Schmutzige Deals - Nach der Türkei jetzt Libyen?

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Bericht: Nikolaus Steiner, Stephan Stuchlik, Kurt Pelda

Schmutzige Deals - Nach der Türkei jetzt Libyen?

Monitor 14.04.2016 02:32 Min. Verfügbar bis 14.04.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und es geht sogar noch schmutziger. Was die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister in der letzten Woche verkündet haben, hat mit europäischen oder deutschen Grundwerten dann wirklich nichts mehr zu tun. Nach dem Vorbild des Türkei-Deals soll jetzt ein Deal mit Libyen folgen. Ausgerechnet Libyen, einem Land im totalen Chaos, in dem Terrortruppen des IS ihr Unwesen treiben, in dem Flüchtlinge misshandelt und gefoltert werden. Ein Land, das nicht einmal eine richtige Regierung hat. Aber all das schert die Kanzlerin offenbar wenig. Kurt Pelda war für uns und das Schweizer Fernsehen in Libyen unterwegs. Gemeinsam mit Nikolaus Steiner und Stephan Stuchlik zeigt er Ihnen, wie tief die Wertemaßstäbe der deutschen Bundesregierung mittlerweile gesunken sind.“

Wir sind in Garabulli an der Libyschen Küste: Ein Strand, den Europa fürchtet: von hier aus versuchen Flüchtlinge die Überfahrt in die EU. Viele verlieren dabei ihr Leben, und es werden täglich mehr, sagen uns die Menschen hier.

Mann (Übersetzung MONITOR): „Hier liegen überall Leichen am Strand, überall, wir haben die Polizei gerufen, aber die reagiert nicht, die sind überfordert. Es gibt hier Körper, die schon Tage liegen, manche liegen Wochen. Wissen Sie, es sind einfache zu viele.“

Die Hoffnung auf ein besseres Leben wurde ihnen hier zum Verhängnis.

Die Zahl der Flüchtlinge aus Libyen steigt wieder an, vermutlich auch, weil die Balkanroute geschlossen ist. Die Bundeskanzlerin will jetzt auch die Libyen-Route verschließen.

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, 08.04.2016: „Wir haben jetzt vor uns die Aufgabe mit Libyen eine solche Kooperation zu definieren.“

Eine Kooperation? Mit Libyen? Das Ziel der Bundeskanzlerin:

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, 08.04.2016: „Auch die Flüchtlingsroute von Libyen nach Italien zu ordnen und zu steuern, wie wir das bei der Türkei gemacht haben.“

Einen Deal mit Libyen wie mit der Türkei? Das hieße: Massenweise Flüchtlinge zurückzuschicken in dieses zerfallende Land. Seit 2011 tobt in Libyen ein Bürgerkrieg. Der IS kämpft gegen sogenannte Regierungstruppen, die gegen Al-Quaida usw. Libyen ist kein Staat, sondern ein Schlachtfeld. Und hierher will Deutschland Flüchtlinge zurückschicken?

Tobias Borck, Libyen-Experte, University of Exeter (Übersetzung Monitor):„Libyen ist kein „failed state“, es ist überhaupt kein Staat. Die humanitäre Situation ist erschreckend, die Menschen leiden seit Jahren unter diesem Konflikt, die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa 2,4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Und das bei einer Gesamtbevölkerung von 6 Millionen, das ist ein Riesenproblem.“

Und die Situation der Flüchtlinge im Land ist noch schlimmer: Wir schaffen es, ins „Tripoli detention camp“ in der Nähe der Hauptstadt zu gelangen, einen Hochsicherheitstrakt. Seit Gaddafis Zeiten werden sogenannte „illegale Migranten“, meist aus Schwarzafrika, als Gefangene gehalten, zusammengepfercht, rechtlos, getrennt nach Männern und Frauen. Wer Flüchtlinge nach Libyen zurückschicken will, schickt sie höchstwahrscheinlich in solche Zentren zurück. Dabei machen die libyschen Behörden noch nicht einmal vor Kindern halt.

Junge (Übersetzung Monitor): „Ich bin 15 Jahre alt.“

Junge (Übersetzung Monitor): „Ich bin 16.“

Und er hier, ganz rechts, ist gerade mal 12 Jahre alt.

