Weihnachten hinter Gittern: "Hallo Mama, hier alles wie immer, ist halt Knast"
Stand: 29.12.2023, 11:20 Uhr
Rund 13.000 Menschen sitzen in Nordrhein-Westfalen im Gefängnis. Die meisten von ihnen verbringen die Weihnachtsfeiertage fernab von zuhause, eingesperrt auf wenigen Quadratmetern. Einer von ihnen ist ein 22-Jähriger aus der Nähe von Havixbeck im Münsterland. Dies ist seine Weihnachtsgeschichte.
Von Luca Peters
Weihnachten unter Schwerverbrechern
Stift und Papier liegen schon bereit. Daneben eine Grußkarte mit Weihnachtsbaummotiv darauf. Doch was soll er schreiben? Wie soll er alle seine Sorgen und Nöte auf dieser einen Seite Papier unterbringen? Resigniert schaut Tom Möller aus dem Fenster. Eigentlich heißt Möller anders. Doch seinen richtigen Namen will er lieber nicht nennen. Für die Zeit nach der Zeit. Nach dem Knast, will er unerkannt bleiben. Draußen stürmt es. Regen klatscht an die Gitterstäbe. Es ist Weihnachtszeit in der Justizvollzugsanstalt Herford.
Wie ist die Weihnachtszeit für Strafgefangene?
00:19 Min.. Verfügbar bis 27.12.2025.
Das ehemalige preußische Zuchthaus aus dem 19. Jahrhundert ist eines von nur drei Gefängnissen für Jugendliche und junge Erwachsene in Nordrhein-Westfalen. Bis zu 355 Gefangene im Alter zwischen 14 und 24 Jahren können hier untergebracht werden. Im zweiten Stock des E-Flügels, direkt unter dem Dach, liegen die 26 Zellen der "SothA"-Einheit. "SothA", das steht für sozialtherapeutische Anstalt. Hier oben ist kein Platz für Gelegenheitsverbrecher. Wer hier landet, hat gemordet, misshandelt oder vergewaltigt. So wie Möller. Der 22-Jährige sitzt hier seit über einem Jahr. Wenn es schlecht läuft, werden noch vier weitere dazu kommen. Seine Akte ist fast so dick wie ein Buch.
Besonders in der Weihnachtszeit fühlt sich Tom Möller oft alleine
Mehrere Körperverletzungen stehen darin, einige davon schwer. Was genau er getan hat, darüber schweigt er lieber. Gerade gehe es ihm nicht so gut, sagt Möller. Denn in der Weihnachtszeit falle es besonders auf, was es bedeute, eingesperrt zu sein. Nicht einfach nach Hause fahren zu können und mit der Familie Geschenke auszupacken. Spontan auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Wie ganz gewöhnliche Menschen es tun.
Möller denkt nach. Dazu hat er über die Weihnachtstage besonders viel Zeit. Nachdenken. Denn dann sind die Zellen noch viel häufiger zu als sonst. Weil dann auch die Wärter nach Hause fahren, um Weihnachten zu feiern. Vor Möller liegt noch immer das leere Blatt Papier. Dann beginnt er zu schreiben.
Kein gewöhnlicher Gefangener
In der Herforder Justizvollzugsanstalt gibt es keinen Platz für Sentimentalitäten. Wer Gefühle zeigt, muss leiden, sagt Möller. Früher oder später. So lauten nun mal die ungeschriebenen Gefängnisregeln. Für fast alle Gefangenen hier sei die Weihnachtszeit die schwerste Zeit des Jahres, doch niemand könne das auch zugeben. Außer einem. Außer Möller.
Warum Tom Möller kein Mitgefühl möchte
00:20 Min.. Verfügbar bis 27.12.2025.
In seiner winzigen Zelle wirkt der hünenhafte junge Mann mit seinem ausgewaschenen blauen T-Shirt seltsam deplatziert. Möller lässt sich Zeit beim Nachdenken, seine Antworten klingen wohl überlegt. Mitleid? Das wolle er nicht. Schließlich sei es seine eigene Schuld, dass er hier gelandet sei, sagt er. Nur etwas Vernünftiges zu essen an Heiligabend. Hähnchen mit Pommes, das wäre super. An diesem Ort, hinter meterdicken Mauern und NATO-Stacheldraht, können die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Konsequenzen und Mitgefühl nur allzu leicht verschwimmen. Möller spricht nicht so wie jemand, der einen anderen Menschen halb totgeprügelt hat. Und doch hat er es getan.
Tom Möller vermisst das besondere Weihnachtsessen
Bis bald. Vielleicht.
Draußen ist es mittlerweile Abend geworden. Noch zwei Mal schlafen, dann ist Heiligabend. Möller sitzt noch immer an seinem Schreibtisch. Doch es gibt einen Unterschied. Denn nun sprudeln die Worte aus ihm geradezu heraus. "Liebe Mama, frohe Weihnachten erstmal", beginnt Möller. "Wer kommt alles zu Besuch und was gibt es Leckeres zu essen?" Abgesehen von Möllers Stimme ist es vollkommen still in der kleinen Zelle. Ganz langsam, bedächtig fast, trägt er vor aus seinem Brief.
Tom Möller schickt Weihnachtsgrüße an die Familie
00:27 Min.. Verfügbar bis 27.12.2025.
Er hat ja auch viel Zeit. Diesen Brief hat er nicht nur für seine Mutter geschrieben, die Weihnachten ohne ihren Sohn verbringen muss. Dieser Brief ist auch für ihn selbst. Als Mahnmal für die eigene Vergangenheit, für das, was er getan hat. Und als Zeichen der Hoffnung, dass dieser Ort hier nicht das Ende bedeuten muss.
Nur einmal kommt Möller ins Stocken. Die Floskel "also, bis bald" geht ihm nicht so einfach über die Lippen. Was weiß er schon, wann seine Mutter das nächste Mal zu Besuch kommt? Ob er den Brief noch einmal von vorne anfangen soll? Nein, beschließt er selbst. Denn er hat schon alles gesagt, was er sagen wollte.
Über das Thema haben wir am 22. Dezember 2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.