Der stille Tod der Bienen - wer vergiftet unsere Natur?
Der Faktencheck zur Sendung vom 04.12.2017
Der Streit um Glyphosat zeigt: In der modernen Landwirtschaft geht ohne Chemie nichts mehr. Wie gefährlich ist das? Sterben bei uns wirklich die Insekten durch Agrar-Gifte und Monokulturen? Und welchen Preis zahlen wir und die Bienen für unser billiges Essen?
Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Ranga Yogeshwar über Neonicotinoide und Insektensterben
Der ARD-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, sagt, es gebe erste Hinweise darauf, dass die so genannten Neonicotinoide mitverantwortlich für den Rückgang der Insektenpopulationen sind. Wie stichhaltig sind diese Hinweise tatsächlich?
Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen, gibt unserem Gast Recht. Es gebe mittlerweile zahlreiche, gut belegte und gut publizierte Studien, die den negativen Einfluss von Neonicotinoiden auf Honigbienen wie auch Wildbienen belegen, sagt Tscharntke, der unter anderem die Interaktion von Insekten und Pflanzen in Agrarlandschaften erforscht. “Zu den Negativwirkungen zählt die Tatsache, dass Honigbienen nicht mehr zu ihrem Volk zurückfinden, dass Hummeln kaum noch Königinnen produzieren und dass andere, einzeln lebende, Wildbienen seltener werden.“ Darüber hinaus sei erwiesen, dass diese und andere Insektizide sowie Mittel gegen Pilzbefall (Fungizide) Auswirkungen auf das Verhalten der Insekten haben. “Denn diese Chemikalien haben eine fatale indirekte Wirkung, indem sie die Partnerfindung von Insekten erschweren, ihre Vitalität beeinträchtigen, die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten erhöhen und die Bestäubungsleistung verringern“, so der Experte. Es gehe nicht nur um die sogenannte LD50 (Letale Dosis), bei der 50 Prozent der Individuen sterben, sondern um die vielfältigen nicht direkt tödlichen Wirkungen, die einen ganz wesentlichen Beitrag zum Insektensterben leisten, so der Agrarökologe.
Christian Schmidt über das Verbot von Neonicotinoiden
Christian Schmidt (CSU) sagt, er habe bereits vor zwei Jahren ein Verbot der wichtigsten Neonicotinoide erlassen.
Es stimmt, dass Christian Schmidt eine EU-Verordnung zum Einsatz bestimmter Neonikotinoide vor zwei Jahren noch einmal verschärft hat. Die EU hatte im Jahr 2013 bereits die Anwendung der drei wichtigsten Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam eingeschränkt. Besonders diese drei am häufigsten verwendeten und hochgiftigen Neonicotinoide werden für das Sterben der Bienen verantwortlich gemacht. Ausnahmen ließ die EU-Kommission jedoch unter anderem für Wintergetreide und Pflanzen in Gewächshäusern zu. 2015 erließ Schmidt eine Eilverordnung, in der nun auch das Saatgut für Wintergetreide, das mit diesen Stoffen behandelt wurde, verboten wurde. Es darf nicht eingeführt oder in den Verkehr gebracht werden. Zurzeit untersucht die europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), ob auch andere Neonicotinoide schädlich für Bienen sind. Die Ergebnisse sollen im kommenden Februar vorliegen.
Bernhard Krüsken über Landwirtschaft und Umweltschutz
Bernhard Krüsken vom Deutschen Bauernverband wehrt sich gegen den pauschalen Vorwurf, für Landwirte stünde die Umwelt nur an zweiter Stelle. Er sagt, die Landwirte in Deutschland ergreifen intensive Agrarumweltmaßnahmen, wie das so genannte "Greening", um etwa die Artenvielfalt zu sichern. Wie ist es in der Landwirtschaft tatsächlich um den Umweltschutz bestellt?
Zwar gebe es solche Agrarumweltmaßnahmen, sagt Teja Tscharntke, die Masse der Direktzahlungen an die Landwirtschaft erfolge jedoch, ohne dass konkrete Leistungen im ökologischen Bereich eingefordert werden. "Denn die 5-Prozent- Greening-Maßnahmen wurden so verwässert, dass sie praktisch keine Wirkung haben. Eine vielfältige, strukturreiche Landschaft ist aber die wesentliche Grundlage für den Erhalt des Artenreichtums, wie er für unsere Jahrtausende alte Kulturlandschaft einst typisch war", kritisiert der Agrarökologe.