Junge (Übersetzung Monitor): „Die misshandeln uns hier. Mein Vater weiß nicht, wo ich bin, meine Mutter weiß nicht, wo ich bin, meine Familie weiß nicht, wo ich bin. Die haben mich verhaftet, ich sitze hier seit fünf Tagen. Warum? Das sagen sie nicht.“

In einem anderen Lager demonstriert uns ein Wärter stolz vor der Kamera, wie er missliebige Gefangene am Bein fixiert und auf ihre Fußsohlen schlägt.

Wärter (Übersetzung Monitor): „In der Schule gibt es das ja auch, rechts und links, aber auf der Sohle schmerzt es am meisten. Kein Problem.“

Misshandlungen sind hier Teil des Systems, das sagen auch die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Bericht über die Menschenrechtslage: Es gebe „zahllose Fälle von Folter und anderer Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, insbesondere für die Insassen von solchen Haftanstalten.“

Lotte Leicht, EU-Direktorin Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Jedes Abkommen zwischen der EU und Libyen über Rückführung von Flüchtlingen, so wie wir es grade eben mit der Türkei vereinbart haben, wäre grauenhaft, inakzeptabel und würde heißen, dass die EU ihre eigenen Grundsätze aufs schwerste verletzt, vor allem, was den Schutz von höchst schutzbedürftigen Menschen betrifft.“

Trotzdem fordert auch der Bundesinnenminister, dass der Türkei-Rückführungs-Deal die Blaupause für die gesamte Nordafrika-Politik, also auch für Libyen werden soll.

Thomas de Maizière (CDU), Bundesinnenminister, (05.04.2016): „Ich denke, wir werden, auf Sicht gesehen, auch über Modelle zu diskutieren haben, ähnlich, wie wir sie mit der Türkei praktiziert haben, mit nordafrikanischen Staaten zu reden. Das hieße dann: Rückführung gegebenenfalls in solche Staaten und von dort verabredete humanitäre Kontingente in die Europäische Union.“

Das Problem aus Sicht der Bundesregierung: Wer ein Rückführungsabkommen mit Libyen will, braucht eine libysche Regierung. Im Land aber gibt es nur Bürgerkriegsfraktionen.

So besetzt der sogenannte „Abgeordnetenrat“ den Osten um Tobruk, die Milizen GNC und „Fajr Libya“ den Westen mit Tripolis. Das Gebiet um Sirte in der Mitte wird vom IS kontrolliert, jeder von ihnen erhebt einen Führungsanspruch.

Die Lösung: Die Kanzlerin fordert schon seit Monaten vehement die Schaffung einer unabhängigen libyschen Regierung.

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, 16.12.2015: „Eine Einheitsregierung, die auch trägt und die uns dann auch in die Lage versetzt, mit den betroffenen Küstengebieten in Libyen auch in Verhandlungen zu treten und mit der libyschen Regierung über die Frage, wie auch dort illegale Migration eingedämmt werden kann.“

Eine Regierung um jeden Preis, die in deutschem Interesse Flüchtlinge abhält.

Und seit März gibt es sie, von der UN abgesegnet: personell eher zusammengewürfelt, sie entspricht in vielem den Wünschen der USA und der EU. Kritiker sprechen von einer westlichen Marionettenregierung.

Sevim Dagdelen (Die Linke), Mitglied Auswärtiger Ausschuss des Bundestags: „Die Einheitsregierung wurde vor allem vom Westen dort installiert ohne jegliche demokratische Grundlage, beispielsweise durch Wahlen. Und diese Einheitsregierung ist vor allem deshalb dort installiert worden, um eine völkerrechtliche Grundlage zu schaffen für ein Abkommen zur Flüchtlingsbekämpfung, und vor allen Dingen zur militärischen Intervention des Westens.“

Und darum geht es: Im Mittelmeer operiert die EU schon mit Kriegsschiffen, offiziell, um Schlepper zu bekämpfen. Nach Meinung von Brüssel zu weit von der afrikanischen Küste entfernt, um effektiv zu sein. Eigentlich will man im nächsten Schritt im libyschen Küstengewässer operieren, am besten sogar dort an Land gehen.

Wenn also die neue Einheitsregierung zustimmt, könnten schon bald diese Schiffe der deutschen Marine Kurs auf die libysche Küste nehmen, um Flüchtlingen den Weg nach Europa zu versperren - ein Bruch mit europäischen Werten.

