Islam ausgrenzen, Muslime integrieren – Kann das funktionieren?

Der Faktencheck zur Sendung vom 09.04.2018

Der Streit geht bis in die Regierung: Gehört der Islam zu Deutschland? Was bedeutet das für die Muslime, für ihre Integration? Und können Muslime bei uns nach dem Koran leben, aber sich gleichzeitig nach dem Grundgesetz richten?

Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Hamed Abdel-Samad über Arbeitslose mit Migrationshintergrund

Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad sagt, 43 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund.

Das stimmt. Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte im vergangenen Jahr eine entsprechende Statistik. Demnach hatten Ende 2016 43,1 Prozent der damals rund 2,5 Millionen Arbeitslosen einen Migrationshintergrund. In Westdeutschland hatten 49,5 Prozent der Arbeitslosen einen Migrationshintergrund, 24,7 Prozent waren es in Ostdeutschland. Besonders hoch lagen die Quoten in Hessen (57,7 Prozent), Hamburg (55,7) und Bremen (55,1).

Hamed Abdel-Samad über Parallelgesellschaften

Für Hamed Abdel-Samad ist die Integration gescheitert. Er sagt, während die Deutschen offener werden, stellen Migranten immer häufiger die religiösen Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft heraus. Dies führe zu einer Abschottung und größer werdenden Parallelgesellschaften. Gibt es diese Entwicklung tatsächlich?

Die Entwicklung verläuft eher umgekehrt“, sagt Dr. Yasemin El-Menouar, Islamwissenschaftlerin und Soziologin bei der Bertelsmann-Stiftung. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen dem Bild, das viele vom Islam und den Muslimen haben, und ihrer tatsächlichen Lebenswirklichkeit, so die Expertin. Der Religionsmonitor aus dem Jahr 2015 habe dies deutlich gezeigt. “Während immer mehr Menschen der Meinung sind, der Islam passe nicht hierher, macht die Integration der Muslime deutliche Fortschritte.“ Integration sei ein langwieriger Prozess, der Generationen andauern könne: “Unter Muslimen, die in den 1960er und 1970er Jahren meist als so genannte Gastarbeiter aus der Türkei, Marokko und anderen islamisch geprägten Ländern nach Deutschland gekommen sind und heute schon in der dritten und vierten Generation hier leben, sind die Integrationsfortschritte deutlich sichtbar“, sagt die Integrations-Expertin.

Konkret habe der Religionsmonitor im vergangenen Jahr gezeigt, dass heute rund drei Viertel der muslimischen Kinder mit der deutschen Sprache aufwachsen, sagt El-Menouar. Dieser Anteil sei über die Generationen kontinuierlich gewachsen. “Auch die Schulbildung und berufliche Qualifikation hat sich im Generationenverlauf deutlich verbessert, auch wenn sie das Niveau des Bundesdurchschnitts noch nicht erreicht haben. Der Religionsmonitor zeigt zudem, dass 90 Prozent der Muslime, die schon länger in Deutschland leben, gute Freundschaftsbeziehungen zu Menschen anderer Religionszugehörigkeit haben und sich 96 Prozent mit Deutschland auch emotional eng verbunden fühlen – für sie ist Deutschland mittlerweile Heimat.“

Joachim Herrmann über Ausländer und Jobs

Joachim Herrmann (CSU) sagt, über 70 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund haben in Bayern einen Arbeitsplatz – so viele, wie in keinem anderen Bundesland.

Das ist richtig. Zu diesem Ergebnis kommt eine im vergangenen Jahr vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Statistik. Demnach lag die Erwerbsquote für Personen mit Migrationshintergrund in Bayern bei 75,2 Prozent und damit so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Durchschnittlich hatten in Deutschland 70,2 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund einen Job. Schlusslicht war Thüringen mit einer Quote von lediglich 58,9 Prozent.

Du‘ A Zeitun über muslimische Jugendliche

Die Streetworkerin Du` A Zeitun sagt, besonders für jugendliche Muslime der dritten Einwanderergeneration stelle sich die Forderung nach Integration als zwiespältig dar. Denn obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind, werde von ihnen verlangt, sich zu integrieren, ohne genau zu wissen, was von ihnen erwartet wird. Haben besonders muslimische Jugendliche Probleme, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden?

“Muslimische Jugendliche werden früh mit Vorbehalten gegenüber ihrer Religion konfrontiert, die durch eine Minderheit von radikalen Islamisten geprägt werden“, sagt Dr. Yasemin El-Menouar. In der öffentlichen Wahrnehmung werde der Islam zunehmend stärker mit Gewalt und Extremismus assoziiert. Über diese verzerrte Wahrnehmung werde ein Gegensatz zwischen Deutschsein und muslimischem Glauben konstruiert, so El-Menouar. Jugendliche, die sich selbst als muslimische Deutsche sehen, nähmen dies als Abwertung wahr. So fühlten sich laut einer Studie der Uni Münster 38 Prozent der Türkeistämmigen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation immer noch als “Bürger zweiter Klasse“ so die Expertin.

“So geraten die Jugendlichen in die Defensive und unter Rechtfertigungsdruck. Sie fühlen sich aufgrund ihrer Religion angegriffen und stigmatisiert“, erklärt El-Menouar. Für eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den “Lebenswelten deutscher Muslime“ hätten muslimische Jugendliche berichtet, dass sie gezwungen sind, im Alltag immer wieder die eigene religiöse Zugehörigkeit zu verteidigen und Vorbehalte zu korrigieren, sagt El-Menouar. “Es zählt zu den Alltagserfahrungen muslimischer Jugendlicher, allein auf ihre Religion reduziert zu werden, selbst dann, wenn sie ihren Glauben nicht praktizieren.“

Dabei hätten sich die Einstellungen der Muslime – insbesondere der zweiten und dritten Generation – mittlerweile stark denen der Mehrheitsbevölkerung angenähert, sagt die Soziologin. So belege der Religionsmonitor, dass sich heute 90 Prozent der Muslime in Deutschland zur Demokratie und 83 Prozent zur Gleichberechtigung bekennen. Für El-Menouar führt das öffentliche Negativ-Image des Islam dazu, dass dieser Einstellungswandel kaum wahrgenommen und die Leistungen muslimischer Jugendlicher wenig anerkannt werden. “Es wird allgemein verkannt, dass Muslime hierzulande längst heimisch geworden sind und eigenständige, pragmatische Wege gefunden haben, ihre Religiosität mit dem Leben in einer säkularen Gesellschaft in Einklang zu bringen“, sagt El-Menouar.

Hamed Abdel-Samad über Ditib-Förderung

Hamed Abdel-Samad sagt, die Bundesregierung fördere die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) mit Millionengeldern.

Das trifft für das Jahr 2018 in dieser Dimension nicht mehr zu. Das Bundesinnenministerium kürzte die Fördermittel für den umstrittenen Islamverband Ditib in diesem Jahr deutlich. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor. Demnach wird Ditib in diesem Jahr nur noch mit rund 300.000 Euro gefördert. Im Jahr 2017 waren es noch 1,47 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor lag die Förderung sogar noch bei über drei Millionen Euro.

Stand: 10.04.2018, 09:27 Uhr