MONITOR Nr. 674 vom 09.04.2015

Atomkrieg in Europa? Die Rückkehr der nuklearen Gefahr

Kommentieren [13]

Bericht: Markus Zeidler, Marion Schmickler, Peter Onneken

Atomkrieg in Europa? Die Rückkehr der nuklearen Gefahr

Monitor 09.04.2015 06:18 Min. Verfügbar bis 09.04.2099 Das Erste

Georg Restle: „Ein Gespenst scheint zurück in Europa. Ein Gespenst, das mit dem Ende des Kalten Krieges eigentlich so gut wie vertrieben schien. Das Gespenst von einem Atomkrieg in Europa. Was anfangs nur wie nukleares Säbelrasseln der alten Weltmächte klang, scheint sich nun langsam zu einer realen Gefahr zu entwickeln. Jedenfalls dann, wenn man genauer hinhört, was die Falken in Moskau und Washington da so von sich geben. Und wenn man sich anschaut, wie viele Milliarden plötzlich wieder für Atomwaffen ausgegeben werden. Droht uns also ein neues nukleares Wettrüsten als Folge der neuen Eiszeit zwischen Ost und West? Und wie konkret ist die Gefahr tatsächlich? Recherchen von Markus Zeidler, Peter Onneken und Marion Schmickler.“

Unterwasserstart einer Atomrakete. Bilder aus Zeiten des Kalten Krieges. Aus Zeiten, in denen die Gefahr des atomaren Overkills allgegenwärtig war. Aus, vorbei, überwunden - dachten wir.

Ian Kearns, European Leadership Network (Übersetzung MONITOR): „Heute ist die Situation so gefährlich wie seit 20 Jahren nicht mehr. Vielleicht muss man noch weiter zurück. Bis in die Zeit des Kalten Krieges.“

Das sagt nicht irgendwer. Ian Kearns ist Direktor des European Leadership Network, einer Vereinigung hochrangiger europäischer Sicherheitspolitiker und ehemaliger Staatslenker, wie Helmut Schmidt und Hans Dietrich Genscher. Es sind solche Bilder und Töne, die selbst nüchterne Sicherheits-Experten alarmieren. Russisches Fernsehen in Zeiten der Ukraine-Krise.

Sprecher im Russischen Fernsehen (Übersetzung MONITOR): „Russland ist das einzige Land, das die USA in nukleare Asche verwandeln kann.“

Russischer Reporter (Übersetzung MONITOR): „Stimmt es, dass wir unsere nuklearen Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt haben?“

Wladimir Putin (Übersetzung MONITOR): „Wir waren bereit, es zu tun.“

Sagt der russische Präsident, und die Welt horcht auf. Breaking News auch bei dieser Meldung: Mitte März dann droht Russland dem Nato-Land Dänemark mit einem Atomangriff. Was das bedeutet, fragt der Moderator.

Sprecher im amerikanischen Fernsehen (Übersetzung MONITOR): „Das ist eine weitere Bedrohung. Die Experten, mit denen wir hier sprechen, nennen es immer häufiger den neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen.“

Doch es sind mehr als mediale Wortgefechte. Ende März meldet die russische Nachrichtenagentur TASS den erfolgreichen Test einer neuen russischen Atomrakete. Noch in diesem Jahr soll sie gefechtsbereit sein. Teil eines großen Modernisierungsprogramms der russischen Nuklearstreitkräfte. Doch auch die USA planen, die atomaren Relikte des Kalten Krieges fit zu machen für die Zukunft. In den Finanzplänen des US-Kongress sind in den nächsten zehn Jahren 348 Milliarden Dollar für die Atomstreitkräfte des Landes vorgesehen. Wie passt das zusammen mit all den Abrüstungsverträgen der letzten Jahrzehnte, dem Versprechen, atomare Sprengköpfe zu vernichten?

Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik: „Ja, man kann sagen, dass wir uns inzwischen wirklich in einem neuen atomaren Rüstungswettlauf befinden. Und zwar nicht auf quantitativer Ebene, wir zählen inzwischen hier nicht mehr tausende von nuklearen Sprengköpfen auf irgendwelchen Seiten. Sondern wir befinden uns in einem qualitativen Rüstungswettlauf.“

Es geht auch um US-Atombomben, wie sie hier bis heute liegen. Auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel und anderswo in Europa. Im Sommer hatte MONITOR auf Grundlage von USRegierungsdokumenten gezeigt: Die alten Bomben werden nicht einfach saniert, es geht um Modernisierung, technische Aufrüstung.

