Ein Mann steht vor einem Fenster, aus dem eine Person hinter der Gardine hervorschaut.

Interview: Stalking erkennen und sich wehren

Köln | Verbrechen

Stand: 06.01.2025, 17:04 Uhr

Was tun, wenn ich gestalked werde? Vor dieser Frage stand auch Ralf Scharrer. Heute leitet er die Organisation "Aktiv gegen Stalking". Er möchte anderen Mut machen. Bei uns erzählt er von seinen Erlebnissen und davon, was Betroffene tun können.

Von Dana Marie Weise

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Neun Jahre Stalking nach Trennung

Die 41-jährige Melanie wurde neun Jahre ihres Lebens gestalked. Die Person, die Melanie stalkte, wollte die Trennung nicht akzeptieren - und machte ihr fortan das Leben zur Hölle. Mehrmals musste sie den Job wechseln, Familie und Freunde litten, distanzierten sich sogar, denn nicht nur Melanie selbst, sondern ihr ganzes Umfeld wurde mit Anrufen und Nachrichten bombardiert. Die Person lauerte Melanie auf der Straße auf. Verfolgungswahn und mentale Probleme waren die Folge. Seit zwei Jahren kann Melanie in Frieden leben: die Person hat von ihr abgelassen. Das ganze Interview mit Melanie gibt bei WDR Lokalzeit MordOrte auf YouTube.

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Stalking erkennen

Was können Betroffene tun? Wie kann man sich gegen Stalking schützen? Im Film zum Thema haben wir mit Ralf Scharrer gesprochen. Er wurde selbst gestalked und leitet heute die Organisation "Aktiv gegen Stalking", die sich für Betroffene einsetzt und zu der unter anderem eine Selbsthilfegruppe in Köln gehört. Hier gibt er hilfreiche Tipps und berichtet von seinen Erfahrungen.

Lokalzeit: Herr Scharrer, Sie waren selbst von Stalking betroffen. Vor Gericht hat ihr Stalker bewirkt, dass sie nicht über die Details ihres Falls sprechen dürfen. Können Sie dennoch teilen, wie es sich für Sie anfühlte?

Ralf Scharrer: Am Anfang habe ich es auf die leichte Schulter genommen. Ich dachte: Okay, das vergeht von allein. Das nimmst du nicht für voll. Und dann kommen Anrufe, und dann kommen immer mehr und immer mehr Geschichten, bei denen man denkt, es geht zu weit. Ich dachte: Irgendwann hört das schon wieder auf. Und du zeigst dich von deiner starken und erwachsenen Seite. Aber es wurde immer enger und enger. Es war ein schleichender Prozess. Du hoffst immer, es hört von allein wieder auf. Tut es aber nicht. Und irgendwann sitzt du da und denkst: Oh Gott, ich kann nicht mehr. Ein inneres Gefühl, wie eine Schlinge um den Hals, und du merkst, irgendwann brichst du zusammen.

Portraitfoto von Ralf Scharrer.

Mit seinen Erfahrungen hilft Ralf Scharrer anderen Menschen, die von Stalking betroffen sind

Lokalzeit: Und was haben Sie dann gemacht?

Scharrer: Irgendwann habe ich gedacht: Jetzt muss ich etwas unternehmen. Sonst passiert vielleicht ein Unglück - mit mir selbst. Weil man irgendwann sagt: Ich halte das nicht mehr aus, das ist so eine bedrohende Situation. Und ich möchte wirklich einen Appell rausschicken und sagen: Bitte holt euch Hilfe! Schon darüber zu sprechen ist sehr wertvoll. Deshalb gibt es die Organisation "Aktiv gegen Stalking", weil wir zuhören, weil wir Tipps geben. Wir treffen uns auf Augenhöhe.

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Es liegt nicht an dir!

Lokalzeit: Wann kam der Wendepunkt in Ihrem Fall?

