Hier Funkloch, da Schlagloch: Ist Deutschland ein Sanierungsfall?
Der Faktencheck zur Sendung vom 10.12.2018
Das Handy ohne Empfang, der Zug ständig verspätet, Autofahren endet im Dauerstau. Die Wut vieler darüber Bürger wächst: Muss der Alltag in Deutschland so aussehen? Wird zu viel gespart, zu wenig saniert? Wann packen Politik und Konzerne die Probleme endlich richtig an?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Lina Ehrig über Handynutzer und zugesagte Geschwindigkeit
Die Telekommunikationsexpertin der Verbraucherzentrale, Lina Ehrig, sagt, nur 1,6 Prozent der Handynutzer bekommen die Geschwindigkeit, die ihnen von ihrem Mobilfunkanbieter auch versprochen wurde.
Das Stimmt. Tatsächlich wurde die vertraglich vereinbarte Datenübertragungsrate bei mobilen Breitbandanschlüssen bei lediglich 1,6 Prozent der Nutzer erreicht oder überschritten. Das geht aus dem Jahresbericht 2016/17 zur Breitbandmessung der Bundesnetzagentur hervor. Das ist ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Im Bericht 2015/16 waren es immerhin noch 3,4 Prozent der Handynutzer, die sich über den vollen Umfang der Datenübertragung freuen konnten. Betrachtet man alle Bandbreitenklassen im Bereich mobiles Internet, wird das Bild nicht besser: Nur 18,6 Prozent der Handybesitzer erreichten mindestens die Hälfte der vereinbarten Übertagungsgeschwindigkeit. Auch hier stellt die Bundesnetzagentur einen deutlichen Rückgang zum Vorjahr fest: Für den Bericht 2015/16 zählte sie noch 27,6 Prozent, die mindestens die Hälfte der vereinbarten Datenübertragung erreicht hatten.
Hermann Lohbeck über Bahn und Güterverkehr
Der Chef des Landmaschinenherstellers “Claas“, Hermann Lohbeck, wünscht sich mehr Güterverkehr auf den Schienen und weniger auf den Straßen. Hierfür aber mangele es der Bahn an modernem und digitalem Management. Hat er Recht?
"Die Behauptung ist nicht falsch, aber wohl nicht der Hauptgrund, warum die Verlagerung nicht funktioniert", sagt Christian Böttger, Professor am Bereich Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für Technik und Wissenschaft Berlin. Eine Verkehrsverlagerung sei zwar auf breiter Front erwünscht, auch die Bundesregierung bekenne sich zu diesem Ziel, so der ausgewiesene Bahn-Experte. Alleine schlechtes und fehlendes digitales Management für die Defizite verantwortlich zu machen, ist Böttger aber nicht differenziert genug. "Aus meiner Sicht - mit der ich nicht alleine stehe - besteht das Hauptproblem in den Regeln", sagt Böttger. Der Bahnexperte hat in einer Untersuchung die Kosten verschiedener Verkehrsträger verglichen. "Die auf der Straße entstehenden Kosten werden nicht näherungsweise über die Mineralölsteuer, Kfz-Steuer und LKW- Maut abgedeckt. Auch weitere Regeln wie beispielsweise die Lenkzeiten werden auf der Straße nicht ernsthaft kontrolliert", sagt der Experte.
Seiner Ansicht nach lässt die Politik ihren Zielen keine Taten folgen. Ähnliches gelte für die Investitionen, sagt Böttger: "Für eine Verdoppelung des Schienenverkehrs haben Experten bis 2030 einen Kapitalbedarf zum Ausbau der Schieneninfrastruktur von ca. 80 Mrd. Euro abgeschätzt. Im Bundeshaushalt sind ca. 20 Mrd. Euro eingeplant." Mit Sicherheit lasse sich sagen, dass es bei der Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn (DB Cargo) Managementprobleme gebe, so der Verkehrsexperte. So seien etwa nicht alle IT-Systeme auf dem neuesten Stand, so Böttger. Darüber hinaus solle die Politik in Sachen Führungspersonal etwas genauer hinsehen, fordert er: "Für ein Jahr war der Posten des Güterverkehrsvorstandes im Konzern nicht besetzt, weil sich die Politiker im Aufsichtsrat blockierten. Letztes Jahr wurde ein Investmentbanker zum Vorstand gemacht, der jetzt wieder auf den Posten des Finanzvorstands wechselt", sagt der Experte. Er beklagt die hohe Fluktuation im Vorstand von DB Cargo. Alle Vorstände, die 2016 berufen wurden, seien bereits wieder weg.
