"Durch die Hölle gegangen", so beschreibt Petra D. (Name von der Redaktion geändert) den größten Teil des Kontaktes mit ihrem Ex-Partner. Sie wirft ihm Stalking vor. Während die 40-Jährige erzählt, ist sie oft kurzatmig, wirkt belastet. Die ganze Geschichte, aus ihrer Sicht erzählt, beginnt wie eine typische Liebesgeschichte.
Harmloser Anfang
Petra D. und ihr 52-jähriger Partner lernen sich auf einer Dating-Plattform kennen. Sie erleben eine schöne gemeinsame Zeit, die aber nur kurz unbeschwert ist. Denn sie wird nach sechs Wochen ungeplant schwanger. Von "Null auf 100" sei die Beziehung in eine Phase gekommen, in der man sich plötzlich fragen musste: Gehören wir zusammen? Bleiben wir zusammen?
Sie versuchen es. Je weiter die Schwangerschaft voranschreitet, desto mehr entfernen sich beide aber voneinander. Es entwickelt sich eine On-Off-Beziehung, erst nach über zwei Jahren kommt es zur endgültigen Trennung. Dann beginnt das Stalking, so erzählt es Petra D.
Die Sicht von Petra D.
Es habe "Vorfälle" gegeben, die sie erstmal nicht in einen Zusammenhang gebracht hätte. "Es hat damit angefangen, dass mir vor meiner Tür nachgestellt wurde: Es wurde kontrolliert, ob sich mein Wagen bewegt hat. Dann hat man mir an die 150 Text-Nachrichten am Tag geschickt. Wo ich bin, was ich mache, warum ich nicht ans Telefon gehe."
"Man", das sei ihr Ex-Partner gewesen. Das sei anhand der angezeigten Nummer klar gewesen. Demnach folgten Nachrichten auf verschiedenen Wegen, hinter dem Scheibenwischer ihres Autos etwa auch auf Notizzetteln. D. fühlte sich zunehmend beobachtet. "Ich habe das Haus nicht mehr verlassen, ohne mich permanent umzuschauen." Auch ihr Körper habe reagiert: "Nervöses Augenzucken, Juckreiz, Schlafstörungen. Das hat sich immer mehr gesteigert."
Auch die Übergriffe ihres Ex-Partners sollen massiver geworden sein. Der habe diskriminierende Nachrichten sowohl an die Kita des gemeinsamen Sohnes als auch an ihren Arbeitgeber geschrieben. Dort habe er ihr Diebstahl unterstellt. Dann wieder seien Liebesbekundungen gekommen, sagt D. "Komm zurück zu mir, bleib bei mir, ich liebe dich", soll er geschrieben haben. Fruchtete das nicht, sei sie wieder massiv bedroht worden, sagt Petra D.
Die Sicht von Gerhard T.
Ihren Ex-Partner Gerhard T. (Name von der Redaktion geändert) sieht sie erst viele Monate später vor dem Wuppertaler Amtsgericht wieder. Er sitzt ihr als Angeklagter gegenüber. Der Vorwurf: "Schwere Nachstellung" - der juristische Fachbegriff für Stalking. Petra D. bleibt zumindest nach außen ruhig, als ihr Ex-Partner ausführlich seine Sicht der Dinge darlegt.
Ein Wort benutzt er dabei immer wieder: "Toxisch". Das sei die Beziehung mit ihr gewesen, die er auch als "fürchterlich" bezeichnet. Wortreich schildert er, D. habe ihn mit Nachrichten und Anrufen immer wieder verfolgt. Das könne er belegen. Sie habe unter anderem gesagt: "Wenn du mich nicht wieder nimmst, dann wirst du deinen Sohn nicht wiedersehen." Ihr anfangs Nachrichten auf Zettel zu schreiben, Blumen zu schicken, ja, das habe er getan. Es sei nicht ungewöhnlich, um eine Beziehung zu kämpfen. Die Stalking-Vorwürfe weist er vor Gericht entschieden von sich.
Schlimm findet Gerhard T., dass das gemeinsame Kind zum "Spielball" geworden sei. Tatsächlich musste wegen des Sohns, auch in der Phase der Stalking-Anzeigen und der Ermittlungen gegen Gerhard T., ein Mindestmaß von Kontakt sein. Denn natürlich habe das Kind seinen Vater sehen sollen, so Petra D. Der wiederum sagt, es habe familienrechtliche Gerichtsverfahren gegeben, die seien "unschön" und "aggressiv" gewesen.
Was man über Stalking wissen muss
Auch wenn im Fall von Petra D. Aussage gegen Aussage steht, so sei der Fall an sich nicht untypisch, sagen Experten. Die Opferschützer des Weißen Rings sprechen allein in NRW jährlich von mehreren hundert Menschen, die Opfer von Stalking werden. 80 Prozent davon sind Frauen. Genaue Zahlen gibt es nicht - wohl aber eine sehr hohe Dunkelziffer, so der Weiße Ring. Stalking-Opfer schämen sich oft und öffnen sich deswegen nicht. Viele erkennen die teils massive Nachstellung als solche nicht. Dass aus Strafanzeigen Prozesse werden, wie im vorliegenden Fall, das sei immer noch eine Ausnahme.
Denn der Weg dorthin ist für die Opfer nicht einfach, sagt Sonja Nolte vom Opferschutz der Wuppertaler Polizei. "Es ist wichtig, alles gut zu dokumentieren und zu belegen, und das von Anfang an, am besten in einem Stalking-Tagebuch." Eine Nachstellung als solche sofort zu erkennen, sei aber nicht einfach. "Vielleicht beginnt das Ganze ja als simple Sachbeschädigung, zerstochene Reifen sind zum Beispiel keine Seltenheit."
Die Beschreibungen von D. hört Opferschützerin Nolte oft: "Sehr oft ist es der Ex-Partner. Manchmal reicht aber auch ein Bild, dass jemand sieht, um Stalking bei ihm auszulösen." Gerade die sozialen Medien würden Stalking deshalb häufig befeuern.
Geht es darum, Stalking zu stoppen, gibt es laut Sonja Nolte nur eine Lösung: "Kein Kontakt, nicht reagieren." Das wichtigste Ziel der Opfer sei es, ihr privates Leben wieder zurückzuholen. Das gehe nur ohne jeglichen Kontakt. Eine gemeinsame Elternschaft, wie im vorliegenden Fall, mache aber genau das unmöglich. "Stalker wissen durch das Kind immer, wo der Partner oder die Partnerin ist. Kommunikation ist also unumgänglich. Das Jugendamt erwartet das auch."
Ein Urteil, aber kein Ende
Der Amtsrichter spricht T. am Ende frei - in erster Instanz. Begründung: Gab es nach der Stalking-Anzeige Kontakte, die über das gemeinsame Kind hinausgingen, so könne man nicht von Stalking sprechen. Die Staatsanwaltschaft sieht das weiterhin anders. Sie hatte eine mehrmonatige Berufungsstrafe für T. gefordert und ist gegen den Freispruch in Berufung gegangen.
Gerhard T. hat, wie er sagt, auf Grund seiner schlimmen Erfahrungen eine Selbsthilfe-Gruppe für Menschen "in toxischen Beziehungen" gegründet. Für Petra D. wiederum bleibt klar: "Ich verdiene ein glückliches und zufriedenes Leben, ohne permanent belästigt zu werden."
Über dieses Thema haben wir auch am 14.02.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.