Massive Zerstörung, schwere Verletzungen, Tote - die Folgen eines Feuers können verheerend sein. Immer wieder nehmen Menschen das jedoch billigend in Kauf, denn knapp jedes zehnte Feuer wird absichtlich gelegt. So hat ein Serienbrandstifter die Stadt Jülich fast zwei Jahre lang in Angst versetzt. Letztlich sterben bei einem von ihm gelegten Brand sechs Menschen. Den ganzen Fall gibt es hier bei WDR Lokalzeit MordOrte:
Was Brandstifter antreibt, ob sie sich der möglichen dramatischen Folgen eines Feuers bewusst sind, und warum es eigentlich gar keine Pyromanen gibt. Das erklärt Dr. Carl-Ernst von Schönfeld. Er ist leitender Arzt der Forensik im evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld.
Welche Motive Brandstifter haben
Lokalzeit: Warum legt jemand Feuer?
Carl-Ernst von Schönfeld: Oft sind die Motive eher banal, würde ich sagen. Es kann zum Beispiel Habgier dahinter stecken oder Versicherungsbetrug. Jemand sagt also: Ich habe hier Sachen, die nichts mehr wert sind. Die brenne ich ab, um von der Versicherung das Geld zu bekommen. Manche Brandstifter versuchen auch eine andere Straftat zu verdecken. Zum Beispiel, um nach einem Einbruch Spuren zu verwischen. Außerdem gibt es auch Motive, die in den Bereich psychischer Störungen hineingehen.
Lokalzeit: Kann auch schlicht die Lust am Zerstören ein Motiv sein?
von Schönfeld: Absolut. Mir fällt keine andere Methode ein, bei der ich mit einem so geringen Aufwand eine so große Wirkung erzielen kann. Das ist besonders attraktiv für Menschen, die sonst in ihrem Leben nicht so viel bewegen können. Deshalb finden wir wahrscheinlich unter den Brandstiftern auch deutlich mehr Menschen mit einer intellektuellen Minderbegabung, als im Rest der Bevölkerung. Ein Drittel der Brandstifter sind außerdem Kinder und Jugendliche. Für sie kann es sehr faszinierend sein, mit wenig viel bewegen zu können.
Warum Kinder besonders gefährdet sind
Lokalzeit: Sind Kinder und Jugendliche also ganz besonders gefährdet, vom Feuer fasziniert zu sein?
von Schönfeld: Ja, das sind sie. Und sie sind gleichzeitig auch sehr gefährdet, Opfer von Bränden zu werden. Etwa jedes dritte Kind, das bei einer Brandstiftung umkommt, hat diesen Brand selbst gelegt.
Lokalzeit: Dass Kinder zündeln, zum Beispiel die Haare einer Puppe anzünden – das kommt ja schon vor. Muss man sich als Eltern dann direkt Sorgen machen?
von Schönfeld: Aus einem kindlichen Zündeln kann man nicht ableiten, dass jemand später mal krimineller Brandstifter wird. Es gibt bei Kindern nur seltene soziale Auffälligkeiten, häufig verbunden mit ADHS, bei denen ein erhöhtes Risiko besteht. Grundsätzlich ist es sehr wichtig und wirksam, Kindern schon früh den richtigen Umgang mit Feuer klarzumachen, zu Hause, in der Schule, in der Kriminalprävention. Denn Kindern ist oft nicht bewusst, welche dramatischen Folgen sich aus einem Brand entwickeln können.
Wie Brandstifter denken
Lokalzeit: Sie haben als Psychiater und Gutachter mit vielen Brandstiftern gesprochen. Was sagen sie selbst über ihre Motive?
von Schönfeld: Das hängt vom Motiv ab und der möglichen Störung, die zugrunde liegt. Ich erinnere mich an eine Frau, die sich wahnhaft schuldig gefühlt hat und glaubte, nur wenn sie alles verbrennen würde, könnte diese Schuld getilgt werden. Sie hat dann ihr Zimmer in der Psychiatrie angezündet, ihr ist körperlich nichts passiert. Als es ihr später psychisch wieder besser ging, hat sie kopfschüttelnd auf das zurückgeblickt, was sie da gemacht hat. Es gibt aber auch Menschen, in deren Leben wenig passiert. Sie verabreden sich mit anderen, zünden etwas an und wollen einen spektakulären Abend erleben.
Lokalzeit: Das heißt: Brandstifter gucken dann auch gerne zu, wenn es brennt?
von Schönfeld: Ja, wenn Menschen das Feuer legen, um ein spektakuläres Erlebnis zu haben, dann werden sie es sich nicht nehmen lassen, das am Ende auch sozusagen genießen zu wollen. Bei Menschen, die eher aus einem Wahn heraus ein Feuer legen, würde ich dagegen nicht erwarten, dass sie zugucken.
