Pressemeldung vom 19.01.2023

Asylsuchende auf Mittelmeer-Fähren illegal eingesperrt und angekettet

Asylsuchende werden offenbar systematisch auf Fähren zwischen Italien und Griechenland in engen Metallschächten und anderen dunklen Räumen gefangen gehalten, teilweise sogar mit Handschellen festgekettet – darunter offenbar auch Minderjährige. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die von Italien aus nach Griechenland zurückgezwungen werden, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, dort Asyl zu beantragen. Das zeigen gemeinsame Recherchen des ARD-Politikmagazins MONITOR mit Lighthouse Reports, SRF, Al Jazeera und Domani.

Im Rahmen der europäischen Recherche-Kooperation ist es erstmals gelungen, die Existenz dieser provisorischen Gefängnisse auf den Passagierschiffen nachzuweisen. Darunter auch ein Ort, wo mindestens ein Flüchtling mit Handschellen festgekettet wurde. Anhand eines Fotos, das von einem Betroffenen aufgenommen wurde, konnte der Ort identifiziert werden. Gefunden wurde auch ein enger Metallschacht, von dem Flüchtlinge zuvor berichtet hatten,  ausgelegt mit Pappkartons. Auch ein nicht mehr funktionsfähiger Toilettenraum, in den Menschen laut eigenen Angaben eingesperrt wurden, konnte von Journalistinnen und Journalisten der Recherchegruppe auf einer Fähre identifiziert werden. Nach weiteren Berichten von Flüchtenden und Hilfsorganisationen werden Asylsuchende so teilweise ohne ausreichende Verpflegung oder Zugang zur Toilette auf dem Weg zurück nach Griechenland festgehalten. Eine Überfahrt kann mehr als 30 Stunden dauern.

Die Recherchen zeigten eine "ganz klar menschenunwürdige Unterbringung" der Flüchtlinge, so Dana Schmalz vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Dies verstoße sowohl gegen EU-Recht als auch gegen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das zuständige Fährunternehmen bestreitet auf Anfrage jegliche Vorwürfe. Etwas derartiges würde auf keiner der Fähren vorkommen, man halte sich stets an nationales und internationales Recht.

Immer wieder hatten Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren von menschenunwürdigen Bedingungen bei Zurückweisungen nach Griechenland berichtet, ohne dass die Situation auf den Fährschiffen konkret nachgewiesen werden konnten. Auch das Verfahren in Italien steht seit Jahren in der Kritik, wonach Asylsuchende ohne Anhörung innerhalb kürzester Zeit nach Griechenland gezwungen werden. Die neuen Recherchen dokumentieren nun, dass diese illegalen Praktiken offenbar nach wie vor andauern. Das italienische Innenministerium nimmt auf Anfrage keine Stellung. Giovanni Signer, Polizeidirektor der Stadt Bari – eine der Hafenstädte, in der Fähren aus Griechenland ankommen - weist im Interview jegliche Vorwürfe zurück.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte Italien bereits 2014 wegen kollektiver Zurückweisungen ohne angemessene Verfahren verurteilt. Der Gerichtshof entschied damals, dass Italien rechtswidrig Asylsuchende, die als blinde Passagiere auf Schiffen ins Land gekommen waren, zurück nach Griechenland geschickt hatte. Sie waren ebenfalls auf Schiffen zurückgeschickt worden, ohne die Möglichkeit, in Italien einen Asylantrag zu stellen. Dass diese illegalen Praktiken andauern, zeige, dass die EU hier billigend den Verstoß gegen europäische Flüchtlingskonventionen in Kauf nehme, meint Wenzel Michalski von Human Rights Watch. "Man möchte möglichst viele Migrantinnen und Migranten fernhalten. Die Festung Europa, von der so oft gesprochen wird, zeigt hier wieder ihr hässliches Gesicht", so Michalski.

Die EU-Kommission betont auf Anfrage, ein effizienter Grenzschutz müsse fest mit der Achtung der Menschenwürde und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verbunden sein. Man erwarte von betroffenen Ländern, alle Vorwürfe zu untersuchen und etwaiges Fehlverhalten zu verfolgen.

Kommentare zum Thema

  • Jonas Pauli 20.01.2023, 12:47 Uhr

    „Flüchtlinge“ auf der „Flucht“ aus Griechenland nach Italien? Kurios! An dem Bericht stimmt gar nichts. Illegal ist Einschmuggeln auf dem Schiff, legal ist das Festsetzen von blinden Passagieren die man auf See nicht einordnen kann. Die „provisorischen Gefängnisse“ machen Sinn; beim Bau der Schiffe gab es keinen Grund ordentliche Gefängniszellen zu bauen und dann muss man sich irgendwie behelfen. Es gibt auch kein Recht in Italien Asylantrag zu stellen wenn man den bereits beim Eindringen in den Schengenraum in Griechenland gestellt hat oder hätte stellen müssen. Man merkt schon gar nicht mehr, dass das Ganze nichts mehr mit dem Ursprung der Genfer Konventionen zu tun hat: „Sie sind vor Krieg und Not geflohen“; beides kein Asylgrund. In der Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten gibt es erst gar keine Grundlage das Land zu verlassen; Ausnahme, unmittelbare Gefahr. Und „Not“ ist „Suche nach einem besseren Leben“, also ganz banal illegale Wirtschaftsmigration.

  • Anna 20.01.2023, 09:45 Uhr

    Was geschieht mit den jungen afghanischen Männer in der heruntergekommenen Ruine in Griechenland, nachdem Sie dort Ihre Recherchen abgeschlossen haben. Lässt man diese Minderjährigen, nachdem man den Bericht dokumentiert hat, wieder alleine in ihrer prekären, menschenunwürdigen Situation? Was könnte man für diese Menschen tun, um ihnen aus der Situation herauszuhelfen? Ich empfinde den europäischen Umgang mit Flüchtlingen, gerade aus Ländern wie Afghanistan , Syrien und Afrika, oft als sehr menschenverachtend.

  • Kerstin 19.01.2023, 23:38 Uhr

    In den letzten Jahren, fuhr ich oft mit dem Wohnmobil mit Fähren nach Griechenland und natürlich auch zurück. Da ich Camping an Deck bevorzuge habe ich ein Stück weit Einblick in den Ablauf. In Patras , auch in anderen Fährhäfen versuchen illegale Einwanderer die Absperrung zu durchbrechen. Die Kontrollen sind sehr gut. Mir ist es allerdings nie aufgefallen, daß Italien etwaige illegale Einwanderer zurück nach Griechenland geschickt hat. Vor allem nicht unter diesen Umständen wie sie es im Beitrag gezeigt haben. Ich hoffe das die anderen Beiträge eher der Wahrheit entsprechen. Dieser entspricht meiner Meinung nach nicht der Wahrheit.