Kriminalfälle aus NRW: Tödliches Kaffeetrinken mit dem eigenen Enkel

Wuppertal | Verbrechen

Stand: 08.01.2024, 11:14 Uhr

Mitte März 2017 werden Enno und Christa S. tot in ihrer Villa in Wuppertal gefunden. Was zunächst wie ein Raubmord aussieht, entpuppt sich am Ende als Bluttat innerhalb der Familie.

Von Wolfram Lumpe

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Der Tattag

Die Haustür der S.-Villa steht am Morgen des 20. März 2017 auf. Die Haushaltshilfe entdeckt das, geht aber nicht hinein. Sie verständigt den Enkel von Enno (91) und Christa S. (88). Auch er kommt wie weitere Familienangehörige zum Haus. Die Polizei wird alarmiert und findet die Leichen des betagten Ehepaares. Später, im Prozess um die Tat, werden Fotos gezeigt, die die ersten Kriminalbeamten vor Ort aufnehmen. Die Bilder der Körper lassen auch einen Laien erkennen, dass hier ein schweres Verbrechen stattgefunden hat.

Der genaue Tatablauf lässt sich auch im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Die Ermittlungen bringen aber an den Tag, dass auf den Senior mehrfach mit einem schweren Gegenstand eingeschlagen wurde, bevor man ihn dann erdrosselte. Seine Frau erlitt ebenfalls einen harten Schlag auf den Kopf. Sie starb daran aber nicht, was die Täter 20 bis 30 Minuten später bemerkten und Christa S. ebenfalls erdrosselten. Sie wurde mit einem fest um den Hals gezogenen Schal aufgefunden.

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Langwierige Ermittlungen

War es ein Raubmord? Das ist die erste These der Ermittler. Schließlich handelt es sich bei den Opfern um ehemalige, ihr Leben lang erfolgreiche Unternehmer. Im Haus voll mit Kunstwerken wäre durchaus etwas zu holen gewesen. Beide lebten sehr zurückgezogen. Trotzdem waren sie stadtweit bekannt, weil sie Jahrzehnte lang Kunst und Kultur in Wuppertal förderten. Über viele Wochen ermitteln Staatsanwaltschaft und Polizei. Ohne Ergebnis. Nachfragen bekommen die immer gleiche Antwort: Wir konzentrieren uns ganz auf das Anwesen und sichern dort Spuren.

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Zwei Tatverdächtige

Fast drei Monate vergehen, bis Staatsanwalt Torsten Meyer sagt, dass es einen Tatverdächtigen gibt: der 25 Jahre alte Enkel der Getöteten, Benjamin S. Nicht nur er kommt in Untersuchungshaft, auch ein Bekannter und Geschäftspartner des jungen Mannes wird festgenommen. Die These der Anklagebehörde: Der Enkel wurde von seinen Großeltern regelmäßig mit hohen Geldbeträgen beschenkt, das habe er auch für Geschäfte mit dem von ihm abhängigen anderen mutmaßlichen Täter genutzt. Am Tattag aber habe der Großvater den Geldhahn zudrehen wollen. Aus Enttäuschung.

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Das Schein-Studium

Die ausführliche Version der Geschichte, die später die Grundlage der Anklage gegen den Enkel bildet, geht so: Benjamin S. war für seinen Großvater offenbar ein Hoffnungsträger - und so auf dem Weg, irgendwann ein großes Erbe anzutreten. Das allerdings nicht ohne Bedingungen: Enno S. erwartete von ihm ein abgeschlossenes Studium. Der alte Mann fragte auch regelmäßig nach. Zum Beispiel nach den Uni-Scheinen. Das wisse er doch, dass man die an der Universität machen müsse. Antwort des Enkels: Solche Nachweise gebe es heute nicht mehr. Das echte Leben von Benjamin S. sieht jedoch anders aus. Teure Autos und große Partys leistet er sich vom Geld der Großeltern. An der Bergischen Universität ist er zwar eingeschrieben, wird aber bald exmatrikuliert. Studiert hat er eigentlich nie.

Großvater Enno S. scheint etwas zu ahnen, erkundigt sich bei einem Prorektor der Wuppertaler Universität nach seinem Enkel. Eben dieser Prorektor berichtet später als Zeuge im Prozess, wie er Enno S. darüber aufklärt, dass es sehr wohl noch Uni-Scheine für ein bestandenes Seminar gibt. "Er hat sich mit Empörung abgewandt, ist aufbrausend weggegangen und hat sehr genau verstanden, was die Wahrheit an der Universität angeht." Weiter habe Enno S. gesagt: "Der lügt mich an", und dass er mit Enkel Benjamin reden wolle.