Hans M. Kristensen, Federation of American Scientists (Übersetzung MONITOR): „Diese Bombe wird zielgenauer sein. Das gibt den Militärplanern die Möglichkeit, ein Ziel mit geringerer Sprengkraft zu zerstören. Das macht die Bombe aus militärischer Perspektive attraktiver. Die Gegenseite könnte das als Schritt deuten, dass damit die Einsatzmöglichkeit dieser Atomwaffen verbessert werden sollen. Das muss gar nicht gewollt sein. Aber die Wahrnehmung der Gegenseite ist maßgeblich dafür, wie Staaten sich militärisch aufstellen.“

Aufrüstung schürt Misstrauen. Und Misstrauen neue Aufrüstung. Die alte neue Spirale des Kalten Krieges. Seit Monaten führt Moskau regelmäßig Großmanöver durch. Auch mit nuklearfähigen Waffensystemen, wie hier im letzten Mai unter den Augen des russischen Präsidenten. Doch auch die USA demonstrieren, dass sie Atommacht sind. Im Juni 2014 verlegen sie nukleare Langstreckenbomber nach Großbritannien, zu NATO-Übungen in Europa und über der Ostsee. Gefährliche Muskelspiele.

Ian Kearns, European Leadership Network (Übersetzung MONITOR): „Es finden zur Zeit so viele Militär-Manöver statt, mit Übungen und Provokationen. Mit Luftraumverletzungen durch beide Seiten. Mit Flügen in der Nähe von Militäranlagen des anderen. Die große Gefahr ist die einer ungewollten Eskalation.“

Was etwa, wenn der Übungs-Start einer Rakete missverstanden wird; als nuklearer Angriff. Die dokumentierte Liste solcher Beinahe-Katastrophen im Kalten Krieg ist erschreckend lang. Doch früher gab es etwas, was es heute kaum noch gibt. Direkte Gesprächskanäle; auch zwischen Militärs. Die wurden gekappt. Der Austausch der Militärs im NATO-Russland-Rat. Auf Eis gelegt, von der NATO. Sprachlosigkeit mitten in der Krise. Hans Kristensen von der renommierten Ferderation of American Scientists. Er ist bestens vernetzt im politischen Washington.

Hans M. Kristensen, Federation of American Scientists (Übersetzung MONITOR): „Die Verantwortlichen hier in Washington sind verblüfft, wie weitgehend die Kommunikationskanäle inzwischen dicht gemacht wurden. Selbst bei dem, was früher tägliche Routine war.“

Ian Kearns, European Leadership Network (Übersetzung MONITOR): „Wir müssen Mechanismen schaffen, damit die Militärs beider Seiten miteinander sprechen können. Um sicher zu stellen, dass Missverstände nicht zur Katastrophe führen.“

16.000 Atomsprengköpfe gibt es noch immer weltweit. Die neuen nuklearen Muskelspiele zeigen, wie gefährlich das ist.

Interview Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik

Monitor 09.04.2015 02:30 Min. Verfügbar bis 09.04.2099 Das Erste

Interview: Hans M. Kristensen Federation of American Scientists

02:52 Min. Verfügbar bis 09.04.2099

Interview: Ian Kearns, European Leadership Network

Monitor 09.04.2015 03:09 Min. Verfügbar bis 09.04.2099 Das Erste

Stand: 07.04.2015, 13:33 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

13 Kommentare

  • 13 Anonym 18.02.2020, 08:16 Uhr

    Super Video! Schöne Grüße vom lgs🤙🤙

  • 12 Tizian N. 22.09.2015, 22:45 Uhr

    Ein erneuter Start des globalen Wettrüstens zeigt, dass wir lange nicht über die Gefahren der Eskalationen eines potentienllen Erstschlages hinweg sind. Der erfrorene, offiziell erstarkte Kalte Krieg scheint wieder "heiß" zu werden. Ich lese diesen Artikel im September diesen Jahres, vor wenigen Tagen wurde eine offizielle Neustationierung 20 nuklarer Sprengköpfe amerikanischer Seite auf deutschem Boden beschlossen, die zusammen eine Sprengkraft einer 80 fachen Hiroschima Bombe haben. Nun ist zu erfragen welche Kausalität dies zur Folge hat. Der Linke Politiker Gregor Gysi (welcher im Normalfall nicht allzu ernst genommen wird) führte dazu bereits 2009 vor dem deutschen Bundestag eine erstaunliche offene Rede vor. Er meinte die Aufrüstung diene "einer Abschreckung von möglichen Kriegsgegnern", und setzte dies in einen kritischen Schwerpunkt seines Monologes. Alleine, dass über eine Abrüstung diskutiert werden muss, zeigt, dass sich unsere Politspitze keineswegs um internationale Ab ...