Brandstiftung in NRW: Zahlen und Fakten
Im Jahr 2022 haben die Ermittler in NRW rund 4500 Fälle von Brandstiftung oder Herbeiführen einer Brandgefahr gezählt. So steht es in der Polizeilichen Kriminalstatistik des BKA. Knapp 40 Prozent der Fälle wurden aufgeklärt. Dazu kommen noch rund 1400 Fälle von fahrlässiger Brandstiftung, etwa durch das Wegwerfen einer glühenden Zigarette.
Lokalzeit: Ist Brandstiftung eher ein Einzelfall oder tendieren sie dann meistens auch zur Wiederholung?
von Schönfeld: Die meisten zum Glück nicht. Grundsätzlich haben Menschen, die mit Brandstiftung aufgefallen sind, ein recht hohes Risiko, noch einmal mit einer Straftat in Erscheinung zu treten. Etwas über drei Viertel kommen erneut vor Gericht. Allerdings meistens wegen etwas anderem als Brandstiftung. Dass sich Brandstiftung wiederholt, ist vor allem bei Minderbegabten oder schizophren Erkrankten der Fall.
Lokalzeit: Sind sich Brandstifter bewusst, dass sie hohe Schäden anrichten und auch Menschen gefährden können?
von Schönfeld: Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt aber oft vor, dass die Gefahren des Feuers unterschätzt oder die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden. Viele Brandstifter denken: Ich mache hier ein kleines Feuer, das habe ich im Griff. Dann dehnt es sich plötzlich unkontrolliert aus und es können dann auch Dinge passieren, die der Brandstifter eben gar nicht unbedingt gewollt hat.
Wer zur Brandstiftung neigt
Lokalzeit: Gibt es eine Art typischen Brandstifter?
von Schönfeld: Fast 90 Prozent der Brandstifter sind Männer. Viele von ihnen sind jung. Darüber hinaus kann man generell sagen: Wer nichts zu verlieren hat, ist gefährdet und manchmal auch gefährlich. Solche Menschen sagen dann: Es macht alles keinen Sinn mehr, dann kann ich hier auch alles anzünden. Tatsächlich gehört auch ein vorangegangener Suizidversuch zu den Risikofaktoren für Brandstiftung.
Lokalzeit: Sicher nicht unbedingt typisch, aber doch immer mal wieder in den Schlagzeilen: Feuerwehrleute als Brandstifter. Wie passt das zusammen?
von Schönfeld: Die absolut überwältigende Mehrheit an Feuerwehrleuten macht einen super Job. Fälle von Feuerwehrleuten als Brandstifter sind natürlich spektakulär, ähnlich wie die Krankenschwester, die auf der Intensivstation Patienten tötet. Das sind aber extreme Einzelfälle. Bei der Feuerwehr sind viele junge Männer unterwegs, also gerade die Gruppe, die ein erhöhtes Risiko hat, zum Brandstifter zu werden. Da spielt der Job des Feuerwehrmanns also nicht unbedingt die entscheidende Rolle. Natürlich gibt es aber auch vereinzelt Menschen, die vom Feuer fasziniert sind und sich dann der Mittel bedienen, die sie kennen.
Warum es eigentlich keine Pyromanen gibt
Lokalzeit: Im Alltag werden Brandstifter oft als Pyromanen bezeichnet. Dabei ist gar nicht jeder Brandstifter ein Pyromane. Wo ist der Unterschied?
von Schönfeld: Der größte Unterschied ist: Der „normale“ Brandstifter ist häufig und der Pyromane eine extreme Seltenheit. Die Grundidee von einzelnen psychischen Störungen, wie der Pyromanie, ist über 200 Jahre alt. Sie hat sich seitdem stetig weiterentwickelt. Nur bei sehr wenigen kranken Brandstiftern liegt nur eine einzelne Störung zu Grunde. Aus meiner Sicht und der meisten meiner Fachkollegen könnten wir auf die Diagnose der Pyromanie daher verzichten.
Lokalzeit: Welcher Fall von Brandstiftung hat Sie als Gutachter besonders mitgenommen?
von Schönfeld: Das waren zwei Fälle. Einmal hat jemand im Rahmen eines Erbstreits den Hof, den er nicht erben durfte, in Schutt und Asche gelegt. Das andere war eine tragisch ausgeartete Brandstiftung, bei der am Ende ein Mensch ums Leben gekommen ist. Das hatte der Brandstifter nicht gewollt, aber natürlich verursacht.
Lokalzeit: Wie hat der Brandstifter auf diese tragischen Folgen reagiert?
von Schönfeld: Mit Bestürzung und Bedauern. Er hatte für mich glaubhaft Mitgefühl mit dem Opfer. Allerdings hatte er auch Bedauern mit sich selbst, weil er wegen der tödlichen Brandstiftung viele Jahre ins Gefängnis musste.