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Tödliches Kaffeetrinken

Angesetzt wird das Gespräch für Sonntag, den 19. März. Solch ein gemeinsames Kaffeetrinken findet beinahe jedes Wochenende statt, diesmal nur eben mit äußerst problembeladenen Vorzeichen. Die Geschehnisse dieser Stunden am Tattag nehmen im Prozess sehr großen Raum ein - der von den Opfern getrunkene Kaffee spielt dabei die Schlüsselrolle.

"Der Enkel sollte um 16 Uhr zum Kaffeetrinken kommen. Er kam aber später. Und für den später Ermordeten zu spät", sagt Robert Bertling, Vorsitzender Richter im Prozess, "Enno S. trank pünktlich um 16 Uhr seinen Kaffee. Er trank nie eine ganze Tasse, sondern nur etwas weniger. Trotzdem fand man später in seinem Mageninhalt bei der Obduktion 22 mg Koffein. Und die sind allerspätestens nach einer Stunde aus dem Magen verschwunden." Also könne die Tat nur in dieser Zeit geschehen sein. Und außer den Opfern sei nur einer im Haus gewesen: der Enkel.

Der Angeklagte Benjamin S., wie er 2018 den Gerichtssaal betritt | Bildquelle: imago/Deutzmann
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Der Prozess

Der schweigt zu Prozessbeginn ebenso wie der Mitangeklagte. Wenig überraschend geht es nur um Indizien. Was die Prozessbeobachter allerdings verblüfft, ist die Tatsache, dass Benjamins Vater, also der Sohn der Getöteten, als Nebenkläger gegen seinen Sohn auftritt. Es gehe ihm aber nicht um eine Verurteilung, lässt er seinen Anwalt sagen. Er wolle vielmehr auf diese Art erfahren, was genau am Tattag geschehen sei.

Bis das für die Richter der Schwurgerichtskammer klar ist, vergehen mehr als 40 Verhandlungstage. An die 60 Zeugen sind bis dahin gehört worden - das Leben der Familie S. wird regelrecht seziert. Die beiden - heute rechtskräftigen - Urteile werden im November 2018 gesprochen: Der Enkel muss lebenslang in Haft, die besondere Schwere der Schuld wird darüber hinaus festgestellt. Er steht vor mehr als 20 Jahren im Gefängnis. Weit überraschender der Freispruch des Mitangeklagten. Es steht fest, dass er rund um die Tatzeit auch im Haus war. Nichts aber spricht in den Augen der Richter dafür, dass er auch Täter war.

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Eindeutiger Freispruch

"Da wir keine Beweise für eine abgesprochene Tötung zwischen den beiden Angeklagten hatten und auch nichts dafür sprach, dass es diesen Plan überhaupt gab, blieb auch die Möglichkeit übrig, dass der Mitangeklagte erst in das Haus gerufen wurde, als die Tat in Bezug auf den Großvater schon geschehen war. Und dass er an der weiteren Tat überhaupt nicht beteiligt war", sagt Bertling, Vorsitzender Richter. Für die nachweisbare Anwesenheit am Tatort sei er nicht zu belangen. Gibt es eine Bestrafung dafür, dass jemand mithilft, einen Ermordeten von A nach B in einem Zimmer zu bewegen? "Das würde ich nicht sagen", sagt Bertling weiter.

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Verzweiflung statt Habgier

Bei Benjamin S. ist die Sache für die Kammer allerdings klar, sagt Bertling weiter. "Offenbar ist es so, dass es zu einem Streitgespräch zwischen dem Großvater und seinem Enkel gekommen ist. Benjamin S. ist wohl vom Großvater klargemacht worden, dass er von nun an keine finanziellen Zuwendungen erhält und vielleicht auch aus dem Testament gestrichen werden könnte. Dies würde für ihn bedeuten, dass er seinen üppigen Lebensstil nicht mehr fortsetzen könnte, weil er ja keine Ausbildung, keine Lehre, kein Studium, nichts hatte."

Von Habgier als Motiv könne allerdings keine Rede sein. "Es ging wohl eher um die Verzweiflung, was ihm jetzt drohte. Deswegen ist das auch als Totschlag und nicht als Mord gewertet worden", sagt Bertling. Anders bei Christa S. Sie muss sterben, um das Verbrechen an Enno S. zu verdecken. Ein eindeutiger Mord. Die Urteile überstehen Revisionen beim Bundesgerichtshof.

Über dieses Thema berichten wir auch am 09.01.2024 im WDR-Fernsehen: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.