Mieten zu hoch, bauen zu teuer - wenn Wohnen arm macht!
Der Faktencheck zur Sendung vom 28.05.2018
In Städten und Boom-Regionen explodieren die Mieten. Warum sind Wohnungen vielerorts Mangelware? Muss der Staat die Mieter stärker vor Spekulanten schützen? Und auch Vorschriften kippen, die Bauen und Wohnen unerschwinglich machen?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Katja Suding über Politik als Preistreiber
Katja Suding (FDP) sagt, die unzähligen Bauvorschriften seien der Preistreiber Nummer eins beim Wohnungsbau. Hat sie Recht?
Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg bewertet die Kostenentwicklung im Wohnungsbau differenzierter. "In einer Studie für das Bundesumweltministerium aus dem November 2015 kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum von 2000 bis 2014 rund 38 Prozent der Kostensteigerung im Wohnungsbau auf Anforderungen von Kommunen und Bund/Ländern zurückzuführen waren, wobei der größere Teil hiervon auf Anforderungen des Bundes/Länder entfiel."
Mit 48 Prozent seien allerdings die Baupreise und Nebenkosten noch maßgeblicher für die Preissteigerungen gewesen, so der Experte. Weitere 13 Prozent der Gesamtkosten im Wohnungsbau würden durch die Bodenpreise erklärt. Eine Auswertung des Pestel-Instituts komme zu dem Schluss, dass die Baupreise in erster Linie durch die Entwicklungen bei Löhnen und Gehältern im Bau sowie bei den Materialkosten getrieben werden, erklärt Just.
Recht hätte Katja Suding dann, sagt der Experte, wenn man die Preissteigerung von 48 Prozent, die auf die Baupreise und Nebenkosten entfallen, in weitere Kategorien aufschlüsseln würde (Lohn, Gehalt, Material, Nebenkosten). Allerdings sei nicht geregelt, wie die richtige Kostengruppeneinteilung für solche Vergleiche vorzunehmen ist, sagt der Immobilienexperte. Er differenziert daher in zweierlei Hinsicht: "Erstens, die Bauvorschriften waren einer der wichtigen Preistreiber beim Wohnungsbau. Zweitens, die konkrete Aufteilung der Kostenanteile und damit der Kostentreiberanteile ist regional sehr unterschiedlich." So spielten beispielsweise die Baulandpreise in Berlin sowohl in ihrer absoluten Höhe als auch in ihrer Dynamik eine wichtigere Rolle für die Kostenentwicklung als die Baulandpreise im Harz, erklärt Just. Er untermauert die regionalen Unterschiede mit Zahlen: "Für Deutschland insgesamt haben sich die Bodenpreise von 2008 bis 2017 'nur' um 50 Prozent nach oben bewegt. In angesagten Berliner Quartieren haben sich die Bodenrichtwerte in diesem Zeitraum verzehnfacht. In diesen Quartieren dürfte die Bodenpreisdynamik der zentrale Kostentreiber gewesen sein." Regionale Unterschiede seien also sehr wichtig, sagt Just. Ähnliches gelte für die kommunalen oder landesspezifischen Regulierungen, die eben auch nicht bundeseinheitlich sind, so der Experte.
Klaus-Peter Hesse über Wohnbaukonzepte der Kommunen
Der Geschäftsführer des ZIA, Klaus-Peter Hesse, beklagt die Konzepte der Städte beim Wohnungsbau. Durch die gängige Drittelung in Sozialwohnungen, in frei finanzierte Wohnungen und in Mietwohnungen würde vor allem die Mittelschicht vernachlässigt und falle "hinten runter". Stimmt seine Einschätzung?
"Diese Aussage geht von der Annahme aus, dass sich Sozialwohnungen an die unteren Einkommensschichten richten, der frei finanzierte Wohnungsbau eher für hochwertige Angebote sorgt und die Mietwohnungen entsprechend für die Mittelschicht bestimmt sind", sagt Tobias Just. Allerdings gebe es keine geschützte Definition für den Begriff "Mittelschicht", so Just.