“Dass die Bahn nur noch einen kleinen Teil des Güterverkehrs transportiert, ist die Folge eines jahrzehntelangen Entwicklungsprozesses, in dem sich die Industrie immer mehr auf den Lkw ausgerichtet hat“, meint Prof. Gernot Liedtke, Leiter der Abteilung Wirtschaftsverkehr am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das produzierende Gewerbe habe seine komplexen firmenübergreifenden Produktionsketten erst auf Basis des Lkw aufbauen können, erklärt der Verkehrsforscher. “Den Transport kleiner Mengen, wie z.B. wenige Paletten, punktgenaue Zulieferung, höchste Flexibilität – das alles bietet der Lkw. Und noch mehr: die moderne Kontraktlogistik bietet Lagerung, Transport, Kommissionierung usw. auf Basis von Lkw-Transportnetzwerken an.“ Die Bahn sei diesen Entwicklungsprozess hin zur modernen Transportlogistik nie konsequent mitgegangen und konzentrierte sich auf Massenguttransporte und seit einigen Jahren auch auf die Verkehre mit Containern von und zu den Seehäfen, so Liedtke.
Die Digitalisierung des Schienengüterverkehrs sei zwar wichtig, sagt der Experte. Um aber die Bahn aber aus ihrer Nische herauszuholen, müsse an vielen Stellschrauben gedreht werden. Hierzu zählen nach Ansicht Liedtkes unter anderem massenleistungsfähige Umschlaganlagen auf die Schiene, wettbewerbsfähige Angebote, zuverlässige Infrastruktur für zuverlässige Logistikketten, Kundenorientierung und das Anbieten von Mehrwertdienstleistungen. “Es geht auch um Unternehmertum, Investitionsbereitschaft, Visionen und gutes Management“, sagt der Verkehrsexperte.
Frank Thelen über die Deutsche Bahn und digitale DNA
Der Unternehmer Frank Thelen sagt, die Deutsche Bahn sei kein exzellentes digitales Unternehmen. Viele Prozesse würden noch analog ablaufen – etwa bei Bahntickets oder Rückerstattungen. Er wünscht sich, dass die Bahn eine "digitale DNA" entwickelt. Wie sehr hinkt die Bahn in Sachen Digitalisierung tatsächlich hinterher?
"Ich glaube nicht, dass die Bahn in digitaler Hinsicht weit zurückliegt", sagt Christian Böttger. In einigen Bereichen habe sie großartige Systeme, sagt der Bahnexperte und nennt den DB-Navigator als Beispiel. Es müsse anerkannt werden, dass das System Deutsche Bahn gewaltig ist – etwa im Vergleich zur Lufthansa. Dies werde alleine schon bei der Anzahl unterschiedlicher Ticketpreise deutlich: Während die Lufthansa bei rund 200 Zielen nur einige hundert verschiedene Preise anbieten müsse, weil sie in der Regel nur eine Strecke von A nach B abrechnet, summierten sich die möglichen Preiskombinationen bei der Bahn mit ihren rund 5000 Bahnhöfen auf mehrere Millionen, erklärt Böttger.
"Das Vorantrieben der Digitalisierung ist natürlich ein kontinuierliches Thema für jedes Unternehmen", stellt der Infrastrukturexperte klar. Auch die Bahn arbeite in vielen Bereichen daran, im digitalen Zeitalter Schritt zu halten. Hierzu zählten etwa Instandhaltung, Planung, Drohneninspektion und auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhende Diagnoseverfahren, so Christian Böttger.
Peter Altmaier über Hindernisse bei Infrastruktur-Projekten
Peter Altmaier sagt, oftmals könnten Gelder für Infrastrukturmaßnahmen gar nicht ausgegeben werden, weil die Planungszeiten in Deutschland “viele, viele Jahre“ in Anspruch nehmen würden. Steht neuen Infrastruktur-Projekten in Deutschland zu viel Bürokratie im Weg?
