Nachdenklich betrachtet Patrick Scheddies ein paar Neuzugänge. Ihre Krallen sind so lang und eingerissen, dass sie kaum laufen können. Ihre Federn teilweise ausgefallen, die Hühnerhaut kahl. Der Anblick macht dem Häftling zu schaffen. Der 40-Jährige ist einer der Gefangenen, die in der JVA in Castrop-Rauxel im Hühnerstall arbeiten. "Wenn ich die Tiere sehe, die vorher kein gutes Leben hatten, freue ich mich umso mehr, wenn sie wieder aufblühen. Sie haben wieder schöne rote Kämme und schönes volles Federfell. Da bin ich schon glücklich."
90 Hühner werden von Scheddies und seinen Mithäftlingen auf dem Gefängnis-Gelände versorgt. Alle Tiere hat der Verein "Hühnerrettung NRW e.V." von Mastbetrieben übernommen, somit vor dem Schlachter gerettet und der JVA-Castrop-Rauxel übergeben.
JVA Castrop-Rauxel: Gescheiterte Fluchtversuche
Scheddies verbüßt seit vier Monaten seine Haftstrafe wegen Drogendelikten. Morgens lässt er die Hühner aus den Ställen, macht sie sauber und füttert die Tiere. Er nimmt eines der neuen Hühner auf den Arm und bietet ihm ein Stück Banane an. Noch ist das Tier vorsichtig, trotz des breiten Lächelns auf Scheddies Gesicht. "Die, die länger hier sind, stürzen sich sofort auf alles, was wir ihnen geben", sagt er. Als der 40-Jährige wenig später auf den großen gelben Futtereimer trommelt, kommen die Hühner zu ihm gelaufen. Das mag er.
"Ich habe schon einen Draht zu Tieren. Meine Freundin hat einen Hund. Und ich hatte früher einen Leguan." Etwa 30 Eier sammelt er jeden Tag im Stall ein. Er geht die Brutplätze ab, packt die Eier vorsichtig in einen weißen Eimer, macht sie sauber und legt sie Ei für Ei in Eierkartons. Die ungestempelten Eier werden den Bediensteten in der JVA zum Kauf angeboten.
Abends sorgt er dafür, dass alle Hühner wieder zurück im Stall sind. "Es hat schon Fluchtversuche gegeben - also, von den Hühnern", sagt Scheddies und schmunzelt ein bisschen.
Wie Häftlinge aufblühen
Der Job im Hühnerstall ist unter den Gefangenen sehr beliebt, die Warteliste lang. Wer hier arbeiten möchte, muss vorher im Gartenbetrieb der JVA bewiesen haben, dass er pünktlich und zuverlässig ist. Denn bei den Hühnern dürfen die Gefangenen sehr selbstständig arbeiten, sagt Gartenbaubetriebswirtin der JVA, Anika Schäfer: "Man merkt wirklich, dass viele hier aufblühen mit der Arbeit. Sie haben vorher noch gar nicht gelernt, einen Tagesablauf zu strukturieren oder verantwortlich für ein anderes Lebewesen zu sein."
Der verantwortungsvolle Job hier soll Scheddies und die anderen Gefangenen auf den Alltag nach ihrer Entlassung aus der JVA vorbereiten. Patrick Scheddies will nach dem Ende seiner Haftstrafe im kommenden Jahr wieder im Duisburger Hafen in der Logistik arbeiten. Die Hühner werden ihm aber fehlen, sagt er. Vielleicht kommt er ja mal kurz nach ihnen gucken - so, wie es auch andere ehemalige Gefangene nach ihrer Entlassung aus der JVA in Castrop-Rauxel machen.
Über dieses Thema haben wir auch am 09.10.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.