Buchcover: "Das letzte Feuer" von Maria Borrély

"Das letzte Feuer" von Maria Borrély

Stand: 12.04.2024, 16:28 Uhr

Das arme provenzalische Bergdorf Orpiere d’Asse ist der Schauplatz von Maria Borrélys 1931 erschienenem Roman "Das letzte Feuer". Sie erzählt unspektakulär-schön vom Traum eines besseren Lebens, von der Gefahr des Neuen, der Macht der Natur – und vom Alltag einfacher Menschen. Eine Rezension von Ulrich Rüdenauer.

Maria Borrély: Das letzte Feuer
Aus dem Französischen von Amelie Thoma
Kanon Verlag, 128 Seiten, 20 Euro.

Das letzte Feuer im Bergdorf Orpierre-d’Asse brennt bei der alten Pélagie. Sie weigert sich standhaft, den anderen in ein angenehmeres Leben zu folgen. Die Schmalhänse, so werden die Dörfler genannt, wollen ihre seit Generationen ertragene Armut hinter sich lassen und ziehen hinab ins Tal. Der Fluss Asse ist gezähmt worden, die Auen sind nun urbar, der Fortschritt hält Einzug. Fruchtbar sind die Böden, und auf fruchtbaren Boden fallen die Versprechungen einer neuen Existenz. Weg will man vom Mangel, der die Gegend charakterisiert und ihr seinen Namen gibt: "Hungerschrei".

"Auf der guten, freien und bewässerten Fläche im Schutz des Deiches, wird es bald ausgedehnte Wiesen geben. Sie haben den Duft schon in der Nase. Ihre Freude strömt über wie ein Bach. Sie werden mit vollen Händen ernten, sich so richtig satt essen, endlich leben können wie alle anderen."

"Das letzte Feuer" von Maria Borrély

Lesestoff – neue Bücher 19.04.2024 05:37 Min. Verfügbar bis 19.04.2025 WDR Online Von Ulrich Rüdenauer


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Nur Pélagie widersteht der Verlockung. Sie kann sich nicht trennen von ihrem zugigen Zuhause, von den Tieren, ihren Erinnerungen. Sie harrt aus, selbst als ihre Enkelin Berthe den jungen Auguste heiratet und ebenfalls ins neue Dorf im Tal zieht. "Das letzte Feuer", es brennt in Pélagies Häuschen, während um sie herum alles verlassen ist und zerfällt.

Maria Borrély, Lehrerin, Schriftstellerin, Kommunistin und später auch Mitglied der Résistance, kannte die Gegend, über die sie schrieb, genau. Sie lebte in der Haute-Provence, veröffentlichte vier Romane. "Mistral" aus dem Jahr 1929 konnte man letztes Jahr erstmals auf Deutsch kennenlernen, das Stillleben einer von den Kräften und Rhythmen der Natur bestimmten, archaisch-bäuerlichen Welt. "Le dernier feu" – "Das letzte Feuer" – erschien erstmals 1931 beim renommierten Verlag Gallimard, der berühmte André Gide hatte es zur Veröffentlichung empfohlen. Amelie Thoma hat nach "Mistral" auch diesen Roman auf unprätentiös-poetische Weise ins Deutsche gebracht.

"An die Eiche gelehnt, stopft die Pélagie die Sohle eines groben, ehemals schwarzen, von den vielen Laugen ausgeblichenen Baumwollstrumpfs. (…) Gegenüber, weiter entfernt als die kalten Nordhänge: die Abbruchkante der Telle, an der man, als wären sie in Rufweite, jede Pinie und jeden Ginsterbusch erkennen kann und, gleich einer Narbe, die Straße mit ihren Serpentinen. Einstimmig rauschen Wind und Asse, wie Orgelflöten (…). Der Berthe ist die Zunge schwer, doch ihr Lächeln strahlt wie eine Espe am Ufer (…)."

Die Pélagie, die Berthe – auf seltsame Weise ist der vor die Namen gestellte bestimmte Artikel auch ein bestimmender: Den vom harten Leben gebeugten Menschen wird so etwas aufgebürdet, sie können ihrem Ruf und Schicksal nicht entkommen; aber zugleich ist ihnen mit dem Artikel auch eine Würde mitgegeben, eine Einzigartigkeit. Ganz genau registriert Borrély die Veränderungen in den Figuren, die in der Natur ihre Entsprechung finden oder von dieser angekündigt werden. Sie lässt ihre Pélagie das Unheil ahnen, das vom feuchten, nebligen Asse-Tal und der Gewalt des Flusses ausgeht. Und sie beobachtet, wo Keime der Zuversicht sprießen. Alles nimmt hier seinen natürlichen Lauf, und auch der jähzornige Trotz der Pélagie gehört dazu – sie ist Mahnerin, nicht nur vor möglichem Unglück, sondern sie gemahnt auch an das überlebte Alte, das mit der Aufgabe des Bergdorfes nach und nach verschwinden wird.

"Die Kirche wirkt größer. Die Pélagie bleibt an der Tür stehen (…). Geschüttelt wie ein alter Baum im Wind, weint die Pélagie, deren Herz wie eine Quelle überströmt, sagt ein Gebet für jeden ihrer drei Toten. Ehe sie wieder hinausgeht, bittet sie Gott, damit sie in diesem Dorf begraben werden kann, dass er sie sterben lässt, ehe man den Friedhof stilllegt (…)."

"Das letzte Feuer" hat keinen Plot, keine Handlung im herkömmlichen Sinn, schon gar keine spannungsgeladene. Maria Borrély erzählt schlicht und einfach. Ihr Roman reiht Episoden kargen Lebens aneinander, Alltägliches und das den Alltag Bedrohende. Aber in diesem unspektakulär-schönen Berichten über die Natur, über bislang kaum literaturfähige Menschen, einfache Bauern, ist doch alles enthalten: die Liebe und der Tod, Beharren und Aufbrechen, das Scheitern und das Immer-Weiter. Und die Treue zu den Toten, die Pélagie nicht im Stich lassen möchte.