"Die Verkehrsbehörden haben in der Tat die Planung verlernt“, sagt auch Prof. Gernot Liedtke. In vielen Bundesländern seien die Straßenbaubehörden bis auf ein Minimum geschrumpft, und es wird wenig neu gebaut und damit geplant. “Kommt jetzt plötzlich ein Geldregen, so gibt es wenige baureife Projekte in der Schublade und wenig Planungskapazität“, sagt der Experte für Infrastruktur. Daher sei eine kontinuierliche Mittelbereitstellung für Neubau und Erhaltung sehr wichtig. “Sicher spielen auch bürokratische Hürden, komplizierte Regelwerke, sowie lange Planfeststellungsverfahren mit vielen Gerichtsprozessen eine Rolle, so Liedtke. Er stellt fest, dass viele Großvorhaben vollkommen scheitern oder sich in die Länge ziehen, da der gesellschaftliche Konsens für solche Projekte nicht mehr vorhanden ist.
Frank Thelen über "Roaming" im Festnetz
Frank Thelen sagt, im deutschen Festnetz gebe es bereits “Roaming“. So profitiere beispielsweise 1&1 von der Infrastruktur der Deutschen Telekom. Man könne auch von “Schmarotzertum“ sprechen.
“Der Begriff Schmarotzertum für 1&1 ist völlig unangebracht", sagt Dr. Iris Henseler-Unger, Direktorin des wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) und ehemalige Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur. Roaming im Mobilfunk und die so genannte Zugangsgewährleistung im Festnetz seien außerdem nicht miteinander vergleichbar. “Roaming ist ein Vorgehen im Mobilfunk, mit dem vor allem sichergestellt wird, dass der Nutzer bei einem Grenzübertritt mobil weiter telefonieren kann, also ein deutscher Mobilfunkkunde etwa in der Schweiz, ohne dass der Endkunde einen separaten Vertrag mit dem ausländischen Mobilfunkunternehmen abschließen muss.“ Hierfür bezahle der Endkunde normalerweise seinem nationalen Mobilfunkanbieter eine höhere Gebühr – was allerdings nicht innerhalb der EU gilt - und die Mobilfunkunternehmen untereinander begleichen die erforderlichen Vorleistungen, so die Telekommunikationsexpertin.
Im Festnetz dagegen können die Wettbewerber des Ex-Monopolisten Telekom auf bestimmte Vorleistungen zurückgreifen, die sie benötigen, um ihren Endkunden Produkte anbieten zu können, erklärt Iris Henseler-Unger. Hierzu zählen unter anderem die Teilnehmeranschlussleitung und Mietleitungen, welche von der Bundesnetzagentur reguliert werden. Stellt die Bundesnetzagentur eine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens fest, so bestimmt sie unter anderem die Bedingungen für den Zugang für andere Telekommunikationsunternehmen und die zu diesen Vorleistungen fälligen Entgelte, die die Wettbewerber dafür bezahlen müssen.
“Der Endkunde hat nur Kontakt mit ‘seinem‘ Anbieter von Telekommunikation, nicht jedoch mit irgendeinem sonstigen Unternehmen, das gegebenenfalls Vorleistungen beisteuert“, sagt die Expertin. Sie stellt klar: “Die Wettbewerber der Deutschen Telekom, die deren Vorleistungen aufgrund der durch die Bundesnetzagentur regulierten Entgelte in Anspruch nehmen, bezahlen der Telekom je nach Kundenzahl hohe Beträge.“ Auch 1&1 zahle für die in Anspruch genommenen Vorleistungen Entgelte an die Telekom und trage damit gemeinsam mit seinen Kunden zur besseren Auslastung der Telekom-Netze bei, sagt Henseler-Unger.
1&1 zahlt nach Angaben eines Sprechers für die Nutzung vorhandener Leitungen einen hohen dreistelligen Millionenbetrag an die Deutsche Telekom.
Stand: 11.12.2018, 16:07 Uhr