Das kriminelle Netz der Clans - sind Justiz und Polizei machtlos?

Der Faktencheck zur Sendung vom 12.11.2018

Drogenhandel, Gewalt, dicke Autos – das zählt in der abgeschotteten Welt der kriminellen Clans. Wie gefährlich sind sie für unsere Sicherheit? Haben Justiz und Polizei zu lange weggeschaut?  Was muss passieren, damit die Söhne der Clans nicht mehr dem Vorbild der Väter folgen?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt hartaberfair nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Petra Leister über den Nachwuchs krimineller Clans

Oberstaatsanwältin Petra Leister sagt, auch Teile der dritten Generation der arabischen Clans - die teilweise den deutschen Pass besitzen – seien bereits in die kriminellen Familienstrukturen hineingewachsen. Der Wille nach einer Anpassung an die deutsche Gesellschaft mit all ihren sozialen oder rechtlichen Normen sei nicht vorhanden. Stimmt ihre Einschätzung?

Dr. Ralph Ghadban ist Politik- und Islamwissenschaftler und gilt als einer der profundesten Kenner der Szene. In seinem neuesten Buch "Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr" beleuchtet er das Phänomen krimineller Clans, deren Strukturen und Entstehungsgeschichte. Er sagt, die Funktion der Clans habe sich in Deutschland verändert. "Im Orient dient die Clansolidarität dem Schutz der Gruppe vor allem gegen Zugriffe des Staates, der oft ausbeuterisch auftritt und fast keine Gegenleistung im Bereich der sozialen Fürsorge anbietet. So ist der Einzelne auf die Unterstützung seiner Großfamilie angewiesen", erklärt der Experte. Dies gelte insbesondere für die arabischen Clans, die im Libanon Flüchtlinge mit weniger Rechten waren.

Obwohl diese Schutzfunktion in Deutschland vom Staat übernommen wird, habe der Clan dennoch überlebt, weil er seine Funktion geändert hat, sagt Ghadban. "Er hat die materiellen Vorteile der Clansolidarität in einer individualisierten Gesellschaft gesehen und die Effizienz der Gruppenauftritte nicht nur gegen Einzelne, sondern auch gegen Polizei, Justiz, Jugendämter, Schulen und überall festgestellt." Kriminelle Clans lehnen unsere Rechtsordnung ab, verachten den Staat und betrachten unser Gemeinwesen als Beutegesellschaft, so Ghadban. Wenn Kinder in diesem Milieu aufwachsen, würden sie von der Haltung geprägt, dass Kriminalität für sie eine Geldquelle, fast einen Beruf darstellt, so das ernüchternde Fazit Ghadbans, der selbst im Libanon geboren wurde.

Olaf Sundermeyer über Kriminalität, Akzeptanz und Familie

Der Journalist Olaf Sundermeyer richtet den Blick nicht nur auf die Bandenmitglieder, die Taten wie Einbrüche und Drogengeschäfte an vorderster Front begehen. Er sagt, auch die Teile der Clans, die legale Geschäfte betreiben, profitieren von den Straftaten. Denn oft könne ein solches Geschäft nur mit dem Geld aus kriminellen Machenschaften betrieben werden. Sundermeyer spricht von einer schweigenden Mehrheit, die die Kriminalität in den Clans akzeptiert und letztlich auch mitträgt. Hat er Recht?

"Der Clan hat Maßnahmen getroffen, um die innere Solidarität der Großfamilie zu stärken", erklärt Ralph Ghadban. Hierzu gehöre unter anderem die Endogamie – also die Heirat innerhalb ihrer eigenen sozialen Strukturen. Am liebsten heirateten sie unter Cousins, sagt der Islamwissenschaftler. "Das geht in unserer offenen Gesellschaft nicht ohne Zwang, genau wie die Ehe mit Minderjährigen, die trotz ihrer Illegalität in manchen Moscheen geschlossen wird."

