Ein Schlüssel steckt in einer Hotelzimmertür, im Hintergrund ist das Bett zu sehen

Teenager aus Wuppertal: Mit 14 freiwillig auf den Strich

Wuppertal | Verbrechen

Stand: 17.10.2024, 13:26 Uhr

In Wuppertal prostituierten sich Mädchen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, bewusst und freiwillig. Als "Zuhälter" suchen sie sich stadtbekannte Intensivtäter. Die Fälle beschäftigen seit Monaten Polizei und Gerichte.

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Was die Teenager beschreiben

Es ist eine Gruppe von fünf weiblichen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren aus Wuppertal, die 2023 offenbar ein klares Motiv haben, warum sie sich prostituieren wollen: Es geht um leicht verdientes Geld, wie sie wohl glauben. Für ihr Vorhaben wenden sie sich an drei junge Männer, die der Polizei längst bekannt sind. Die drei Männer wurden inzwischen zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Damit ist der Fall allerdings nicht erledigt: Ein Bekannter des Trios verdingte sich nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ebenfalls als Zuhälter, für diese und weitere Mädchen und einen Jungen. Er wartet jetzt auf seinen Prozess. In zum Teil exklusiven Recherchen hat der WDR nachgefragt: Was treibt so junge Menschen dazu an - Opfer wie Täter?

Lea (Name geändert) ist eins der Mädchen, die anschaffen gegangen sind. Mit gerade mal 16 möchte sie heute nichts weiter, als ihr Leben zurück. Mit 14 gerät sie "da rein", wie sie es ausdrückt. "Ich hatte finanzielle Probleme. Da habe ich von einer Freundin gehört, die da mitgemacht hat, dass sie gut Geld verdient. Da habe ich mir gedacht: Das mache ich auch." Anfangs war das wohl so simpel, wie es klingt. Während der WDR-Recherche zum Fall zitiert ein Ermittler eine andere Jugendliche, die es so ausgedrückt haben soll: "Ich habe ja eh schon mit vielen Männern geschlafen. Und dafür noch Geld kriegen? Toll."

Preiswerte, teils automatisierte Wuppertaler Hotels ohne Personal und auch Privatwohnungen wurden zu Treffpunkten mit den Freiern. Die jungen Zuhälter hatten die Mädchen zuvor auf regulären Handels-Plattformen im Netz angeboten, so die Ermittler. Den Freiern wurde vorgespielt, die Mädchen seien volljährig. Daher gebe es auch keine Verfahren gegen diese Männer.

Wolf-Tilman Baumert erklärt, wie die Opfer angelockt werden

00:15 Min. Verfügbar bis 17.04.2025

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Warum Sex gegen Geld?

Den eigenen Körper in jungen Jahren mit scheinbarer Leichtigkeit verkaufen - wie ist das möglich? "Oft ist tatsächlich der Wunsch nach schnellem Geld da", sagt Bärbel Hoffmann von der Diakonie in Wuppertal. "Dazu kommt vielleicht die Vorstellung, dass das auf diese Art eine 'coole' Sache ist." Die erfahrene Sozialarbeiterin weiß auch: "Da ist manchmal ein Hauch von Abenteuer. Und der Wunsch, sich einen gewissen Lifestyle leisten zu können."

Birgit Köppe-Gaisendrees, Leiterin der Ärztlichen Kinderschutzambulanz in Remscheid, hat sich auch mit der Prostitution von Jugendlichen beschäftigt. "Wir sehen junge Mädchen, aber auch Kinder, die sich nach außen betrachtet freiwillig anbieten. Dahinter steckt aber oft schlicht das Thema Aufmerksamkeit, weil sie in ihren Biografien schwere Vernachlässigung erlitten haben."

Ein Bett in einem Hotelzimmer. Die Gardinen sind zugezogen und das Zimmer liegt im halbdunklen.

In Hotelzimmern wie diesen haben sich die jungen Frauen mit Männern getroffen

Und das ziehe sich durch alle Schichten: Es gebe auch immer wieder Mädchen aus gut situierten Verhältnissen, die freiwillig auf den Strich gingen. "Da geht es oft um Eltern, die materiell gut ausgestattet, aber ziemlich überfordert sind. Also die sogenannten 'Overprotecting Eltern', die sehr einschränken, weil sie sich große Sorgen machen."

