verständnislos, wütend: Wie gespalten ist Deutschland?
Der Faktencheck zur Sendung vom 17.12.2018
Arm gegen Reich, Ost gegen West, Fremdenangst gegen Multikulti: Deutschland 2018 ist gespalten. Leben wir zwar in einem Land, aber in unterschiedlichen Welten? Warum entstehen aus Streit so oft Wut und Hass? Und wie können wir lernen, einander wieder zuzuhören?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Dirk Roßmann über junge Muslime und Studien
Dirk Roßmann sagt, es gebe Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KfN), die belegen, dass junge Muslime immer häufiger in Moscheen gehen und sich hierdurch immer weiter von der "deutschen Kultur entfernen" und sich immer "weniger deutsch" fühlen.
Das KfN hat auf Nachfrage bestätigt, dass es in regelmäßigen Abständen eine repräsentative Befragung zur Religiosität und Religionsausübung von Schülern der 9. Klasse in Niedersachsen durchführt. Die aktuellsten Daten beziehen sich auf den Zeitraum 2013-2015. Demnach sei der Anteil muslimischer Jugendlicher, die in den letzten 12 Monaten eine Moschee besucht haben, signifikant angestiegen, so das KfN. Auf die Frage „wie oft besuchst du eine Gotteshaus (Kirche, Moschee, Synagoge)“ antworteten Schüler muslimischen Glaubens 2013 zu 21,3 Prozent in der Kategorie „einmal pro Woche bis täglich“, 2015 waren es 29,4 Prozent.
Der Anteil muslimischer Jugendlicher, die sich selbst als „deutsch“ wahrnehmen sei zwischen 2013 und 2015 von 32 auf 26 Prozent gesunken, sagt der Direktor des KfN Michael Bliesener. Von einer signifikanten Veränderung könne man bei diesem Aspekt jedoch nicht sprechen, so der Kriminologe.
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage betrifft die ablehnende Haltung zu Deutschen. Demnach hat der Anteil muslimischer Jugendlicher, der deutschenfeindlich eingestellt ist, deutlich abgenommen. Haben 2013 noch 6,4 Prozent deutschenfeindlichen Aussagen zugestimmt, waren es 2015 nur 3,1 Prozent. Für 2017 rechnet das KfN wieder mit leichten, aber nicht signifikanten Zuwächsen.
Zum Thema Integration, Religiosität oder Lebensbedingungen von Muslimen in Deutschland gibt es eine Vielzahl von Studien. Dass muslimische Jugendliche im Vergleich zu ihren nichtmuslimischen Altersgenossen religiöser sind, ist nicht neu. Schon die Shell-Jugendstudie kam zu dieser Erkenntnis.
"Gerade für junge Muslime spielt die Religion eine bedeutende Rolle, zumal im Vergleich zu den nichtmuslimischen Altersgenossen", sagt auch der Migrations- und Integrationsforscher Prof. Dirk Halm. Er stellt aber klar: “Das heißt nicht, dass starke Religiosität bei muslimischen Jugendlichen mit Extremismus gleichgesetzt werden kann oder automatisch zu Gewaltbereitschaft führt.“ Dennoch bestehe aber eine Gemengelage, die die Radikalisierung einzelner Jugendlicher fördern kann, so Halm.
Betrachtet man alle Muslime, so zeigen Studien durchaus auch Erfolge bei der Integration sowie ein hohes Maß an Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland. Die Bertelsmannstiftung untersucht in regelmäßigen Abständen die Lebensverhältnisse von Muslimen in Deutschland. Für den jüngsten “Religionsmonitor“, der 2017 veröffentlicht wurde, gaben 77 Prozent der Befragten Muslime an, sich neben ihrem Heimatland auch mit Deutschland verbunden zu fühlen. 19 Prozent der Muslime fühlten sich sogar nur mit Deutschland verbunden. Bei lediglich drei Prozent war dies nur beim Herkunftsland der Fall.
Eine Umfrage unter Türkischstämmigen in Deutschland im Auftrag der Uni Münster kam 2016 zu noch deutlicheren Ergebnissen: 87 Prozent der Befragten gaben an, eine enge oder sehr enge Verbundenheit mit Deutschland zu empfinden. Bei 70 Prozent war der Wille zur Integration vorhanden. Die Studie zeigt aber auch, dass Türken aus der zweiten und dritten Generation sich deutlich weniger verpflichtet fühlen, sich der deutschen Kultur anzupassen als dies noch bei den Türken aus der ersten Generation der Fall war. Nur 52 Prozent stimmen der Aussage zu, Muslime sollten sich der deutschen Kultur anpassen. Bei den Türken aus erster Generation sind es 72 Prozent. Anders stellt sich das Bild bei Fragen des religiösen Fundamentalismus dar: Während für 57 Prozent der Befragten aus der ersten Generation die Gebote des Islam wichtiger sind als die deutschen Gesetze, stimmten dem nur 36 Prozent aus der 2. Und 3. Generation zu.
Stand: 18.12.2018, 15:11 Uhr