Scharrer: Als ich in dieser Abwärtsspirale ankam und mich nicht mehr sicher gefühlt habe. Als ich nicht mehr in Supermärkte gegangen bin, in denen es keine Überwachungskameras gab, weil ich dachte: Wenn mir hier etwas passiert, kann ich es ja nicht beweisen. Wenn das passiert, merkst du: Stalking hat dich im Griff. Du kannst nicht mehr denken, arbeiten, schlafen, essen. Ich wusste, jetzt brauche ich professionelle Hilfe. Ich bin zum Psychiater gegangen, nicht, weil ich mein Leben nicht im Griff hatte, sondern, weil die Lebenssituation von außen so zermürbend war. Zu kapieren, dass das Stalking auch jeden anderen hätte treffen können, und es nicht an mir lag, war ein wichtiger Moment. Für mich war das eine Befreiung.

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Wie kann man gegen seinen Stalker oder seine Stalkerin vorgehen?

Lokalzeit: Können Sie etwas zu den Gründen für Stalking sagen?

Scharrer: 50 Prozent aller Stalking-Fälle beginnen wegen einer Trennung von einer romantisierten Beziehung. In meiner Selbsthilfegruppe gab es etwa einen solchen Fall. Es gab Bedrohung, es gab üble Nachrede, es gab Rufmord. Im Fall einer anderen Teilnehmerin wurden Nacktaufkleber von ihr erstellt und in der gesamten Umgebung an die Laternen geklebt. Nachts war sie mit einem Kratzer unterwegs und hat die Aufkleber, die der Stalker gedruckt hat, entfernt.

Lokalzeit: In Ihrer Selbsthilfegruppe gab es dieses Jahr sehr Positives zu berichten: Eine Betroffene konnte vor Gericht einen Schuldspruch gegen ihren Stalker bewirken. Was kann ich denn ganz konkret tun, wenn ich gestalked werde und die Person vor Gericht bringen möchte?

Scharrer: In dem verurteilten Fall war es so, dass der Mann nicht aufgehört hat, ihr das Leben zur Hölle zu machen und sie zu bedrohen. Mit einer solchen Bedrohung kann ich zur Polizei gehen und das anzeigen und sagen, dass ich nach dem Gewaltschutzgesetz eine einstweilige Verfügung brauche. Das ist ein Papier auf dem steht, dass die bedrohliche Person sich mir auf 100 Meter nicht mehr nähern darf. Aber das Problem ist, dass das die stalkende Person meistens nicht interessiert. Viele Stalker haben eine innere Beharrlichkeit, als ob es für sie keine Gesetze gäbe. Die Konsequenzen müssten deshalb viel weitreichender sein, um ein Zeichen gegen die Täter zu setzen.

Lokalzeit: Dabei hat sich glücklicherweise schon einiges getan. In Deutschland heißt Stalking im Strafgesetzbuch "Nachstellung". Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen.

Scharrer: Den Nachstellungsparagrafen StGB 238 gibt es seit 2007. Aber er war sehr mild. Alles war so zäh, dass die Opfer oft auf dem Weg aufgaben. Nur 1 Prozent wurde tatsächlich verurteilt von 20.000 bis 25.000 angezeigten Fällen pro Jahr, das war eine erschreckende Bilanz. 2021 wurde der Paragraf verschärft, seitdem ist es etwas einfacher. Der Punkt ist: Damit Stalking aufhört, braucht es eine Verurteilung. Selten hört es von allein auf. Denn Stalking ist wie ein Programm, das läuft - und man selbst kannst es nicht stoppen. Das ist unsere Erfahrung.

Lokalzeit: Was ist für einen Erfolg vor Gericht noch wichtig?

Scharrer: Man sollte unbedingt immer zur Polizei gehen und Anzeige erstellen. Was ich immer sage, ist: Man braucht ein Stalking-Tagebuch. Ich empfehle, mit einem dicken Edding in ein Ringbuch zu schreiben. Denn wenn du vor einem Richter stehst, musst du funktionieren, da musst du blättern können. Für die Dokumentation des Stalkings ist auch die No-Stalk-App vom Weißen Ring hilfreich. Die Beweismaterialien wie etwa Ton, Sprachaufzeichnungen, Videos und Fotos sind in dieser App unlöschbar und vor Gericht zugelassen. Die App hat uns schon oft geholfen. Außerdem sollte man sich einen Anwalt suchen. Ich gebe gerne Tipps und Ratschläge, wer in diesem Bereich ein guter Anwalt ist.