Özil und die Folgen: Steckt in jedem von uns ein kleiner Rassist?

Der Faktencheck zur Sendung vom 27.08.2018

Nach der Özil-Debatte der Blick in den Spiegel: Wie weit verbreitet sind Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland? Gibt es wirklich die tägliche Ausgrenzung: in Schule, Job, bei der Wohnungssuche? Und wie viele Unterschiede sollte eine Gesellschaft vertragen können?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Mehmet Daimagüler über Messbarkeit von Rassismus

Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler sagt, Rassismus sei durchaus anhand statistischer Daten messbar. Beispielsweise, ob sich jemand mit Migrationshintergrund öfter auf einen Job bewerben muss, als ein Deutscher ohne ausländische Wurzeln. Wie gut ist Rassismus in unserer Gesellschaft tatsächlich messbar?

"Herr Daimagüler liegt mit seiner Einschätzung richtig", stimmt Alex Wittlif zu. Die objektive Messung von Diskriminierung sei möglich, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Dabei gelten experimentelle Testverfahren als Königsweg, so der Soziologe und Migrationsforscher: "In bestimmten Situationen des Alltags - bspw. bei der Bewerbung um eine Mietwohnung – werden dabei Vergleichspersonen eingesetzt, die sich in einem bestimmten Merkmal wie etwa dem Namen unterscheiden. Im Test wird anschließend geprüft, ob eine dritte Person - in diesem Fall der Vermieter - sich gegenüber den Vergleichspersonen identisch verhält oder ob eine Benachteiligung stattfindet."

Solche Testverfahren würden in verschiedenen Bereichen eingesetzt, so Wittlif. So habe der SVR in einer Studie für den Ausbildungsmarkt nachweisen können, dass ein Bewerber mit türkischem Namen 1,5mal häufiger eine Bewerbung als Kfz-Mechatroniker verschicken musste, um ein Vorstellungsgespräch zu erhalten, als ein Bewerber mit deutschem Namen, so der Experte. Ganz ähnlich sah es laut Wittlif im Falle einer Ausbildung zum Bürokaufmann aus. Bewerber mussten 1,3mal häufiger Bewerbungen schreiben, ehe sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. "Die Ungleichbehandlung lässt sich damit für den jeweiligen Sektor zahlenmäßig einordnen. Die Zahlen sind aber nicht einfach auf andere Berufe oder Arbeitsfelder zu verallgemeinern", sagt Wittlif. So könne es sein, dass in anderen Bereichen mehr oder auch weniger diskriminiert wird.

Borwin Bandelow über Morde und Tatverdächtige

Der Angstforscher Borwin Bandelow sagt, für die 400 Menschen, die jährlich durch Morde ums Leben kommen, seien in 40 Prozent der Fälle nichtdeutsche Täter verantwortlich.

Für das vergangene Jahr verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes insgesamt 785 Mordfälle. Hierunter fallen neben den vollendeten Morden (405) auch die Mordversuche. Für alle Fälle ermittelten die Strafverfolger insgesamt 823 Tatverdächtige. 307 hiervon hatten keinen deutschen Pass. Das entspricht einem Anteil von rund 37 Prozent.

Betrachtet man die Tatverdächtigen für die Kategorie "Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen" liegt der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger etwas höher. In insgesamt 2379 Fällen wurden 2017 rund 2700 Tatverdächtige ermittelt. 42 Prozent hiervon waren nichtdeutsche Tatverdächtige.

Karlheinz Endruschat über Aufstiegschancen

Karlheinz Endruschat räumt zwar ein, dass Menschen mit Migrationshintergrund es hierzulande schwerer haben "im Leben nach vorne zu kommen". Dennoch meint der SPD-Politiker, dass die Durchlässigkeit in Deutschland ausreichend sei, um erfolgreich sein zu können. Stimmt seine Einschätzung oder haben Menschen mit Migrationshintergrund heute nach wie vor schlechtere Aufstiegschancen?

"Um an allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben zu können, ist der Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt von entscheidender Bedeutung", sagt Alex Wittlif. Eindeutige Belege für die Existenz von Diskriminierung im Bildungssystem lägen bislang jedoch noch nicht vor, so der Experte vom SVR. Auch Wittlif verweist zwar auf einige Studien, die Hinweise darauf liefern, dass Schülerinnen und Schüler auch bei gleicher Leistung schlechter benotet werden (Anm. d. Red.: siehe Studie zu Diktatbenotung unten). Andere Analysen hätten ähnliche Effekte jedoch nicht nachweisen können. Wittlif stellt aber klar: "Die Chancen auf berufliche Teilhabe und Selbstverwirklichung werden allerdings durch die belegten Benachteiligungen im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt massiv beeinträchtigt. Unabhängig davon, wie durchlässig die Systeme in Deutschland objektiv sind: es kommt immer auch darauf an, wie die Aufstiegschancen subjektiv wahrgenommen werden." So fühle sich ein nicht zu vernachlässigender Teil der Zuwanderer diskriminiert, sagt Wittlif. Laut SVR-Integrationsbarometer 2016 hätten 54 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland von erlebter Benachteiligung berichtet. "Die objektiv nachgewiesene Diskriminierung und damit die schlechteren Aufstiegschancen werden damit auch von den Betroffenen wahrgenommen", sagt Witliff.

Diktatvergleich – Murat versus Max

Forscher der Universität Mannheim konnten zeigen, dass Grundschulkinder mit vermeintlichem Migrationshintergrund von angehenden Lehrern für ein Diktat schlechter benotet werden als Grundschüler mit deutschen Wurzeln.

Für die Studie wurde 204 Pädagogik-Studenten ein Diktat zur Benotung vorgelegt. Eine Gruppe bewertete das Diktat von "Max", eine zweite Gruppe das identische Diktat von "Murat". Obwohl die im Diktat enthaltenen Fehler dabei die gleichen waren, wurde das Diktat des Schülers mit vermeintlich türkischen Wurzeln um 0,3 Notenpunkte schlechter bewertet. Meike Bonefeld, Leiterin der Studie am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie, erhofft sich durch die Ergebnisse Verbesserungen in der Lehrerausbildung. Noten sollten künftig nach objektiveren Standards vergeben werden, so die Wissenschaftlerin.

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam der Lehrstuhl bereits im vergangenen Jahr. Die Forscher der Uni Mannheim untersuchten über einen Zeitraum von zwei Jahren, wie sich der Migrationshintergrund von Gymnasiasten auf ihre Mathematik-Noten auswirkte. Auch hier wurden Kinder mit Migrationshintergrund schlechter benotet – bei gleichem sozialen Umfeld und Sprachkenntnissen wie bei Schülern ohne Migrationshintergrund.

Stand: 28.08.2018, 07:41 Uhr