Kriminalfälle aus NRW: Als ein Reporter einen Mordfall aufdeckt
Oberbergischer Kreis | Verbrechen
Stand: 28.10.2024, 17:03 Uhr
Dieser Kriminalfall klingt wie aus einem Krimi-Roman oder einem Hollywood-Film, ist so aber 2016 im oberbergischen Lindlar passiert. Ein Journalist bekommt einen heißen Tipp, doch niemand glaubt ihm. Es ist ein Fall um eine Leiche, die niemand finden sollte und wollte - bis sich der hartnäckige Reporter einschaltet.
Von Hamzi Ismail
Der Journalist, dem niemand glaubt
Im April 2016 wendet sich ein Informant an Günther Classen, Journalist beim Kölner Express. Der Mann berichtet ihm von einem Mord und einer verscharrten Leiche in einem Wald in Lindlar. Ein Bekannter von ihm sei der Mörder, er selbst habe dem Täter dabei geholfen, den Getöteten im Wald zu verstecken.
Der erfahrene Polizeireporter informiert die Kölner Polizei, doch der Beamte am Telefon glaubt dem damals 72-Jährigen die Geschichte nicht. Der Journalist bleibt hartnäckig. Schließlich suchen mehrere Polizisten mitsamt Spürhund den Wald nach der Leiche ab, doch finden nichts. Bei einem weiteren Versuch geht der Reporter selbst los, bekommt Rückendeckung von einem Kölner Kriminalbeamten, der nach eineinhalb Stunden Suche ebenfalls aufgibt. Der Journalist sucht auf eigene Faust weiter. Nach weiteren zwei Stunden geschieht das Unfassbare.
Der Reporter findet die Leiche. Und nicht nur das: Der Informant führt die Polizei später auch zum 47-jährigen Täter. Christoph S. wird wegen Mordes angeklagt und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Bizarre: Im Prozess kam heraus, dass sich der Informant noch vor seiner Kontaktaufnahme mit dem Express-Reporter über seine Anwältin an die Kölner Staatsanwaltschaft wandte und von der verscharrten Leiche in Lindlar berichtete. Doch auch der Staatsanwalt schenkte der Geschichte keinen Glauben. WDR-Autor Hamzi Ismail hat sich für das Doku-Format "WDR Lokalzeit MordOrte" auf YouTube näher mit dem Fall beschäftigt. Den entstandenen Film siehst du hier:
Für Lokalzeit.de hat Ismail außerdem mit dem Polizeiwissenschaftler Professor Antonio Vera von der Hochschule der Polizei in Münster über Pflichten der Ermittlungsbehörden und mögliche Fehler gesprochen.
Fehlerkultur bei der Polizei
Lokalzeit: Wie geht die Polizei im Allgemeinen mit Informationen über ein schweres Verbrechen um?
Antonio Vera: Es gibt keine festen, standardisierten Abläufe, wie man als Polizeibehörde mit Informationen über einen Mord umgeht. Polizei ist Ländersache, da bestehen unterschiedliche Regelungen. Ich weiß von manchen Polizei-Dienststellen, dass es gewisse Vorgehensweisen gibt, wenn akute Gefahr besteht oder wenn Kinder beteiligt sind. Aber es existieren keine Regeln, wie man als Polizist zu handeln hat, wenn angeblich irgendwo eine Leiche in einem Wald liegen soll.
Prof. Dr. Dr. Antonio Vera ist Polizeiwissenschaftler an der Hochschule der Polizei in Münster
Lokalzeit: Wenn es sich um ein schwerwiegendes Kapitalverbrechen wie Mord handelt, ist es da überhaupt erlaubt, als Ermittlungsbehörde solchen Hinweisen eines Informanten nicht nachzugehen?
Vera: Ermittler haben rechtlich gesehen einen Ermessensspielraum. Der zuständige Polizeibeamte muss letztlich selbst entscheiden, ob ein Hinweis glaubwürdig oder nicht glaubwürdig ist. In der Regel wird im Zweifelsfall auch ermittelt. Aber eine gewisse Unsicherheit bei der Einschätzung ist nicht auszuschließen. Es kann also durchaus passieren, dass ein Beamter mal eine falsche Entscheidung trifft. Diese Abwägung ist im gesetzlichen Rahmen, steht so auch in der Strafprozessordnung. Das gilt in gleicher Form auch für die Staatsanwaltschaft, die ja bei solchen Ermittlungen die übergeordnete Instanz ist.
Lokalzeit: Wie bewerten Sie die anfänglich fehlende Ermittlungsarbeit im vorliegenden Fall, wo es ein Journalist war, der die Leiche fand?
Vera: Tatsächlich entsprach die Geschichte des Bürgers ja der Wahrheit. Es gab eine Leiche im Wald. Und der Polizeibeamte, aber auch der Staatsanwalt, haben es nicht geglaubt. Da ist nicht viel Spielraum bei der Interpretation, die Behörden hätten früher ermitteln müssen.
Lokalzeit: Heißt das, die Kölner Ermittlungsbehörden haben Fehler gemacht?
Vera: Ja, es war offensichtlich ein Fehler. Doch man muss sich auch die Frage stellen, ob der Fehler vermeidbar gewesen wäre und ob daran Konsequenzen gebunden sein müssen? Das würde ich eher verneinen. Der Gesamtkontext ist wichtig. Der Polizeibeamte musste die Informationen einschätzen und er hat im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums entschieden. Zudem ist es hinterher schwierig als Unbeteiligter darüber zu urteilen. Schließlich wissen wir nicht, in welcher Form die Aussage getätigt wurde. Waren Informationen glasklar und nachvollziehbar oder gab es vielleicht Widersprüche?
Darf ich als Privatperson ermitteln?
Lokalzeit: Wie ist das grundsätzlich, dürfen Privatpersonen auf eigene Faust Ermittlungen anstellen? Und wenn ja, in welchem Umfang?
Vera: Grundsätzlich darf eine Privatperson das, doch es gibt gesetzliche Grenzen. Sobald man bei seinen privaten Ermittlungen gegen Gesetze verstößt, zum Beispiel, indem man in die Privatsphäre von Personen eindringt oder Menschen belästigt, macht man sich strafbar. Abgesehen davon steht es jedem Menschen frei, auf eigene Faust zu recherchieren und loszugehen. Das ist nicht verboten. Es ist eher die Frage, ob das besonders schlau ist und diese Arbeit bei der Polizei nicht besser aufgehoben ist.
Lokalzeit: Kommt es denn häufiger vor, dass solche privaten Ermittlungen oder Recherchen zu Fahndungserfolgen führen?
Vera: Nein, es kommt nicht besonders häufig vor. Es ist vielmehr so, dass Polizeibeamte misstrauisch werden würden, wenn so etwas passiert und sie konkrete Informationen über einen Mord erhalten. Denn häufig sind solche Aktionen interessengeleitet. Möchte eine Person von sich oder etwas ablenken oder vielleicht jemand anderen in die Pfanne hauen? Auch das ist Teil des Ermessensspielraums bei der Bewertung solcher Hinweise.