Ein Hauptgrund für den Zusammenhalt der Gruppe bildet nach Ansicht Ghadbans allerdings das Geld. "Das erbeutete Schwarzgeld muss gewaschen werden und in den legalen Geldkreislauf fließen. Die Clans sind kleine Unternehmer geworden, sie investieren in Kaffees, Restaurants, Schischa-Bars, Bäckereien, Immobilien und Security", sagt er. Selbst für Clanmitglieder, die nicht direkt kriminell geworden sind, böten sie eine Beschäftigung an.

"Die eng verknüpfte Verwandtschaft und die materiellen Interessen führen dazu, dass die Gesamtgruppe die Kriminalität deckt. Eventuellen Abweichlern droht bloße Gewalt", sagt Ghadban. Für ihn in vielen Fällen Grund genug, solche Clans als kriminelle Organisation zu bezeichnen.

Burkhard Benecken über härtere Strafen

Der Rechtsanwalt Burkhard Benecken sagt, härtere Strafen hätten keine abschreckende Wirkung und führten auch nicht zu einem Rückgang der Kriminalität. Dies sei gängiges kriminologisches Wissen.

Tatsächlich sehen zahlreiche renommierte Kriminologen und Rechtswissenschaftler das genauso. “Strafandrohungen sind allenfalls sehr begrenzt ein geeignetes Mittel, um Kriminalität zu reduzieren“, sagt etwa Prof. Thomas Görgen, Kriminologe an der Hochschule der Polizei in Münster. Abschreckender auf die Straftäter wirke die hohe Wahrscheinlichkeit entdeckt, verfolgt und mit Sanktionen belegt zu werden, nicht aber die Ausschöpfung des Strafrahmens, so Görgen. Der obere Strafrahmen benennt demnach die maximale Strafe für den denkbar schwersten Fall in einem Kriminalitätsbereich, sagt der Kriminologe. “Er ist diesen schwersten Fällen vorbehalten und kann keinesfalls zu einem allgemeinen Maßstab gemacht werden“, stellt Görgen klar.

Auch der Rechtswissenschaftler und Kriminologe der Universität Göttingen Prof. Jörg-Martin Jehle sieht das so. Besonders gelte dies für so genannte tatbereite Wiederholungstäter. Der Experte nennt als Beispiel den Wohnungseinbruch, für den der Gesetzgeber in der Vergangenheit die Strafandrohung in mehreren Stufen erhöht habe. “Die Zahlen des Wohnungseinbruchs sind aber davon völlig unabhängig wellenförmig einmal gestiegen, einmal zurückgegangen. Die Vorstellung, ein tatbereiter Wohnungseinbrecher würde sich davon abhalten lassen, wenn ihm eine Freiheitsstrafe von vier Jahren droht, den Wohnungseinbruch aber begehen, wenn er nur zweieinhalb Jahre zu erwarten hat, geht an der Wirklichkeit vorbei“, sagt der Rechtswissenschaftler. Was ihn abhalten könne, sei das Risiko, entdeckt und bestraft zu werden und damit die Vorteile seiner Tat zu verlieren, sagt Jehle.

Der Gründungsdirektor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen, Prof. Helmut Kury, verneinte während seiner langen wissenschaftlichen Laufbahn stets die Wirkung von härteren Strafen. Als beispielhaften Beleg führt Kury eine eigene Untersuchung an: Demnach sei in den USA die Tötungsrate ausgerechnet dort am höchsten, wo noch die Todesstrafe verhängt wird.

Zu der gleichen Erkenntnis kommt der Rechtswissenschaftler an der Uni Konstanz, Prof. Wolfgang Heinz. Seiner Einschätzung zufolge kann die kriminologische Forschung den Effekt sinkender Kriminalitätsraten durch härtere Sanktionen nicht belegen. Heinz sagt, die Möglichkeiten des Strafgesetzgebers, präventiv zu wirken, seien beschränkt. Durch höhere Strafmaße könne kein substantieller Zuwachs an Abschreckung erreicht werden, so der Experte auf einem Vortrag an der japanischen Universität Osaka.

Stand: 13.11.2018, 08:21 Uhr