Erbenrepublik Deutschland - wer hat, dem wird gegeben?

Der Faktencheck zur Sendung vom 09.05.2016

Löhne und Gehälter werden streng besteuert – wer aber von Aktien lebt oder erbt, den schont der Staat. Werden so Reiche immer reicher? Müssen Erbschaften und Vermögen höher besteuert werden? Oder stopft sich der Staat so nur die Taschen voll?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen von Experten bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Johanna Ueckermann über Erbschaftsteuern

Die Juso-Vorsitzende Johanna Ueckermann plädiert für höhere Erbschaftsteuern. Sie sagt, von den 250 Milliarden Euro, die in Deutschland jährlich vererbt werden, kommen gerade einmal 5,5 Milliarden beim Staat an. Hat sie Recht?

Tatsächlich lag das Erbschaftsteueraufkommen im Jahr 2014 bei knapp 5,5 Milliarden Euro und damit erstmals über fünf Milliarden, sagt Christian Westermeier vom DIW. Dies sei ein nahezu sprunghafter Anstieg um mehr als 0,8 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr. Ob dieses Niveau allerdings gehalten wird, ist nach Ansicht des Experten für Erbschaften nicht sicher: "Es besteht die Möglichkeit, dass in Erwartung von Änderungen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer in manchen Familien eine vorzeitige Übertragung der Vermögen stattfand und das Steueraufkommen wieder leicht sinkt."

Wie hoch das tatsächliche Vermögen ist, das jährlich in Deutschland vererbt wird, sei jedoch schwierig einzuschätzen, sagt Westermeier. "Es gibt keine handfesten Zahlen, da sich die Statistik nur bemüht, die steuerlich relevanten vererbten Vermögen darzustellen." Die Schätzungen hierzu schwanken, je nach Quelle und Methode, zwischen 120 und 300 Milliarden, so der Experte. "Anzunehmen, dass Jahr für Jahr 250 Milliarden weitergegeben werden, ist meines Erachtens nicht unvernünftig", sagt Westermeier. Selbst wenn die Summe aktuell noch darunter liegen sollte, rechnet er damit, dass diese Marke schon bald überschritten werden wird.

"Ja", sagt der Ökonom Prof. Volker Grossmann, "das ist die offizielle Zahl des Bundesfinanzministeriums für das Jahr 2014." Er sieht den Grund für die niedrigen Steuereinnahmen in den ausgeprägten Verschonungsregeln. Hierzu zählen die Steuerbefreiungen für Familienbetriebe ebenso wie die allgemeinen Freibeträge, so der Experte: "Familienbetriebe werden völlig von der Steuer befreit, wenn der Betrieb sieben Jahre weiter geführt wird, er nicht mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt oder wenn die Löhne nicht zu stark sinken." Auch bei den Freibeträgen gibt sich der Staat großzügig. Er liegt pro Kind bei 400.000 Euro und bei Ehepartnern bei 500.000 Euro plus Wohneigentum, erklärt der Experte. Darüber hinaus seien auch die Steuersätze moderat, sagt Grossmann. “Ein Kind, das beispielsweise eine Million Euro erbt, zahlt nur 75.000 Euro Erbschaftssteuern.“ Das gleiche gelte bei einer Schenkung.

Thomas Druyen über die Verteilung von Vermögen

Der Vermögensforscher Thomas Druyen sagt, in Deutschland verteile sich ein Drittel des Gesamtvermögens auf gerade einmal 164.000 Menschen. Stimmt das?

Die bislang mangelnde Datenlage war für Christian Westermeier erst kürzlich Anlass, die Verteilung des Vermögens an der Spitze zu untersuchen. "Wenn man Umfragedaten mit externen Daten verknüpft, zeigt sich regelmäßig, dass das reichste Prozent rund ein Drittel des Privatvermögens hält." Dieses eine Prozent beziehe sich auf 40 Millionen Privathaushalte. Davon ausgehend, dass in Deutschland durchschnittlich zwei Personen in einem Haushalt leben, verteilt sich ein Drittel des gesamten Privatvermögens also auf etwa 400.000 Haushalte, so Westermeier. Sein Fazit: "Meine Einschätzung ist, dass die Vermögenskonzentration in Deutschland zwar enorm ist, aber doch etwas weniger dramatisch als von Herrn Druyen dargestellt."

Rainer Voss über vererbte Unternehmen

Der ehemalige Investementbanker Rainer Voss sagt, nur zwölf Prozent der vererbten Unternehmen bestehen länger als bis zur dritten Generation. Der weitaus größere Teil der Unternehmen würde beispielsweise verkauft oder gehe pleite. Hat er Recht?

“Sicher nicht für Deutschland“, meint Volker Grossmann. "Die Zahl stammt aus einem Artikel der Zeitschrift 'The Economist' vom 18. April 2015 und gilt offenbar für die USA." Für Grossmann ist die Quelle zudem nicht besonders verlässlich: "Es handelt sich um das 'Family Business Institute', einer Unternehmensberatung für von der nächsten Generation weitergeführte Familienbetriebe. Sie will also aufzeigen, wie schwierig die Weiterführung ist und weswegen man sie braucht."

Dagegen schätze das Institut für Mittelstandsforschung dass gut 50 Prozent der Familienbetriebe in Deutschland mindestens in der dritten Generation geführt werden, so Grossmann. Er schränkt jedoch ein: "Allerdings sind nicht alle Betriebe vollständig im Besitz der Familie des Unternehmensgründers oder werden von Familienmitgliedern selber geleitet." Nur gut die Hälfte der Betriebe wird direkt an Familienmitglieder übertragen, sagt der Experte.

Johanna Ueckermann über arm und reich

Für Johanna Ueckermann geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Sie hat den Eindruck, dass sich Vermögen in Deutschland immer stärker auf immer weniger Menschen konzentriert. Stimmt ihre Einschätzung?

"Die verschiedenen Indikatoren der Vermögenskonzentration haben sich zwischen 2002 und 2012 nur wenig verändert", sagt Volker Grossmann mit Bezug auf das DIW. Auch er bemängelt die eher schlechte Datenbasis in Deutschland. Da es hierzulande keine Vermögensteuer gebe, basieren die Zahlen lediglich auf Umfragedaten.

Konkretere Zahlen nennt Grossmann allerdings in Bezug auf den Anteil des ererbten Vermögens am Gesamtvermögen. Dieser Anteil habe 1980 nur gut 20 Prozent, im Jahr 2010 aber schon 50 Prozent betragen, so der Steuerexperte. "Also auch wenn die Vermögenskonzentration nicht stark ansteigt, wurde ein immer geringerer Anteil des Vermögens von den Besitzern selber erarbeitet. Und je reicher jemand ist, desto höher der Anteil des ererbten – also nicht selbst erarbeiteten - Vermögens." Grossmann erinnert daran, dass die große Vererbungswelle erst begonnen hat. Demnach seien im Jahr 2010 pro Jahr Erbschaften in Höhe von elf Prozent des Nationaleinkommens übertragen worden. 1980 seien dies gerade einmal vier Prozent gewesen. Eine Entwicklung, durch die Grossmann befürchtet, "dass die Vermögenskonzentration ohne einschneidende Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer - oder der Wiedereinführung der Vermögenssteuer - in Zukunft deutlich ansteigen wird."

Stand: 10.05.2016, 12:58 Uhr