Der Proband von Bewährungshelfer Tobias Kunze ist nervös, als er ihn in der Schleuse des Amtsgerichts Mönchengladbach trifft, denn er steht heute vor Gericht. Probanden nennen die Bewährungshelfer ihre Klienten. Das Wort kommt aus dem Lateinischen von "probare", was so viel heißt wie erproben oder bewähren. Kunzes Klient ist auf Bewährung. Für ihn geht es heute darum, ob er ins Gefängnis muss - nicht mehr und nicht weniger.
Drohende Gefängnisstrafe
Dem Mann wird ein Raub vorgeworfen, er soll unter Alkohol seiner Freundin nach einem heftigen Streit den Rucksack geklaut haben. Es ist nicht das erste Mal, dass er vor Gericht steht. Kunze betreut ihn seit einem Jahr. Auf dem Gang wechseln sie nur ein paar kurze Worte.
Sozialarbeiter im Auftrag des Gerichts
Tobias Kunze ist Bewährungshelfer. Der 38-Jährige arbeitet im Gerichtsbezirk Mönchengladbach und ist zuständig für Grevenbroich. Diebstahl, Einbruch, Betrug - häufig stecken andere Themen hinter den Straftaten seiner Klienten. Seit acht Jahren ist er Bewährungshelfer, davor hat er mit Suchtkranken gearbeitet. Sucht ist auch bei den Straftätern häufig ein Thema. Kunze ist Sozialarbeiter, allerdings ist sein Arbeitgeber das Gericht. Er muss dort sachlich berichten, wie sich sein Klient führt. Er steht als Mittler zwischen Behörde und Straftäter.
Bewährung statt Haft
Haftstrafen bis zu zwei Jahren können vom Gericht auf Bewährung ausgesetzt werden. Die eigentliche Bewährungszeit ist immer länger. Wenn jemand etwa zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wird, ist die eigentliche Bewährungszeit meist zwei bis drei Jahre. Nicht jeder bekommt automatisch einen Bewährungshelfer an die Seite gestellt.
Aber auch Menschen, die in Haft waren, gehören zu Kunzes Klienten, denn auch das letzte Drittel einer Gefängnisstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden.
Aufgaben eines Bewährungshelfers
Kunzes Aufgaben bestehen darin, mit den Verurteilten daran zu arbeiten, warum sie straffällig geworden sind, und ihnen zu helfen, dass sie nicht wieder vor Gericht landen. Derzeit betreut er 70 Menschen gleichzeitig. Einmal im Monat muss jeder Proband bei ihm im Büro erscheinen.
Unterstützung und Kontrolle
Kunze hilft seinen Klienten etwa einen Therapieplatz zu finden oder bei Ärger mit dem Jobcenter. Außerdem sorgt er dafür, dass sie sich an die Auflagen des Gerichts halten. Wurde jemand beispielsweise dazu verurteilt, Sozialstunden zu leisten, und derjenige geht nicht hin, drohen ihm Konsequenzen. Im Extremfall müsse er dann doch ins Gefängnis. Ein großer Teil von Kunzes Job ist Beziehungsarbeit. "Es gibt einige Fälle, die am Anfang überhaupt keine Lust haben, vorbeizukommen, und nach drei Jahren sagen sie, schade, dass es vorbei ist", sagt er.
Der aktuelle Fall
Zurück im Gericht: Vor anderthalb Jahren soll Kunzes Klient seiner Freundin den Rucksack geklaut haben. Er lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Notunterkunft für Obdachlose, seine Freundin in einem Zelt. Beide haben Probleme mit Alkohol und Drogen, hatten an dem Abend zu viel getrunken und können sich an den Vorfall nicht richtig erinnern.
Inzwischen hat der Klient einen Alkoholentzug gemacht. Daher hofft Kunze, dass er jetzt endlich die Kurve kriegt. Als Bewährungshelfer erstattet er dem Richter Bericht über den Alkoholentzug, muss ihn aber auch über ein kürzlich erfolgtes Urteil gegen seinen Klienten wegen Körperverletzung informieren.
Eine zweite Chance
Sein Klient hat eine Chance verdient, findet Kunze, noch vor einem Jahr hätte er das vermutlich nicht gesagt. Er meint: "Ich sehe ihn heute komplett anders als vor zwölf Monaten, und das finde ich dann sehr schön zu beobachten."
Für Kunzes Klient endet der Prozess heute glimpflich. Die Zeugen des Vorfalls können nichts Konkretes über den mutmaßlichen Raub sagen. Das Gericht kann nicht klären, was wirklich passiert ist. Kunzes Klient wird freigesprochen und muss nicht in Haft.
Über dieses Thema berichten wir am 08.01.2025 auch im WDR Fernsehen: Lokalzeit Düsseldorf, 19.30 Uhr.