Steueroase Europa – wie uns Konzerne und Super-Reiche abzocken!

Der Faktencheck zur Sendung vom 06.11.2017

Neue Enthüllungen zeigen, wie sehr unsere Nachbarländer in der EU Großkonzernen beim schamlosen Steuersparen helfen. Was bringen schärfere Gesetze gegen globale Konzerne und gierige Reiche? Zeigt sich jetzt: Beim Thema Steuern kämpft in der EU jeder gegen jeden?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Georg Mascolo über die Steueroase Niederlande

Der Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, Georg Mascolo, sagt, innerhalb der EU seien die Niederlande die größte Steueroase und nicht – wie oft vermutet – Luxemburg, Irland oder Malta. Stimmt das?

Der Politikwissenschaftler und Experte für internationale Steuerpolitik an der Universität Bamberg, Dr. Lukas Hakelberg bewertet die Aussage differenziert: “Herr Mascolo stellt seine Behauptung in Zusammenhang mit den Lizenzzahlungen auf, die aus anderen Ländern in die Niederlande fließen“, sagt der Experte. Diese Einschränkung sei wichtig, da sich Steueroasen gerne auf ein bestimmtes Geschäftsmodell spezialisieren. “Einige bieten die anonyme Gründung von Briefkastenfirmen an, andere befreien Zinseinnahmen, die aus Finanzierungsaktivitäten im Ausland resultieren oder erheben gar keine Steuern auf Unternehmensgewinne“, erklärt Hakelberg. Steueroasen stünden daher nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander, sondern böten ergänzende Bausteine an, aus deren grenzüberschreitender Kombination ein Steuervermeidungskonstrukt erst entstehe. “Ein Land kann also in einer bestimmten Nische des Steueroasengeschäfts Marktführer sein, in einer anderen aber gar keine Angebote unterbreiten“, sagt Hakelberg.

Die Niederlande hätten ihre Marktnische in der steuerfreien Durchschleusung von Lizenzeinnahmen gefunden. “Innerhalb der EU wurden entsprechende Einnahmen mit der Zins- und Lizenzrichtlinie von Quellensteuern der Mitgliedstaaten befreit. Darüber hinaus erheben die Niederlande auch keine Quellensteuer auf Lizenzzahlungen in Länder außerhalb der EU“, sagt Hakelberg. So könne ein multinationales Unternehmen seinen Gewinn mittels Lizenzzahlungen, die von seinem niederländischen Tochterunternehmen zunächst bei verbundenen Gesellschaften in den übrigen EU-Staaten eingesammelt und dann an eine weitere verbundene Gesellschaft in einer Steueroase außerhalb der EU weitergeleitet werden, quellensteuerfrei aus dem Binnenmarkt herausschleusen, erklärt der Steuerexperte.

Untermauert werde dies durch Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat, sagt der Experte. Demnach erhielten 2016 in den Niederlanden registrierte Firmen Lizenzzahlungen in Höhe von 22 Mrd. Euro aus den übrigen Mitgliedstaaten. Mit weitem Abstand folgen Deutschland mit 6 Mrd. Euro und Großbritannien mit 5 Mrd. Euro, so Hakelberg.

Betrachte man die internationale Zahlungsbilanz, seien die Niederlande tatsächlich der größte Durchlauferhitzer für Lizenzzahlungen innerhalb der EU. “Da Herr Mascolo seine Aussage entsprechend eingegrenzt hat, stimmt sie. Das heißt aber nicht, dass die Niederlande auch in anderen Segmenten des Steueroasengeschäfts führend sind“, stellt der Experte klar.

Auch Markus Meinzer, Direktor des “Tax Justice Network“ verweist darauf, dass sich Offshore-Gebiete auf unterschiedliche Geschäftsmodelle spezialisiert haben. “Das Problem ist, dass es keine einheitliche Definition einer Steueroase gibt - deshalb lässt sich darüber trefflich streiten, ohne etwas strikt Falsches zu sagen. Sicher ist, dass all die genannten Orte eine wichtige Rolle im internationalen Steuerfluchtgeschäft spielen.“ So liegen dem so genannten Schattenfinanzindex zufolge Irland und Luxemburg noch vor den Niederlanden, so der Experte für Steueroasen. Manche Studien über Konzernsteuerverluste sehen laut Meinzer Irland noch vor den Niederlanden. Andere Untersuchungen kämen zu dem Ergebnis, dass die Niederlande auf jeden Fall für US-Unternehmen die beliebteste Konzernsteueroase sind. In einem Punkt aber ist sich Meinzer sicher: “Die Niederlande ist die wichtigste Drehscheibe für die Durchleitung von Gewinnen aus Europa zu anderen Steueroasen.“

Michael Meister über Maßnahmen gegen Steueroasen

Michael Meister (CDU) sagt, nach Bekanntwerden der "Panama-Papers" habe die Bundesregierung einen Zehn-Punkte Plan gegen Steueroasen erstellt und komplett umgesetzt. Wie effektiv sind die Maßnahmen im Kampf gegen Steueroasen?

“Die Bundesregierung hat im April 2016 tatsächlich einen Aktionsplan gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche präsentiert. Mindestens drei der zehn angekündigten Maßnahmen sind allerdings noch nicht voll umgesetzt. Die Aussage ist also falsch“, stellt Lukas Hakelberg klar.

