Norman Franz: Eine folgenschwere Erpressung
Es ist der 15. Mai 1995. Drei polnische Männer sind mit ihrem Auto im Wannebachtal zwischen Dortmund und Herdecke unterwegs zu einer, wie sie glauben, Geldübergabe. Einer der Männer hatte zuvor von einem Freund von Norman Franz 6.000 D-Mark verlangt. Der Hintergrund: geschmuggelte Zigaretten. Norman Franz und seine Freunde wollen ihnen an diesem Abend aber nicht das Geld übergeben, sondern sich für die Erpressung rächen. Sie treffen eine Entscheidung, die für zwei der drei Männer aus Polen mit dem Tod enden sollte.
Franz und seine Freunde bewaffnen sich mit einer Handgranate und verabreden sich in der Dortmunder Nordstadt - nur wenige Minuten entfernt von der Wohnung von Franz. Ein Parkplatz zwischen einem Großmarkt und einem Fastfood-Restaurant wird zum ersten Treffpunkt. Hier klären Norman Franz und seine Komplizen die letzten Details ihres Mordplans.
Sie wollen den Erpresser in einen Hinterhalt locken und ihn und seine beiden Kollegen durch eine Handgranate im Auto töten. Obwohl Franz und die anderen Täter wissen, dass mindestens einer der drei Polen nichts mit der Erpressung zu tun hat, halten sie an ihrem Plan fest. Der Mord ist für sie an diesem Abend ein Freundschaftsdienst, um ihrem Kumpel aus der Klemme zu helfen.
Die Handgranate im Auto
Franz wächst im Dortmunder Norden auf, nahe des dicht besiedelten Borsigplatz. Anfang der 1990er-Jahre träumen er und seine Freunde von einem besseren Leben. Von teuren Autos und luxuriösen Urlauben. Sie fingieren Autounfälle, verkaufen gefälschte Markenkleidung und begehen Raubüberfälle. Sie importieren illegal Zigaretten aus Osteuropa und Polen und kommen darüber mit dem späteren Erpresser in Kontakt. Doch nach der Geldforderung des Polen eskaliert die Gewalt.
Unter dem Vorwand, das Geld abholen zu wollen, fahren Erpresser und Erpresster in mehreren Autos raus aus der Dortmunder Innenstadt Richtung Süden. Vorne der erpresste Freund, dann die drei Männer samt dem Erpresser, gefolgt von Norman Franz mit seinem eigenen Wagen, in dem drei weitere Männer sitzen.
"Für die Opfer war das offensichtlich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Weniger, dass sie dem vorderen Fahrzeug folgen mussten, als viel mehr, dass hinter ihnen noch ein Fahrzeug, besetzt mit vier Männern fuhr. Es war in dem Moment nicht ersichtlich bedrohlich, aber offensichtlich hatten sie ein mulmiges Gefühl", erzählt Carsten Dombert. Er ist Oberstaatsanwalt in Dortmund und war bei dem Gerichtsprozess gegen Norman Franz und seine Mittäter dabei.
Auf einer menschenleeren Straße im Wannebachtal hält der vordere der drei Wagen plötzlich an. Der Freund von Franz steigt aus und begibt sich zur Beifahrerseite des Autos mit den drei polnischen Männern. Unbemerkt nimmt er die Handgranate und zieht den Splint. Er spricht kurz mit einem der Opfer und lässt die Granate in den Rückraum fallen. Die Opfer hören noch etwas Metallisches ins Auto fallen. Dann folgt die Detonation.
Der Erpresser vorne auf dem Beifahrersitz fängt an zu brennen und ist sofort schwer verletzt. Der Mann auf der Rückbank versucht durch ein Fenster zu fliehen. Er kommt aber nicht weit. Sein rechtes Bein ist halb abgerissen. Er bleibt im Straßengraben liegen. Franz und ein weiterer Komplize erschießen die beiden auf dem Boden liegenden Männer.
Der unbeteiligte Fahrer des Wagens hingegen wird nur leicht verletzt und flieht durch das herausgesprengte Beifahrerfenster in der Dunkelheit des umliegenden Waldes. Franz und seine Komplizen schießen noch auf den Flüchtenden, verfehlen ihn aber. Seine Aussage führt die Ermittler später zu Norman Franz und seinen Mittätern.
