Trans zastava, Christopher Street Day 13.7.2019, München

"Das Klima ist rauer geworden": Transfeindlichkeit in NRW

Münster | Verbrechen

Stand: 05.08.2024, 17:02 Uhr

Beleidigungen, Anstarren, Auslachen - kaum ein trans Mensch hat das im Alltag noch nicht erlebt. Wie gehen Betroffene damit um? Was tun sie, um sich zu schützen? Und was muss passieren, damit sie mehr Toleranz erfahren? Eine trans Frau aus Münster erzählt.

Von Stefan Weisemann

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Der Tod von Malte aus Münster

27. August 2022, kurz nach 20 Uhr: In Münster läuft der Christopher Street Day. Rund 10.000 Menschen feiern friedlich und ausgelassen. An einer Haltestelle stehen vier Menschen in bunten Outfits und mit Regenbogenfahnen. Plötzlich belästigt und beleidigt ein junger Mann die Gruppe aufs Übelste.

Malte C. sitzt mit einem Freund in der Nähe und beobachtet das. Der junge trans Mann war selbst auf dem CSD. Er schreitet couragiert ein. Und bezahlt dieses couragierte Eingreifen am Ende mit seinem Leben. Mehr zu diesem Fall gibt es bei WDR Lokalzeit Mordorte.

Der Tod von Malte C. löst damals in ganz Deutschland Entsetzen aus. Und eine Diskussion über Transfeindlichkeit. Was erleben trans Menschen im Alltag? In welchen Situationen brauchen sie ein dickes Fell? Und wie lassen sich Toleranz und Akzeptanz verbessern?

Das beantwortet Rebecca Broermann. Sie berät trans Menschen im Queer Zentrum KCM in Münster beim Coming-out und der Identitätsfindung. Und sie hat auch ihre eigenen Erfahrungen.

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Was trans Menschen im Alltag erleben

Lokalzeit: Direkt gefragt: Kann man als trans Person im Jahr 2024 in Deutschland unbeschwert auf die Straße gehen?

Rebecca Broermann: Insgesamt ist das Klima auf jeden Fall rauer geworden. Gerade wegen der rechtsextremen Erstarkung ist das Leben für queere Menschen deutlich unangenehmer. Das heißt: Wenn man offen nicht bestimmten Geschlechterklischees entspricht, muss man sich Sorgen machen, diskriminiert zu werden. Wenn man dagegen als trans Person den Geschlechterklischees entspricht, dann ist die Chance deutlich höher, nicht beleidigt oder sogar angegriffen zu werden, weil der Mensch nicht als trans Person erkannt wird.

Portrait von Rebecca Broermann

Berät trans Personen in Münster: Rebecca Broermann

Lokalzeit: Sie beraten trans Personen in Münster. Hören Sie dabei auch von Angriffen oder Beleidigungen?

Broermann: Fälle körperlicher Angriffe hatte ich zum Glück noch nicht in der Beratung. Aber verbale Angriffe erleben alle in irgendeiner Form. Ich selbst auch: Da stand ich zum Beispiel an einer Ampel, ein Autofenster geht runter und eine Person schreit aus dem Auto heraus: "Scheiß Tr…", ich möchte das Wort nicht wiederholen. So etwas ist mir nicht oft passiert, aber es passiert.

Lokalzeit: Was müssen sich trans Personen sonst noch alles anhören?

Broermann: Es geht zum Beispiel damit los, dass einer trans Frau gesagt wird: "Du siehst fast genauso aus wie eine richtige Frau." Transfeindlichkeit beginnt also schon mit solchen Kleinigkeiten. Dann gibt es auch Menschen, die trans Personen ihre Identität absprechen und dafür hanebüchene Argumente hinzuziehen: dass die Zahl der Chromosomen oder die Genitalien nicht stimmen zum Beispiel. Hauptsache, man kann der Person absprechen, dass sie das Geschlecht ist, von dem die Person sagt, dass sie es ist.

Lokalzeit: Das heißt: Die Klischees, wie eine Frau oder wie ein Mann auszusehen hat, spielen die entscheidende Rolle?

Broermann: Total. Transfeindlichkeit geht an dem Punkt los, wo Menschen, weil sie gewissen Klischees nicht entsprechen, nicht so leben können, wie sie leben wollen. Dabei versuchen die meisten trans Personen einfach nur, ein ganz normales Leben zu führen.

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Was die Statistik zu Queer-Feindlichkeit sagt

Lokalzeit: Die Statistik des BKA sagt für 2023: In Deutschland gab es fast 2400 Fälle, bei denen Menschen wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung angegangen wurden. Ist das aus Ihrer Einschätzung eine realistische Zahl oder gibt es eine hohe Dunkelziffer?

