MONITOR vom 24.09.2015

Milliardenrisiko Endlagerung: Neue Schlupflöcher für Atomkonzerne

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Bericht: Jan Schmitt, Lutz Polanz

Milliardenrisiko Endlagerung: Neue Schlupflöcher für Atomkonzerne

Monitor 24.09.2015 07:30 Min. Verfügbar bis 24.09.2099 Das Erste

Georg Restle: „Gut vier Milliarden Euro Finanzhilfe will der Bund den Ländern für die Versorgung von Flüchtlingen überweisen. Das ist eines der Ergebnisse des Flüchtlings-Gipfels, der gerade zu Ende gegangen ist. Vier Milliarden Euro, das ist geradezu Kleingeld, wenn man sich den Betrag anschaut, um den es in unserem nächsten Film geht - 70 Milliarden Euro. Das ist die Summe, die die Abwicklung der Atomindustrie in Deutschland mindestens kosten dürfte. 70 Milliarden für Rückbau und Endlagerung. Geld, das eigentlich die Atomkonzerne bezahlen müssten. Gut möglich aber, dass sie dieses Geld bald gar nicht mehr haben. Dann müssten - wie immer - die Steuerzahler einspringen. Eigentlich wollte Sigmar Gabriel genau das mit einem neuen Gesetzentwurf verhindern - eigentlich. Jan Schmitt und Lutz Polanz haben sich die Pläne des Wirtschaftsministers angeschaut und zeigen Ihnen jetzt, warum sich die Atomkonzerne offenbar wieder einmal auf die deutsche Politik verlassen können.“

Düstere Stimmung bei den Atomkonzernen. Die Energiewende verschlafen, die Börsenkurse auf Talfahrt.

Fernsehkommentare: „Die E.ON-Aktie verliert kräftig, 7,6 Prozent.“ - „Massive Verluste bei den beiden schwergewichteten Versorgern.“ - „Die RWE-Aktie liegt mit 3,3 Prozent im Minus.“ - „Das Papier stürzt ab.“

Die E.ON-Aktie brach seit 2010 um 63 Prozent ein, die RWE-Aktie sogar um 80 Prozent. Und mit sinkenden Kursen steigt das Risiko für den deutschen Steuerzahler. Denn 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz. Und dann kosten sie ihre Eigentümer nur noch Geld. Geld, das die Atom-Konzerne für Rückbau und Entsorgung der radioaktiven Abfälle bezahlen müssten - geschätzte Kosten: 70 Milliarden Euro. Einen Großteil davon haben sie längst von den Stromkunden über deren Rechnungen kassiert. Doch sollte den Atomkonzernen das Geld ausgehen, müsste wieder der Steuerzahler ran.

Sylvia Kotting-Uhl (B‘90/Die Grünen), Atompolitische Sprecherin: „Heute stellen sich die Konzerne hin und wollen die Steuerzahler zum zweiten Mal bezahlen lassen, weil sie sich vor ganz klaren Aufgaben, vor ganz klaren Verpflichtungen, die von Anfang an da standen, drücken wollen. Und das ist eine unglaubliche Unverschämtheit dem Staat und dem Steuerzahler gegenüber.“

Und eine Idee, wie sie sich vor den Milliardenkosten drücken könnten, hatten die Atom-Konzerne auch schon: Die Ausgliederung der Kernkraftwerke in Tochterunternehmen. Vattenfall hatte es vorgemacht und E.ON wollte folgen. Der Plan: E.ON gründet ein Tochterunternehmen namens UNIPER. Das sollte die Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke übernehmen, E.ON selbst mit Windkraft- und Solaranlagen zum umweltfreundlichen Mutterkonzern werden. Die Haftung von E.ON für ihre Tochter würde nach fünf Jahren auslaufen und wenn dann Uniper Pleite gehen sollte, müsste nicht mehr E.ON, sondern der deutsche Steuerzahler mit Milliarden einspringen.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Man kann durchaus sagen, dass diese Umstrukturierung darauf zielte, so etwas im Kraftwerksbereich wie eine „Bad Bank“ einzurichten.“

Reporter: „Das heißt alle Risiken dahin auslagern und dann bin ich fein raus?“

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Der Versuch war, die Risiken in eine gesonderte Gesellschaft auszulagern, um den Konzern selber vor Kosten zu schützen.“

Den Konzern zu schützen heißt, den Steuerzahler zu belasten. E.ON bestreitet das. Aber die Gefahr sah auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel. Vor drei Wochen legte er deswegen einen Gesetzentwurf vor. Erklärtes Ziel:

Zitat: „Die Risiken für die öffentlichen Haushalte zu reduzieren“.

Schöner Plan, nur leider fast wirkungslos. Denn E.ON handelte prompt. In einer eilig einberufenen

Telefonkonferenz verkündete Konzernchef Johannes Teyssen unmittelbar nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs eine Rolle rückwärts.

