Buchcover: "Die Möglichkeit eines Wunders" von Jan Schomburg

"Die Möglichkeit eines Wunders" von Jan Schomburg

Stand: 27.03.2024, 12:00 Uhr

Jan Schomburg widmet seinen zweiten Roman der Lebensgeschichte des Parapsychologen und Hypnotiseurs Albert von Schrenck-Notzing. Er erzählt dessen Geschichte in einer schnellen Folge dramatischer Szenen und Dialoge, die versierte Hand des Drehbuchautors ist deutlich zu spüren. Eine Rezension von Ulrich Hufen.

Jan Schomburg: Die Möglichkeit eines Wunders
dtv, 2024.
272 Seiten, 24 Euro.

"Die Möglichkeit eines Wunders" von Jan Schomburg

Lesestoff – neue Bücher 27.03.2024 05:24 Min. Verfügbar bis 27.03.2025 WDR Online Von Ulrich Hufen


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Irgendwann schon gegen Ende dieses Romans findet sich der Parapsychologe Albert von Schrenck-Notzing auf Haiti wieder, fernab aller Zivilisation. Sein guter Ruf als Wissenschaftler ist ruiniert, vor allem aber ist die große Liebe seines Lebens, die Industriellentochter Ella Siegle kurz zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

Die Leute im Dorf haben davon gehört und schlagen Albert vor, an einer Voodoo-Zeremonie teilzunehmen. Sie wollen den Geist von Ella in ein Gefäß bannen, damit er Albert nicht weiter verfolge. Und dann fällt der Satz, der das Lebensdilemma Alberts formuliert, der Satz, der dem Roman seinen Titel gibt.

"'Die Toten befinden sich nicht in einem weit entfernten Himmel', erklärte Taugot. 'Sie sind zwar auf der anderen Seite, aber uns doch ganz nah. Ihr Reich findet sich auf jeder dunklen Seite des Spiegels, unter der Oberfläche eines Wasserbeckens, besonders aber in den Tiefen des Ozeans.' 'Ich glaube nicht daran', sagte Albert. 'Es wirkt trotzdem', sagte Hilma. 'Und möchten Sie denn nicht', fügte Rudolphe flüsternd hinzu, 'in einer Welt leben, in der das Wunder wenigstens eine Möglichkeit ist?'"

Wer wäre fantasielos genug, da kalt mit „nein“ zu antworten? Einerseits. Was aber würde ein seriöser Wissenschaftler antworten? Andererseits?

Die Geschichte beginnt in einem Gerichtssaal in München. Es ist das Jahr 1895. Albert von Schrenck-Notzing ist als Experte geladen. Ein Mann ist angeklagt, sich eine Frau gefügig gemacht zu haben, per Hypnose. Die Presse ist begeistert, das Thema liegt in der Luft, Albert ist ein Star. Als Student der Medizin war ihm irgendwann bewusst geworden, dass er in der Lage ist, Menschen zu hypnotisieren. Schlagartig.

"Er wusste es mit völliger Sicherheit, als wäre eine Tür ins Schloss gefallen. Dem Studenten wurden die Lider schwer. Er will, wusste Albert plötzlich, dass ich ihm erlaube einzuschlafen. Und so tat er ihm den Gefallen."

Die Hypnose war damals gerade auf dem Weg, seriöse medizinische Praxis zu werden, in vielen Ländern Europas. In Wien experimentiert Siegmund Freud damit, in München versucht Albert Homosexuelle durch Hypnose von dem zu heilen, was man damals "ihre Neigung" nannte und nach Paragraph 175 Strafgesetzbuch bestrafte. Als Vergehen gegen die Sittlichkeit, zum Beispiel wegen Verführung zur mutuellen Onanie.

Doch schon bald interessiert Albert sich mehr für okkulte Phänomene wie die apulische Bäuerin Eusapia Palladino. Diese wird in ganz Europa bestaunt, von Wissenschaftern und Laien. Aber schweben die Tische wirklich? Produziert die fabelhafte Dame tatsächlich Ektoplasma? Oder ist das alles clever inszenierter Budenzauber? Über Jahre versucht Albert der Sache auf die Spur zu kommen, streng wissenschaftlich – natürlich.

"Die Mystik gehört ins Theater, die Poesie zur Liebe, aber beides gehört nicht in ein wissenschaftliches Laboratorium."

Doch das ist leichter gesagt, als durchgehalten. Unterdessen geht rund herum erst die Welt in die Brüche und dann auch die eigene Familie. Der 1.Weltkrieg kommt und geht, der kriegsversehrte Sohn wird zum Nazi, im Münchner Bürgerkeller putscht ein gewisser Adolf Hitler.

Jan Schomburg erzählt das alles in einer schnellen Folge dramatischer Szenen und Dialoge, die versierte Hand des Drehbuchautors ist deutlich zu spüren. Man sieht den fertigen Film, Szene für Szene förmlich vor sich. Allerdings verliert man nach der dritten spiritistischen Seance dann doch recht schnell das Interesse an dem ganzen Schmus. Aber das könnte beabsichtigt sein. Immerhin ergeht es Alberts famoser Ehefrau Ella, die lieber in wackligen Aeroplanen durch die Lüfte jagt, ganz genauso.

Und so wandert die Erinnerung zurück an den Anfang des Romans und zu einem tatsächlichen Wunder, das hier erzählt wird. Das Wunder einer großen Liebe, die aus dem Nichts da ist, von einem Moment auf den anderen, und durch nichts erklärbar. Wie Jan Schomburg dieses Wunder entfaltet, das ist groß und schön und tröstet allemal hinweg über das spätere Übermaß an Ektoplasma und Voodoo.