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Die (mutmaßlichen) Täter

Auch beim Blick auf die jungen Täter spricht Köppe-Gaisendrees von sich wiederholenden Beobachtungen. "Sie kommen häufig aus Familienverhältnissen, in denen es Gewalt gibt. Häufig waren sie Opfer und wollen das umdrehen. Im Sinne von: Ich übe jetzt Macht aus, ich erlange jetzt die Kontrolle." In ihren Biografien fände man schon früh viele Auffälligkeiten.

Die jungen Männer sind polizeibekannte Intensivtäter, die in ihrem jungen Leben laut Staatsanwaltschaft auch vor schweren Gewalttaten nicht zurückschreckten. Der vergleichsweise schwächste aktuelle Vorwurf gegen die jungen Männer ist Zuhälterei. Eben weil größtenteils nicht sie die Mädchen angeworben haben, sondern umgedreht. Sie landeten, wie die Ermittler herausfanden, sozusagen auf Empfehlung bei zwei Mitgliedern der sogenannten "Gucci Gang". Ein loser Verbund von Wuppertaler Jugendlichen, der 2019 durch eine brutale Attacke auf einen Senior bundesweite Aufmerksamkeit erhielt.

Zwei unkenntlich gemachte Männern auf einer Anklagebank.

Die Mitglieder der "Gucci Gang" wurden im August 2023 vor dem Wuppertaler Landgericht angeklagt und verurteilt

Der 70-Jährige wollte sie aus seinem Hausflur vertreiben und wurde durch seine massiven Verletzungen zum schweren Pflegefall. Er verstarb 2023 an den Folgen der Tat. Die Täter gehen dafür in Jugendhaft. Die ihnen vorgeworfenen Straftaten mit den jungen Mädchen müssen sie danach ausgeübt haben, ebenso wie sie Einbrüche und weitere Gewalttaten begangen haben sollen.

Ihr Urteil wegen Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen und Zwangsprostitution in erster Instanz: Fünfeinhalb und drei Jahre Jugendhaft. Ein mitangeklagter Bekannter der beiden erhält eine zweijährige Bewährungsstrafe.

Ein Gefängnis von außen.

Die Täter waren bereits einmal verurteilt

"Sich freiwillig entschließen, heißt nicht freiwillig die ganze Zeit mitmachen", sagt der Wuppertaler Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert. Mädchen, die aussteigen wollten, seien mit "recht ruppigen" Methoden zum Weitermachen gebracht worden. Außerdem ergäben die Ermittlungen, dass vom eingenommenen Geld nur ein Bruchteil bei den Mädchen landete.

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Der neue Fall

In Wuppertal sorgen die Ermittlungen und der Prozess Mitte 2024 für Kopfschütteln. WDR-Recherchen bringen dann an den Tag, dass es weitere Fälle von Prostitution von Jugendlichen geben soll. Im Mittelpunkt stehen fünf Mädchen und ein Junge, alle ebenfalls nicht älter als 16, die zum Teil auch für das bereits verurteilte Trio tätig waren. Beschuldigte ist auch hier ein Intensivtäter, 19 Jahre alt.

Er sitzt inzwischen in Jugendhaft, weil er für den Überfall auf eine erwachsene Prostituierte verurteilt worden ist. Mit ihm soll sich demnächst wegen Zuhälterei eine 17-jährige Gymnasiastin verantworten, die ihm Mädchen zugeführt haben soll. Die Vorwürfe sind sehr ähnlich wie im ersten Fall. Nach WDR-Informationen kannten sich beide Tätergruppen auch. Sie tauschten die anschaffenden Jugendlichen laut Anklage zum Teil untereinander aus.

Die Täter waren ebenfalls Mitglieder der "Gucci Gang"

00:17 Min. Verfügbar bis 17.04.2025

Einen Unterschied aber soll es geben: Der aktuelle Beschuldigte sei brutal gegen die Mädchen vorgegangen. Er muss sich so auch wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung verantworten. Auch soll er ausstiegswillige Mädchen mit einem Messer bedroht haben, einer Jugendlichen habe er einen Stich in den Oberschenkel versetzt.

Bärbel Hoffmann appelliert an die Eltern, aufmerksam zu sein. "Wenn mein Kind plötzlich sehr teure Kleidung oder technische Geräte, wo man sich fragt: Wie ist das bezahlt worden? Dann muss ich im Gespräch nachhaken: Wo kommt das her?" Das gelte auch, wenn sich Kinder mehr und mehr zurückziehen. "Ist es die Pubertät oder gibt es gravierende Gründe, warum sich mein Kind von mir abwendet?"

Über dieses Thema haben wir auch am 17.07.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.