Die Landwirtschaft werde in zahlreichen Studien als die mit Abstand wichtigste Ursache des Artensterbens und des Verlustes der Artenvielfalt identifiziert - in Deutschland und auch weltweit, so Tscharntke. Dabei spielten zum einen die zunehmende Intensivierung auf der bewirtschafteten Fläche, zum anderen die Vernichtung naturnaher Lebensräume in der Landschaft durch Ausweitung der landwirtschaftlichen Fläche eine Rolle. "Erschreckend ist, dass nach dem landwirtschaftlichen Intensivierungsschub im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden Flurbereinigung die meisten Experten dachten, die größten Biodiversitätsverluste wären damit vorbei. Aber es zeigte sich, dass gerade in den letzten beiden Jahrzehnten weitere dramatische Verluste an Artenvielfalt bei uns zu verzeichnen sind", so das ernüchternde Résumé Tscharntkes.
Die Agrarreform vor mehr als zehn Jahren sei dabei nicht hilfreich gewesen, so Tscharntke. Denn sie führte unter anderem durch die Abschaffung von Flächenstilllegungen, dem Anstieg von Getreide- und Bodenpreisen sowie einem wachsenden Flächenbedarf für nachwachsende Energien im Zuge der Mais-Biogaspolitik zu einer Intensivierung der Landwirtschaft. Die Folge sei eine zunehmende Monotonisierung unserer Landschaften, so der Experte.
Harald Ebner über Glyphosat-Mengen
Für Harald Ebner (Bd.90/Grüne) geht die Landwirtschaft zu leichtfertig mit Pflanzenschutzmitteln um. Pro Jahr würden in Deutschland alleine 5000 Tonnen Glyphosat eingesetzt.
* Anmerkung der Redaktion: In der Fassung dieses Faktenchecks vom 05.12.17 hatten wir lediglich die Absatzzahlen bis zum Jahr 2014 berücksichtigt. Diese haben wir nun (07.12.17) mit Daten aus den Jahren 2015 und 2016 ergänzt und den Faktencheck entsprechend geändert:
In den vergangenen zehn Jahren schwankte die Menge von eingesetztem Glyphosat. Wurden 2008 in Deutschland noch über 7.600 Tonnen des Wirkstoffs verkauft, halbierte sich der Absatz im darauffolgenden Jahr auf etwa 3.900 Tonnen. Bis 2012 stieg er wieder auf fast 6.000 Tonnen an. Seit dem Jahr 2014 (5.426 Tonnen) ist der Einsatz des Pflanzenschutzmittels zurückgegangen. Das hat uns das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auf Nachfrage bestätigt. So wurden 2015 nur noch rund 4.300 Tonnen verkauft. 2016 sank der Absatz noch einmal auf 3.780 Tonnen. Insgesamt wurden 2016 rund 114.000 Tonnen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland abgesetzt.
Nach Angaben des Julius-Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, werden tatsächlich rund 40 Prozent der Ackerflächen in Deutschland mit glyphosathaltigen Herbiziden behandelt.
Bernhard Krüsken über Landwirtschaftsflächen
Bernhard Krüsken sagt, 52 Prozent der Fläche in Deutschland entfallen auf die Landwirtschaft.
Die Größenordnung stimmt. Über die Hälfte (51,1 Prozent) der Bodenfläche in Deutschland wurde im Jahr 2016 für die Landwirtschaft genutzt. Das entspricht nach Angaben des statistischen Bundesamtes rund 183.000 Quadratkilometern. 2004 lag der Anteil der Landwirtschaftsfläche noch bei 53 Prozent. Den zweitgrößten Anteil der Bodenfläche nimmt der Wald mit rund 106.000 Quadratkilometern (29,7 Prozent) ein. Zum Vergleich: Der Anteil der Wohnraumfläche liegt mit rund 13.700 Quadratkilometern bei lediglich 3,8 Prozent der Gesamtfläche, der des Straßenverkehrs bei 2,7 Prozent (ca. 9.500 Quadratkilometer).
Stand: 07.12.2017, 13:27 Uhr