Der Prozess
Am 5. Februar 1996 beginnt der Prozess. Die Verhandlung dauert drei Tage. Das Urteil: lebenslange Haft für Franz und seine Mittäter. Doch damit endet die Geschichte um Norman Franz nicht. Er wird Polizei und Justiz noch jahrzehntelang beschäftigen.
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Nur wenige Monate nach seiner Verurteilung und Inhaftierung gelingt Norman Franz mithilfe die Flucht aus JVA Hagen. Im Gefängnis hat Franz geheiratet. Seine Frau schmuggelt sogenanntes Engelshaar in die JVA. Die ganz dünne Drahtsäge hatte sie in einem Gürtel versteckt.
Mit ihr durchsägt Franz im März 1997 die Gitterstäbe seiner Zelle. Aus Besenstielen bastelt er sich eine zwei Meter lange Angel. Während des Wachwechsels hangelt er sich auf das Dach der Anstalt. 20 Meter hoch. Auf der Rückseite rutscht er die Regenrinne herunter. Dort wartet seine Frau auf ihn. Mit ihr hatte er die Flucht auf die Minute genau abgesprochen. Gemeinsam fliehen sie zunächst nach Ostdeutschland, dann weiter nach Portugal. Aber die Flucht ist nicht von langer Dauer.
Eine rätselhafte Flucht
Am 26. August 1997 wird ein Geldbote auf offener Straße erschossen und ausgeraubt. Erst einmal deutet nichts auf Norman Franz als Täter hin. Aber mit derselben Waffe werden vier Monate später zwei weitere Menschen erschossen. Diesmal sind es zwei Wachleute eines Geldtransporters vor dem Metro-Markt in Halle. Und diesmal gibt es Zeugen. Sie beschreiben einen Mann, der genau so aussieht wie Norman Franz. Aber wo der damals 27-Jährige und seine Frau sind, weiß die Polizei nicht.
Mehr als ein Jahr später aber wird Franz mit seiner Frau entdeckt. Nicht in Ostdeutschland, sondern in Portugal. Bei einer routinemäßigen Kontrolle stoßen die Ermittler auf einen BMW mit deutschem Kennzeichen, der Franz zugeordnet wird. Die Polizei umstellt das Paar und am 24. Oktober 1998 wird Norman Franz mit seiner Frau festgenommen.
Der Fall ist damit aber immer noch nicht abgeschlossen. Denn Franz entkommt erneut aus dem Gefängnis. Im Juli 1999, mehr als neun Monate nach seiner Festnahme in Portugal, ist seine Zelle leer. Wie er das zweite Mal fliehen kann, bleibt bis heute ein Rätsel.
"Die letzte Gewissheit hat man nicht. Wir wissen, dass er erneut Gitterstäbe der Zelle durchgesägt hat, so wie damals vor seiner Flucht aus der JVA Hagen. Durch diese Öffnung hat er sich in einen Innenhof abgeseilt oder ist irgendwo heruntergeklettert. Im Innenhof verliert sich seine Spur. Wir wissen bis heute nicht, wie ihm der letzte Schritt aus der JVA in die Freiheit gelungen ist", sagt Franz Schulen, Pressesprecher des Landeskriminalamtes.
Die Fahndung geht weiter
Seitdem ist Norman Franz auf der Flucht. Die deutsche Polizei sucht ihn seit mehr als 25 Jahren weltweit - von Europa bis nach Südamerika. Doch die Spur verliert sich immer wieder. Er könnte in Brasilien oder in anderen Ländern mit portugiesischer Sprache abgetaucht sein, sich aber auch in Deutschland verstecken. Mehr als zwei Jahrzehnte nach seiner letzten Flucht gibt es immer noch keine eindeutigen Hinweise auf seinen Aufenthaltsort.
Wird Norman Franz, inzwischen 54 Jahre alt, jemals gefasst? LKA-Sprecher Schulen verspricht: "Die Zielfahnder des Landeskriminalamts haben einen langen Atem. Auch wenn inzwischen 25 Jahre vergangen sind, ist das für uns kein Grund, die Zielfahndung zu beenden." Die Fahndung werde erst beendet, wenn Norman Franz festgenommen wird und ein deutscher Richter den Haftbefehl verkündet hat. Oder, wenn die Franz verstorben ist. "Wir bräuchten dann DNA-Spuren einer Leiche. Und wenn wir dann zweifelsfrei sicher sind: Das ist die gesuchte Person, die ist verstorben, dann wird die Zielfahndung ebenfalls beendet."