So sehe Punkt 1 des Aktionsplans die Einführung des automatischen Informationsaustausches (AIA) über Kontodaten mit Panama vor. “Zwar hat sich Panama mittlerweile zum AIA bekannt, die Bundesregierung hat aber trotz aufgenommener Verhandlungen nach wie vor kein entsprechendes Abkommen mit dem Land abgeschlossen“, sagt Hakelberg und fordert Tempo bei der Umsetzung: “Denn der AIA verpflichtet Banken, die Kapitaleinkünfte Nicht-Ansässiger offenzulegen und dabei den wirtschaftlich Berechtigten statt einer evtl. zwischengeschalteten Briefkastenfirma als Kontoinhaber zu identifizieren. Damit fiele es Steuerhinterziehern wesentlich schwerer, ihre Kapitaleinkünfte in Panama vor dem deutschen Fiskus zu verstecken.“

Punkt 3 des Aktionsplans beabsichtigt, den automatischen Informationsaustausch auch weltweit einzuführen. Tatsächlich hätten sich inzwischen über 100 Staaten hierzu verpflichtet, sagt Hakelberg. Allerdings nehmen die USA - im Gegensatz zu fast allen klassischen Steueroasen - nach wie vor nicht teil. “Obwohl sie mit ihrem Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) alle auf dem US-Finanzmarkt tätigen ausländischen Banken zur automatischen Berichterstattung über die Kapitaleinkünfte von US-Bürgern verpflichten, geben die USA entsprechende Daten ihrer Banken nicht preis“, sagt der Experte. Dadurch sei extrem verschwiegenen US-Bundesstaaten wie Delaware oder South Dakota in den letzten Jahren ein messbarer Wettbewerbsvorteil bei der Anziehung versteckten Kapitals entstanden. Hakelberg und sein Kollege Max Schaub haben aufgezeigt, dass der Wert der Bankeinlagen Nicht-Ansässiger in den traditionellen Steueroasen seit der Einführung von FATCA stark gefallen ist, während er in den USA stark zugenommen hat. “Um ihr Ziel zu erreichen, müsste die Bundesregierung zusammen mit anderen EU-Staaten die USA also dazu drängen, beim AIA endlich wechselseitig zu handeln. Davor ist sie bisher aber zurückgeschreckt.“

Punkt 7 schließlich sehe eine Offenlegungspflicht für Steuergestaltungen vor. “Die EU-Kommission hat mittlerweile zwar einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, der Steuerberatungsfirmen dazu verpflichten soll, sowohl ihre Modelle als auch die Mandanten, die von diesen Konstrukten profitieren, an die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zu melden“, erklärt Hakelberg. Dieser Vorschlag sei bisher jedoch noch nicht verabschiedet worden. Es bleibe abzuwarten, ob die Lobby der betroffenen Berufsgruppen das Projekt nicht noch verhindert, so der Experte.

“Die Äußerung stimmt größten Teils nicht und sie führt obendrein in die Irre, weil die ergriffenen Maßnahmen absehbar zu wenig ambitioniert und schwach waren“, sagt Markus Meinzer. Schon kurz nach Veröffentlichung des Zehn-Punkte- Plans habe "Tax Justice Network" jede einzelne der vorgeschlagenen Maßnahmen analysiert, sagt Meinzer. “Bis auf Punkt Nummer 9, der sich mit Verjährungsfirsten befasst, ist kein einziger geeignet, um nennenswerte Erfolge im Kampf gegen die institutionelle Korruption, die das Offshore-Finanzsystem ermöglicht, zu erzielen." Bis heute sei keiner der zehn Punkte vollständig umgesetzt, beklagt Meinzer. In drei Punkten gebe es gar keinen Fortschritt und bei den weiteren sieben müsse eine durchwachsene Bilanz gezogen werden.
“Der Zehn-Punkte-Plan ist eher ein Paradebeispiel für symbolische Politik, also Effekthascherei, die den status quo letztlich sicherte und von der Blockade ambitionierter Reformprojekte durch die Bundesregierung abgelenkt hat - etwa dem öffentlichen Firmenregister oder öffentlichen Konzernbilanzen, die beide vom Finanzministerium auf EU-Ebene blockiert werden“, kritisiert Meinzer.

Georg Mascolo über Flugzeuge und die Isle of Man

Georg Mascolo kritisiert die Steuervergünstigungen der Isle of Man. Er sagt, hier wird bald der 1000. Privatjet registriert. Der einzige Zweck dabei sei die Umgehung der Umsatzsteuer.

Das stimmt. Die Registrierungsbehörde für Flugzeuge der Isle of Man feiert sich in diesem Jahr selbst für ihr zehnjähriges Jubiläum der Flugzeugregistrierungen auf der kleinen Insel. Nach eigenen Angaben wurden in diesem Zeitraum 952 Flugzeuge zugelassen – Tendenz steigend. Auf ihrer Homepage wirbt die "Isle of Man Aircraft Registry" damit, der größte Anbieter privater Flugzeugregistrierungen in Europa zu sein. Private Flugzeugbesitzer können durch die Registrierung auf der kleinen Insel viel an Steuern sparen. 

Der Trick funktioniert so: Eine Reihe von Briefkastenfirmen hilft dabei, ein privat gekauftes Flugzeug auf der Isle of Man in ein Geschäftsflugzeug umzuwandeln. Das Firmenflugzeug kann dann als Betriebsausgabe angegeben werden, auf das keine Einfuhrumsatzsteuer mehr fällig wird. Prominentester Nutznießer dieses Konstruktes soll laut den "Paradise Papers" Lewis Hamilton sein. Demnach soll der Formel 1-Weltmeister mit Hilfe von Briefkastenfirmen Umsatzsteuer in Millionenhöhe umgangen haben. Hamilton kaufte in Kanada einen Jet für 20,3 Millionen Euro. Durch die Umwandlung in einen Firmenjet soll er die sonst üblichen 20 Prozent Umsatzsteuer, die für die Einfuhr in die EU fällig geworden wären, gespart haben. Unter dem Strich ist die Rede von etwas mehr als vier Millionen Euro Steuerersparnis.

Stand: 07.11.2017, 12:29 Uhr