"Folgt man dem DIW, das Mittelschicht als jene Gruppe definiert, die vereinfacht gesprochen zwischen 70 und 150 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verdient, gehören zur Mittelschicht in Deutschland also zwischen 50 und 60 Prozent der Bevölkerung. Entsprechend wären in der Tat die Angebote für die oberen und unteren Schichten zu groß", sagt Just. Dies unterstelle jedoch, dass es keine Filterprozesse zwischen den einzelnen Wohnungssegmenten gebe. "Wenn es im oberen Segment zu viel Angebot gibt, werden die Mieten dort sinken und die Mittelschicht käme vergleichsweise günstig an hochwertigen Wohnraum ran – leider erst mit deutlicher Verzögerung", erklärt der Wissenschaftler. Umgekehrt übe die Mittelschicht Druck auf das untere Ende des Segments des einfachen Wohnens aus, was unter Umständen negative Auswirkungen auf die Bevölkerungsgruppe mit geringen Einkommen haben kann, so Just. Er fasst zusammen: "Die Aussage ist kurzfristig wahrscheinlich richtig, langfristig hängt sie davon ab wie groß das gesamte Bauvolumen über alle Bevölkerungsgruppen ausfällt, wie stark also die Filterprozesse ausfallen können."
Christine Hannemann über falsche Neubauten
Die Wohnsoziologin Christine Hannemann räumt ein, dass zurzeit viel gebaut wird. Allerdings werde das Falsche gebaut. Normalverdiener wie Polizisten, Busfahrer oder Eisenbahner profitierten hiervon nicht.
Dass der Wohnungsbau in Deutschland seit Jahren im Aufschwung ist, sagt auch Stefan Kofner, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz. So hätten nach Angaben des statistischen Bundesamtes die Wohnungsfertigstellungen von knapp 160.000 im Jahr 2010 auf 278.000 in 2016 zugenommen, so der Experte. Besonders die Wohnungsfertigstellungen in Mehrfamilienhäusern seien stark gestiegen.
Allerdings hätten von diesem Aufschwung überwiegend die Besserverdienenden profitiert. Dies untermauern Daten aus den vergangenen Jahren, sagt der Immobilienexperte: "Die veranschlagten Kosten der Bauwerke bei der Errichtung neuer Wohngebäude pro Quadratmeter sind im Zeitraum 2010-2016 um 23 Prozent gestiegen, im Zeitraum 2000-2007 jedoch nur um 3,4 Prozent."
Auch die Daten zur Entwicklung der Mieten bei Erstvermietungen in den sieben größten Städten sprechen dafür, dass besonders Besserverdienende von Neubauten profitierten, sagt der Immobilienfachmann. So seien die Mieten bei Erstbezug zwischen den Jahren 2011 und 2016 nach Angaben der "Prognos Studie Wohnungsbautag 2017" beispielsweise in Stuttgart um 42 Prozent gestiegen. In München stiegen sie um 34 Prozent, Berlin verzeichnet sogar einen Zuwachs von 76 Prozent. Im Bundesdurchschnitt wuchsen die Mieten für Erstvermietungen um 37 Prozent an, so Kofner.
Katarina Barley über sozialen Wohnungsbau und Grundgesetz
Katarina Barley (SPD) sagt, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern, ändere die Bundesregierung das Grundgesetz.
Damit der Bund den sozialen Wohnungsbau fördern kann, ist tatsächlich eine Grundgesetzänderung nötig. Bis jetzt ist dies Sache der Bundesländer. Die Föderalismusreform im Jahr 2006 war die bisher umfassendste Neuverteilung von Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern. So wurde auch die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau an die Länder übertragen. Zwar bekommen die Länder für diese Aufgabe Finanzhilfen vom Bund, die aber laufen 2019 aus. Wenn sich der Bund darüber hinaus weiter für den sozialen Wohnungsbau engagieren will, müssten Teile der Reform von 2006 – und damit auch Teile des Grundgesetzes - wieder geändert werden.
Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wurde vereinbart, dass der Bund bis zum Jahr 2021 zwei Milliarden Euro alleine für den sozialen Wohnungsbau in die Hand nimmt. Die Koalition strebt an, dass in diesem Zeitraum 1,5 Millionen Wohnungen sowohl frei finanziert als auch öffentlich gefördert gebaut werden. Das Kabinett hat einem entsprechenden Entwurf zur Grundgesetzänderung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bereits zugestimmt.
Stand: 29.05.2018, 11:52 Uhr