Wolfgang Grams liegt auf den Gleisen, nachdem er im Schußwechsel mit der Polizei angeschossen wurd

27. Juni 1993 - Missglückte Festnahme von RAF-Terroristen in Bad Kleinen

War es eine Hinrichtung durch Polizeibeamte? Oder der Suizid eines Terroristen? Fest steht: Am 27. Juni 1993 sterben bei einem Anti-Terroreinsatz zwei Menschen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen.

Bad Kleinen ist ein eher farbloser Ort am Nordufer des Schweriner Sees, Luftlinie an die 20 Kilometer von Schwerin entfernt. Am 27. Juni 1993 wirkt der kleine Bahnhof wie ausgestorben. Dabei stehen im Verborgenen 100 Polizisten bereit, unter anderem Spezialisten der Bundesgrenzschutzgruppe GSG-9.

Sie wollen an diesem Tag zwei RAF-Terroristen stellen und überwältigen: Birgit Hogefeld und ihren Partner Wolfgang Grams. Beide werden von der Bundesanwaltschaft verdächtigt, an der Ermordung von Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen beteiligt gewesen zu sein. Auch der Mord an Detlev Karsten Rohwedder, dem Chef der Treuhand, soll auf ihr Konto gehen.

Neben Hogefeld und Grams ist beim Einsatz noch eine zunächst unbekannte dritte Person anwesend. Die Einsatzleitung und die Verantwortlichen werden dies lange verschweigen - sogar gegenüber offiziellen Stellen und Bundestagsabgeordneten. Journalisten finden schließlich heraus: Der dritte Mann heißt Klaus Steinmetz und ist V-Mann des Verfassungsschutzes. Ihm ist es gelungen, bis in die Kommandoebene der RAF vorzudringen.

Einsatz am Bahnhof statt Ferienhaus

Zusammen mit Birgit Hogefeld hat sich der V-Mann Steinmetz in ein Ferienhaus einquartiert. Der ursprüngliche Plan der Einsatzkräfte sieht vor, die Terroristin - und zum Schein auch den V-Mann - zu überwältigen, wenn sie das Ferienhaus verlassen. Kurz vor dem Zugriff hören die Beamten aber von der geplanten Ankunft von Hogefelds Partner Wolfgang Grams am Bahnhof in Bad Kleinen - und entscheiden, den Einsatz dort vorzunehmen, um auch Grams zu erwischen.

Während sich im Bahnhof Hogfeld, Grams und der V-Mann in einem Café treffen, riegeln die Beamten alle Fluchtwege ab. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Doch dann führt ein Funkspruch zur Katastrophe.

Verfrühter Zugriff wegen Sprechfunk-Panne

Eigentlich will ein Beamter per Funk an alle mitteilen: "Wenn der Zugriff erfolgt, dann kontrolliert noch ein verdächtiges Fahrzeug - einen Kadett - vor dem Bahnhof!" Doch er drückt verzögert auf die Sprechtaste, so dass sein gefunkter Satz so beginnt: "Zugriff erfolgt ..."

Ein Beamter auf dem Bahnsteig rennt deshalb verfrüht los, öffnet damit den Fluchtweg in Richtung der Gleise und läuft den drei Zielpersonen in die Arme. Alle sind überrumpelt, auch die GSG-9-Männer.

Unaufklärbar? Der Skandal-Einsatz von Bad Kleinen (am 27.6.1993)

WDR ZeitZeichen 27.06.2023 14:57 Min. Verfügbar bis 27.06.2033 WDR 5


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Birgit Hogefeld kann direkt überwältigt werden, Wolfgang Grams jedoch nutzt die Schrecksekunde der überraschten Beamten und flieht die Treppe hinauf zu den Gleisen. Dabei gibt er zehn Schüsse ab, einer trifft den Beamten Michael Newrzella ins Herz. Er stirbt noch auf dem Bahnsteig.

Auch die Polizeibeamten feuern. Wolfgang Grams stürzt nach einem Bauchschuss rücklings auf das Gleis und bleibt dort liegen. Auch er stirbt. Im Obduktionsbericht wird später als Todesursache ein aufgesetzter Kopfschuss aus nächster Nähe genannt. Aber wer hat geschossen?

Organisationsversagen und Pannen

Endstation Bad Kleinen

Endstation Bad Kleinen

Eine Zeugin will gesehen haben, dass zwei Männer auf Grams zutreten und schießen. Eine Hinrichtung? Später wird klar: Der tödliche Schuss kommt aus Wolfgang Grams eigener Waffe. Das Bundeskriminalamt geht deshalb von einem Suizid aus. Doch die entscheidende Kugel aus der Waffe Wolfgang Grams wird nie gefunden.

Zudem reinigen die Gerichtsmediziner die rechte Hand des Toten, um saubere Fingerabdrücke nehmen zu können - und vernichten dabei mögliche Schmauchspuren. Die Liste der Mängel und Pannen ist so lang, dass der Einsatz zu einem Vertrauensverlust in den Rechtsstaat führt - und damit auch politische Opfer fordert.

Rudolf Seiters tritt als Bundesinnenminister zurück. Später wird auch der Generalbundesanwalt entlassen und andere hohe Beamte der Sicherheitsbehörden. Untersuchungsbehörden der Schweiz übernehmen den Fall, um dem Eindruck entgegenzuwirken, die BRD könne Einfluss nehmen. Nach sechs Monaten kommt die Staatsanwaltschaft Zürich zu dem Ergebnis, dass Wolfgang Grams sich selbst erschossen hat.

Wenige Jahre nach den Ereignissen von Bad Kleinen gibt die RAF ihre Auflösung bekannt.

Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: David Rother

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