Broermann: Ich gehe davon aus, dass wir da ganz locker noch was drauf rechnen können. Es bringen zwar deutlich mehr Menschen als früher solche Übergriffe zur Anzeige. Aber bei weitem nicht alle. Unter anderem, weil sie sich von den Behörden falsch verstanden fühlen. Denn Fälle von Transfeindlichkeit werden dort zum Beispiel auch mal schlichtweg auf zu viel Alkohol geschoben. Oder wie es im Fall von Malte in Münster passiert ist: Da hat das Gericht entschieden, dass der Fall doch nicht in die Kategorie Transfeindlichkeit fällt. (Anmerkung der Redaktion: Das Gericht hat beim Angeklagten keine Hinweise auf eine queer- oder transfeindliche Einstellung gesehen. Er soll selbst homosexuell sein und am Tattag auch friedlichen Kontakt zu CSD-Teilnehmern gehabt haben.)

Mehr Übergriffe auf queere Menschen

  • 2023 deutlicher Anstieg bei Übergriffen (Quelle: Statistik zu politisch motivierter Kriminalität des Bundeskriminalamts)
  • im Bereich "Sexuelle Orientierung": 1.499 Fälle (2022 1.005 Fälle)
  • im Bereich "Geschlechtsbezogene Diversität": 854 Fälle (2022 417 Fälle)

Lokalzeit: Als Sie selbst an der Ampel beleidigt wurden, sind Sie auch nicht zur Polizei gegangen. Warum haben Sie das runtergeschluckt?

Broermann: Ich hätte mir da viel Stress gemacht. Ich weiß nicht, ob der in Relation zu dem steht, was passiert ist. Theoretisch hätte die Person ja auch sagen können: "Ich meinte nicht dich." Es war letztlich nur ein Wort und aus meiner Sicht heraus disqualifizieren sich solche Menschen mit solchen Beleidigungen nur selbst.

Lokalzeit: Aber verletzt hat es Sie schon, oder?

Broermann: Wenn fremde Leute mir meine Geschlechtsidentität absprechen, kann ich nur drüber lachen. Es trifft mich persönlich nicht so sehr, wie solche Menschen das gerne wollen. Aber natürlich: Bei regelmäßigem Mobbing zum Beispiel würde ich Anzeige erstatten. Auch, um diesen Menschen zu zeigen: Ich setze mich zur Wehr, ich lasse das nicht durchgehen.

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Was trans Menschen belastet

Lokalzeit: Zu Beginn haben Sie gesagt, dass das Klima rauer geworden ist. Was tun trans Menschen, um sich in diesem rauen Klima zu schützen?

Broermann: Wenn man gerade in einer Situation ist, in der man den Druck von außen nicht aushält, dann muss man sich auch mal zurückziehen. Das bedeutet im Zweifel auch, sich quasi zu verstecken. Allerdings macht es das auf Dauer nicht besser. Das ändert nichts für die Zukunft.

Lokalzeit: Wie belastend ist es denn, wenn man seine Orientierung nicht frei ausleben kann und sich teilweise sogar verstecken muss?

Broermann: Das belastet sehr. Ich habe bisher Glück gehabt, bei mir gab es "nur" Beleidigungen, unangenehmes Starren auf der Straße oder Gelächter. Das ist aushaltbar, ich fühle mich gut aufgestellt. Es gibt aber auch andere Menschen, die nicht so gut aufgestellt sind. Die überlegen bei jeder Bus- oder Zugfahrt drei Mal, ob sie die wirklich machen wollen. Wenn sich ein Mensch nur deshalb nicht auf die Straße traut, weil er nicht einer bestimmten Norm entspricht, dann ist das nicht hinnehmbar.

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Was sich für trans Menschen verbessern muss

Lokalzeit: Was muss sich verbessern, damit trans Menschen einen ganz normalen Alltag leben können?

Broermann: Das ist die allerschwierigste Frage. Ich glaube, dass es eine Sache des Vorlebens ist. Wir brauchen Leute, die nicht betroffen sind, die mutig sagen: "So geht es nicht!" Und wir brauchen Leute, die erklären, was es heißt, trans zu sein. So wie Nora, die sich mit Mitte 50 als trans Frau geoutet hat. Letztlich müssen dann aber auch alle Leute bereit sein, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Das heißt ja nicht, dass man alles mögen muss. Aber dieses ständige Verurteilen, Auslachen, Mobbing bis hin zur körperlichen Gewalt, nur, weil man nicht einer gewissen Norm entspricht, muss aufhören.

Lokalzeit: Was glauben Sie: Wird sich die Lage von trans Personen in Deutschland in den nächsten Jahren eher verbessern oder verschlechtern?

Broermann: Ich bin da mal zuversichtlich. Gerade verbreiten viele Menschen Hass auf der Grundlage haltloser Argumente. Ich glaube aber, dass sie irgendwann so viel Gegenwind bekommen, dass sie sich wieder stärker zurückziehen. Auf der anderen Seite wird es immer Menschen geben, die auf andere herabschauen wollen, auch wegen der geschlechtlichen Identität. Einfach über die Straße gehen und zu wissen: Allen Menschen ist völlig egal, wer oder was Mensch ist - das ist eine wunderschöne Utopie.