  • 11 1.Senator 28.04.2015, 13:29 Uhr

    Eines sollte man nicht vergessen, es war der "Westen", allen voran die USA, die nahezu ALLE Formen von Drohungen gegen Russland ausgesprochen haben! Man darf aber nicht vergessen, WEM man da droht! Natürlich ist die ultima Ratio für eine Land von der Größe Russlands bei einem bis an die Zähne bewaffneten und offenbar jederzeit kriegsbereiten Gegner wie den USA, letztlich der atomare Gegenschlag! Die äußerst gefährliche Relativierung eines möglichen atomaren Schlagabtausches auf Grund der "Modernisierung" dieser Massenvernichtungswaffen muss JEDEN beunruhigen, dem sein und das Leben seiner Kinder und seiner Familie, wie auch das LEBEN auf diesem Planeten insgesamt am Herzen liegt! Natürlich kann man nicht ständig einfach nur drohen, sondern man ist dann um der eigenen Glaubwürdigkeit willen irgendwann gezwungen auch zu handeln!! Und dann? Was aber, wenn der Gegner sich auf Grund der ständigen Drohungen entschließt besser als ERSTER zuzuschlagen?? Die Kanonenbootdip ...

  • 10 atomfasspunktcom 20.04.2015, 19:31 Uhr

    Danke für diesen Beitrag. Die größte Gefahr geht von den AKW und den neben ihnen befindlichen, ungeschützt gelagerten strahlenden Abfällen aus - im Frieden wie im Krieg. In der Ukraine finden Kampfhandlungen mit schweren Waffen 200 km entfernt vom angeblich größten europäischen AKW statt. Alleine in Deutschland befinden sich etwa 20 gut gefüllte oberirdische Zwischenlager, ein jedes 10 mal so wirkungsvoll wie der Reaktor in Tschernobyl, wenn etwas passiert (ein Stromausfall, ein Unfall, ein Anschlag). Erst nach 40 Jahren Abkühlung kann der Müll unter die Erde. Leider halten sich die Menschen hierzulande (und in vielen anderen Ländern vermutlich auch) damit auf, einander mit Kennermiene zu versichern, dass es ein sicheres Atommüll-Lager nicht geben kann, anstatt dafür einzutreten, dass Lager gebaut werden, die das Zeug von der Biosphäre fernhalten, damit wenigstens noch einige Tausend Jahre Leben auf der Erde möglich sein wird.

  • 9 Thomas Rudek 13.04.2015, 17:57 Uhr

    Was mich wirklich erschreckt, ist die Tabusierung der atomaren Eskalaltion des Ukraine-Konflikts auf den öffentlich-rechtlichen Talkbühnen. Gerade vor diesem Hintergrund war diese ausgezeichnete Reportage von Markus Zeidler, Marion Schmickler und Peter Onneken überfällig. Alle Talk-Redakteure sollten verpflichtet werden, diese Reportage a) zur Kenntnis zu nehmen und b) den Inhalt in der Moderation entsprechend herauszustellen. Eine Analyse der Talk-Sendungen zu diesem Thema finden Interessierte unter http://berliner-wasserbuerger.de/?p=3548

  • 8 ThinkGlobal-ActLocal 13.04.2015, 02:51 Uhr

    Es ist schier unfassbar, wie sich die Mechanismen und Rechtfertigungen der Atommächte und "Kalten Krieger" wieder gleichen, als hätte es keinen heilsamen Zerfall der Ost-West-"Abschreckungs"-Blöcke, eine Ende der absurden"Nachrüstungs-Spiralen" und der vermeintlichen "Führbarkeit von Atomkriegen" vor gerade mal etwa 25 Jahren gegeben, der die Welt aufatmen ließ. Wofür sind wir in den 1970/80/90er Jahren zu Millionen rund um den Globus auf die Straßen gegangen? Haben nukleare Militärbasen blockiert und die Wahnsinningen versucht aufzurütteln, dass wir dabei sind, diesen Planeten unbewohnbar zu machen? Und sei es aus einem "unbeabsichtigen Missverständnis"? Haben für eine friedlichere Zukunft und die Überlebens-Chancen der nächsten Generationen gekämpft -- bis zur Erschöpfung oft? Alles vergebens? Lernt die Menschheit als Spezies nie wirklich dazu? Wiederholt sich der Irrsinn der Selbstvernichtungs-Doktrin stets auf Neue? Haben wir nur eine kleine Atempause der größeren Sicherheit ...