Zitat: „Die deutsche Kernenergie wird nicht wie geplant auf Uniper übergehen, sondern bleibt mit dem dazugehörigen Vermögen in der Verantwortung von E.ON.“

(Johannes Teyssen am 10.9.2015)

Eine komplette Kehrtwende. Die Atomkraftwerke mit ihren Altlasten bleiben bei E.ON Warum das? Die Erklärung könnte darin liegen: E.ON würde zwar nach Gabriels Gesetz dauerhaft für die Tochter Uniper haften müssen, aber umgekehrt Uniper nicht für E.ON. E.ON könnte also immer mehr Werte zur Tochter Uniper verlagern, etwa seine Windkraft- und Solaranlagen. Und wenn dann E.ON mit den Atomaltlasten Pleite ginge, wäre Uniper fein raus und wieder müsste der Steuerzahler einspringen.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Die Versuche über Haftungsregelungen an das Geld zu kommen und dann sicher zu stellen, werden immer die Gefahr mit sich bringen, dass sich die Konzerne durch Umstrukturierungen ihrer Haftung entziehen. Notwendig wäre es jetzt, auf das Geld zuzugreifen, das noch vorhanden ist und in einem Fonds das auf staatlicher Seite zu sammeln, damit man sicher sein kann, dass jedenfalls dieser Beitrag der EVU für den Abbau der Kernkraftwerke geleistet wird.“

So einfach wäre die Lösung. Ein staatlich kontrollierter Fonds, in den die vier Atomkonzerne einzahlen und so sicherstellen, dass das Geld auch in Zukunft da ist, wenn man es braucht. Aber seit Jahrzehnten wehren sich die Konzerne dagegen - erfolgreich. Keine deutsche Regierung seit 1990 hat die Atomkonzerne bisher zu einem Fonds verpflichtet. Obwohl es ähnliche Lösungen in fast allen EU-Ländern mit Atomkraftwerken gibt.

Prof. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr West: „Deutschland ist mittlerweile das einzige Land in Europa, in dem die Finanzierung von Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke nicht staatlicherseits reguliert wird. Hier ist man den Atomkonzernen, die über Jahrzehnte hinweg Milliarden mit dem Atomgeschäft verdient haben so weit entgegen gekommen wie in keinem anderen Land Europas.“

Das Milliardengeschäft Atomenergie. Jedes laufende Kernkraftwerk ist eine gewaltige Gelddruckmaschine und spült jeden Tag ca. eine Million Euro Gewinn in die Kassen der Atomkonzerne. Aber die schütten den Großteil ihrer Profite an die Aktionäre aus: vor allem an Finanzinvestoren, Banken, Versicherungen. Alleine RWE und E.ON haben seit 2000 über 44 Milliarden Euro an Aktionäre verteilt. Geld, das für Rückbau und Entsorgung nicht mehr da ist, und längst in einem Fonds hätte gesichert werden können.

Sylvia Kotting-Uhl (B‘90/Die Grünen), Atompolitische Sprecherin: „Das ist ein eigentlich unglaublicher Vorgang in der Bundesrepublik. Nach diesen Milliardeneinnahmen, die da waren, und sie mussten immer wissen, dass am Ende das dicke Ende, das teuer kommt. Aber sie haben sich verhalten, als käme es nie.“

Aber es kommt, garantiert. Die radioaktiven Altlasten müssen entsorgt werden. Dass das Geld dafür längst in einem Fonds hätte gesichert werden können, weiß auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel, und zwar von seinen eigenen Experten. Im Frühjahr 2015 ließ er ein Gutachten verfassen. Eindeutiges Ergebnis: Nur Fonds würden die Gelder wirklich nachhaltig sichern. Aber das interessierte den Bundeswirtschaftsminister offenbar nicht. In seinem Gesetzentwurf findet sich keine Spur von einer Fondslösung. Gerne hätten wir mit Sigmar Gabriel über das Milliardenrisiko seines neuen Gesetzes gesprochen, aber dafür hatte er keine Zeit. Schriftlich lässt er uns mitteilen:

Zitat: „Das Bundeswirtschaftsministerium macht sich [die] Meinung der Gutachter zu Fondslösungen nicht zu eigen. Ob so eine Lösung sinnvoll und notwendig erscheint, wird derzeit analysiert.“

Weiter analysieren, was seit Jahrzehnten bekannt ist? Die Zeit drängt, weil Marktwert und Atomrücklagen der Konzerne dramatisch weiter sinken. Und damit könnte es richtig teuer werden - nicht für die Atomkonzerne, sondern für den Steuerzahler.

Stand: 22.09.2015, 14:40 Uhr

Kommentare zum Thema

10 Kommentare

  • 10 Franz 30.09.2015, 09:47 Uhr

    Es gibt keinen Fond für den Rückbau! Die Konzerne mussten steuerfreie Rücklagen bilden, welche sie aber auch zum Kauf von Beteiligungen verwenden dü ...weiterlesen

  • 9 Helmut Doberstein 29.09.2015, 15:43 Uhr

    Vor Gerhard Schröder WAR ich mal SPD-Anhänger und auch -wähler. Seitdem ist das "S" - SOZIAL - im Parteinahmen zu einem aSozial verkommen. Stichwort ...weiterlesen

  • 8 G. Steffen 25.09.2015, 18:19 Uhr

    Ich finde die Berichterstattung über die Rückbau Fonds so etwas von falsch. Meines Wissens haben die Atom Konzerne bereits Milliarden in diesem Fond ...weiterlesen