Immer, wenn Samuel Meffire an den nüchternen weißen Wänden im Bonner Haus der Geschichte entlang geht, bleibt er an der gleichen Stelle stehen. Lässt die Eindrücke wirken. Höhepunkte der deutschen Geschichte wechseln sich mit Tiefpunkten ab. Seit 17 Jahren wohnt Meffire nun in Bonn. Trotzdem ist dieser Ort für ihn wichtig. Hier, wo er jetzt steht, wird die Geschichte der deutschen Wende erzählt. Und diese Geschichte ist auch seine Geschichte.
Geboren wird der heutige Bonner 1970 in Zwenkau bei Leipzig. Bis heute fühlt er eine tiefe Verbundenheit mit der Region und den Menschen. "Das ist die Zeit meiner Kindheit. Ich weiß, wie die Leute ticken, wie sie sprechen, wie sie fühlen. Ich habe im Grunde dieselben Träume geträumt, nur mit dieser anderen Verpackung."
Mit dieser anderen Verpackung meint Meffire seine Hautfarbe. Sein Vater ist Kameruner, seine Mutter DDR-Bürgerin. Der Vater stirbt noch am Tag seiner Geburt unter bis heute ungeklärten Umständen. Die Mutter muss ihn und seinen Bruder alleine großziehen. Für Meffire ist dieser Teil seiner Geschichte bis heute eine schmerzvolle.
Vom Polizist zum Medienstar
Als junger Erwachsener leistet Meffire - wie damals in der DDR üblich - seinen Wehrdienst bei den schon in der Auflösung befindlichen Bereitschaftstruppen der Volkspolizei ab. Er beginnt anschließend ein Studium der Kriminalistik und arbeitet als Kripo-Beamter. Meffire wird Polizist, als im ganzen Land Flüchtlingsunterkünfte brennen. Er ist der erste schwarze ostdeutsche Polizist.
1992 wird Meffire deutschlandweit bekannt, als er das Gesicht einer Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit wird. Sein Porträt unter dem die Wörter "Ein Sachse" zu lesen sind, machen ihn quasi über Nacht berühmt. Es folgen Fernsehauftritte und ein nicht zu überhörendes Medienecho.
Vom Polizist zum Häftling
Im Bonner Haus der Geschichte werden neben triumphalen Höhenpunkten auch immer wieder schicksalshafte Wendungen erzählt. Geschichte verläuft nicht gradlinig. Sie kennt keinen vordefinierten Fluchtpunkt, auf den alles zuläuft. Sie verläuft in Wellen. Wie auch die Geschichte von Samuel Meffire.
Mitte der neunziger Jahre scheidet Meffire aus dem Polizeidienst aus. Macht sich mit einer Sicherheitsfirma selbständig. Doch es läuft nicht wie geplant. Die Welle seiner Geschichte hat ihren ersten Scheitelpunkt erreicht und beginnt zu brechen. Meffire bekommt Geldprobleme, driftet in die Kriminalität ab. Er begeht Raubüberfälle. Unter seinen Opfern ein älteres Ehepaar, das er mit Komplizen zu Hause überfällt, gefolgt von einem Überfall auf einen Nachtclub. Doch Meffire wird erkannt. Er flüchtet erst nach Paris und von dort in den Kongo.
Später stellt er sich bei der deutschen Botschaft, wird nach Deutschland überführt und zu insgesamt neun Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Samuel ist im Tal seiner Geschichte angekommen. "Es ist unverändert mit ganz viel Scham und Schuld besetzt, dass ich ausgezogen bin, mit den höchsten Idealen und am Ende in der Sackgasse stand. Angekommen im Abgrund", sagt Meffire.
Phönix aus der Asche
Aus der eigenen Geschichte lernen. Eine Floskel? Samuel Meffire nimmt sie jedenfalls wörtlich. Nach der Haft beginnt er ein neues Leben. Er verbindet die Höhepunkte seiner bisherigen Geschichte mit den Tiefpunkten und arbeitet mit straffälligen Jugendlichen. "Meine Geschichte schafft Street Credibility. Die Jugendlichen kommen zum Teil aus den allerhärtesten Bedingungen und meine Geschichte schafft hier Augenhöhe." Selbst bei den Jugendlichen, die sich eigentlich komplett verweigern, mit Sozialarbeitern oder Therapeuten zu reden, hilft seine Geschichte sehr, um eine erste Beziehungsbrücke zu schaffen, wie Meffire sagt.
Neben seiner Arbeit mit straffälligen Jugendlichen ist Meffire bundesweit als Trainer für Gefahrensituationen tätig. Hier schult er beispielsweise Mitarbeiter von Behörden oder Rettungssanitäter. Berufsbegleitend studiert er Soziale Arbeit an einer Fernuniversität und hat vor kurzem seine Biografie mit dem Untertitel "Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte" veröffentlicht. Eine Geschichte, die vermutlich schon jetzt für zwei Leben reichen würde.
Über dieses Thema haben wir am 28.04.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.