Barbara Lochbihler (B‘90/Grüne), Vizepräsidentin EP-Menschenrechtsausschuss: „Jetzt machen wir eine Politik, die nur auf Abschottung und schnelle Abschiebung setzt. Das heißt, wir verraten eigentlich diese Werte - und schlimmer noch - wir setzen die Flüchtlinge wieder schwersten Menschenrechtsverletzungen aus.“

Am Strand von Garabulli werden trotzdem Menschen weiter die Flucht versuchen, auf dem Weg in eine EU, die sich eigentlich auf Menschenrechte verpflichtet hat.

Georg Restle: „Das ist es, was uns vielleicht nachdenklich machen sollte. Dass der Kanzlerin dieses Landes die Ehre des türkischen Präsidenten offenbar näher am Herzen liegt als das Leben tausender afrikanischer Flüchtlinge. Und nein, dies ist leider keine Satire.“

Stand: 11.04.2016, 13:03 Uhr

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5 Kommentare

  • 5 Silvia 29.10.2016, 07:43 Uhr

    Muss HDM voll und ganz zustimmen. Solche Beiträge sollte man in Afrika zeigen, damit sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg nach Lybien machen. Aber die meisten nehmen das in Kauf, sowie auch die gefährlichen Überfahrten nach Europa. Wir können nicht den ganzen afrikanischen Kontinent aufnehmen.

  • 4 Kopfschüttelnmuss 21.04.2016, 11:50 Uhr

    Flieg mal nach USA, Miami, 8.te Straße. Setz dich in ein Cafe und beobachte das Geschehen aus dem Fenster. Genauso kommt mir langsam Europa / Deutschland vor! Ich sitze hier i´hinter meiner Glasscheibe im Trocknen und lass es mir gut gehen, während da draußen auf der Straße weder die alte Dame mit dem offenen Bein, noch die Familie mit ihren drei Kindern was zu essen findet und im Müll wühlen muss, während dicke Autos an ihnen vorbei fahren. Nur wenige Meter entfernt der tolle Strand mit Urlaubern aber auch mit eben den Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben und ihre Kinder unter den Duschen schrubben, weil das ihr Bad ist. Wie krank ist diese Welt....???? Anstatt nicht mehr zu wissen, wohin mit all dem Geld im Überfluss, sollten genau diese Menschen, die etwas gegen Armut und Elend tun könnten, das Geld nicht horten, sondern etwas davon den abgeben, die es wirklich nötig haben. Und ich denke JEDER von uns könnte seinen Teil dazu beitragen. Anstatt weg zu sehen und zu hams ...

  • 3 Skeptiker 15.04.2016, 17:10 Uhr

    Was HDM da postet, ist ja wohl Menschenverachtung schlechthin. Experten haben längst festgestellt, dass uns Millionen von Flüchtlingen erwarten. Dazu brauchen wir tragfähige Lösungen. Und wenn Ihnen irgendwelche menschlichen Regungen völlig fremd sind, so werden Sie doch akzeptieren müssen, dass Staaten, die sich in solchen Fragen grausam verhalten, ihr Gesicht auf die Dauer verlieren und zur völligen Bedeutungslosigkeit herabsinken, vielleicht denken Sie darüber mal nach.

  • 2 HDM 15.04.2016, 08:30 Uhr

    Ich habe den Beitrag gesehen und weiß nicht so recht, wen Sie mit Ihren Moralpredigten und dem rührenden Tränendrüsen-TV eigentlich ansprechen wollen?? Jeder sogenannte "Flüchtling" der sich aus Zentralafrika bis Libyen durchschlägt, muß sich darüber im Klaren sein, daß sein Vorhaben zum Einen riskant und zum Anderen illegal ist. Dafür sind die Herrschaften ja glänzend mit Kommunikationstechnik ausgestattet, um sich entsprechend zu informieren. An die Mär vom politisch verfolgten, gequälten, terrorisierten, unterdrückten, gefolterten und traumatisierten Flüchtling glauben höchsten noch ein paar häkelnde Birkenstocksandalenträger. Und die Sozis und Linken natürlich. Der Beitrag hat mir nur eins gebracht: seit Monaten das erste Mal einen Hauch von Sympathie für Frau Merkel. Dahingehend: Danke!

  • 1 Iris 13.04.2016, 18:22 Uhr

    Ein "failed state" ohne "richtige Regierung" ist Deutschland auch. Insofern passt es doch.