  • 7 Thiudisk 11.04.2015, 20:08 Uhr

    hier die Fortsetzung zum Kommentar vom 10.04 /Text war wohl etwas zu lang) .... Diese in jeder Beziehung bedingungslose Gefolgschaft ist das größte Hindernis für eine eigenständige europäische Identität. Der deutsche Wähler steht somit in der Verantwortung, sich bei zukünftigen Wahlen sehr genau anzuschauen, welche Partei bereits ist, sich notfalls gegen die US-amerikanischen Interessen zu stemmen, um den Frieden in Europa zu sichern.

  • 6 Thiudisk 10.04.2015, 20:53 Uhr

    Es wird Zeit, dass sich Europa emanzipiert und den USA Grenzen aufzeigt. Überall dort, wo sich die USA in den Jahrzehnten seit dem letzten Weltkrieg eingemischt haben, haben sie Chaos und Elend hinterlassen - zuletzt in der Ukraine ... Ich befürchte aber, dass die EU in ihrer jetzigen Ausprägung genau nach den Macht- und Wirtschaftsinteressen der USA gestaltet wurde. Letztlich ist es ja auch viel einfacher, die "eine" Institution EU zu beeinflussen, als eine Vielzahl souveräner Staaten mit eigenen Interessen. Da sich aber alle Mitgliedsstaaten von den Subventionstöpfen der EU abhängig gemacht und einer gemeinsamen Währung unterworfen haben müssen alle mit den Wölfen heulen. Das ausgerechnet die Bundesrepublik als stärkste Wirtschaftskraft die Rolle des Leitwolfs inne hat, ist dem Frieden auf dem europäischen Kontinent nicht zuträglich, da sich die Deutschen den USA viel zu sehr verpflichtet fühlen. Diese in jeder Beziehung bedingungslose Gefolgschaft ist das größte Hindernis für ...

  • 5 Thomas Koester 10.04.2015, 11:39 Uhr

    Da bestätigt sich doch die folgende Aussage: Der Mensch ist das dümmste Tier der Welt. Der Mensch baut die Atombombe. Aber würde jemals eine Maus auf die Idee kommen, eine Mausefalle zu bauen?

  • 4 GRFox 09.04.2015, 22:41 Uhr

    Sorry, ich hätte die Frage nach A.M. mit IM oder FDJ beantwortet, aber dies war falsch! Der Beitrag war gut, aber nicht richtig!!! Zunächst hätte aufgund kalendarischer Fakten das Interesse der nuklearen Erweiterung dargelegt werden müssen - Raketenschildpläne protiv Iran -> nahe Rußlandsgrenzen. Hernach Verlängerung der Atomwaffenstationierungsverträge mit DE durch Westerwelle (wer war das?, wann war das?) Danach Ukrainekrise - ausgelöst durch die USA, verhärtet dur DE!!! Warum Atomraketen bauen, wenn man im Besitz der Weltvernichtungsmaschine ist! Und im Besitz dieser sind die USA und RUS. Aber nur die USA werden sie einsetzen!!! (Nagasaki, Hiroshima) - denn die anderen sind Menschen!!! nicht nur Geldsäcke!!! Also den Bericht näher zur Wahrheit bringen und die peinliche Stellung von A.M. und F.-W. St. - für Nylonstrümpfe verkaufe ich sogar ein Staatsvolk - mehr in den Vordergrund bringen - dann wird Monitor sogar zu einem Erfolg!

  • 3 Ralf-Dieter Bonnmann 09.04.2015, 22:40 Uhr

    Sind wir wirklich wieder in einem Atomkriegrisiko in Europa ???- dann aber nur weil sich Europa nicht im Klaren ist, daß ein nukleares Inferno, wenn es hier in Europa ausgetragen werden sollte nicht im Interesse von Rußland sein wird,denn die gehören ebenfalls zu Europa. Die einzige Atommacht,die weit weg ist und mit seinen Säbeln rasselt ist Amerika, dem Europa klarmachen muß,daß wir Europäer hier endlich in Frieden leben wollen,also redet endlich wieder mit Rußland und sorgt für ein friedliches Miteinander