Ein Wuppertaler Schulegebäude von außen

Schock an Wuppertaler Schule: Wie ein Böllerwurf ein Leben zerstörte

Wuppertal | Verbrechen

Stand: 01.08.2024, 08:02 Uhr

Im Januar 2023 fliegt eine Kombination aus einem "Bengalo" und einem sogenannten "Polen-Böller" mitten im Unterricht in den Klassenraum einer Wuppertaler Schule. Eine Mitarbeiterin verhindert das Schlimmste - auf Kosten ihrer Gesundheit.

Von Wolfram Lumpe

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Per Polen-Böller aus dem normalen Leben gerissen

Tina Voß (Name geändert) ist am Ende unseres exklusiven Interviews sichtlich erschöpft, körperlich wie psychisch. Sie ist blass und zittrig. Einerseits möchte sie darüber reden, was passiert ist, möchte, dass ihr endlich jemand zuhört. Andererseits lebt sie ohnehin jeden Tag mit Angst, mit Schlafmangel, Schwindel und ständigen Kopfschmerzen. Ein Böllerwurf im Januar 2023 in einer Schule in Wuppertal hat für sie alles verändert.

Alles zerbricht an diesem einen Tag. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft ist folgender Ablauf bekannt: Ein Jugendlicher - kein Schüler der Hauptschule im Osten der Stadt - hat Streit mit einem Altersgenossen aus der Klasse. Diesem gilt wohl die Attacke mit dem, was Tina Voß als "kombinierten Sprengsatz" bezeichnet. Sie ist damals Mitarbeiterin im sozialen Bereich an ihrer Schule. Gemeinsam mit zwei anderen Jugendlichen betritt laut Voß ein 15-Jähriger die Schule, maskiert sich und wirft den angezündeten Böller in den Klassenraum.

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Ein lebensgefährlicher Reflex

Tina Voß sieht, dass etwas in die voll besetzte Klasse hineinfliegt. Einige Schüler schreien. Sie denkt, dass jemand einen Brand legen will und versucht das flammende Ding auszutreten. "Das war einfach ein Reflex von mir, zu sagen, ich gehe jetzt dahin. Ich wollte erstmal nur vortreten, damit für uns die Fluchtwege wieder frei sind, und damit nicht alles in Flammen aufgeht." Die Flamme wird zwar kleiner, aber dann bricht die Hölle los. Auch ihre persönliche.

"Es gab einen Knall in einer Lautstärke, wie ich das noch nie erlebt habe. Es war gleißend hell, es war eine unglaubliche Druckwelle da. Ich wusste nicht, wo oben und unten ist. Ich habe einfach nur gedacht, ich bin tot." Seitdem quält sie unter anderem ein Tinnitus, außerdem wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Und dann sei da eben die Angst. "Ich kenne mich so nicht, ich fühle mich manchmal ganz fremd in meiner Haut." Seit dem Ereignis ist Tina Voß arbeitsunfähig.

Tina Voß (Name geändert) kämpft seit dem Vorfall (Stimme nachgesprochen)

00:32 Min. Verfügbar bis 01.08.2026

"Polen-Böller" ist eine fast verharmlosende Bezeichnung für das, was das Leben von Tina Voß aus der Bahn geworfen hat. Es sind verbotene Explosivkörper mit großer Sprengkraft. Sie werden aus Tschechien und eben Polen illegal nach Deutschland geschmuggelt. Die Bundespolizei warnt vor ihnen in einer Broschüre mit dem Titel "Finger weg, sonst Finger weg." Hauptaussage: Diese Explosivkörper sind lebensgefährlich. Die Wuppertalerin hat also noch Glück gehabt. Die Schüler auch.

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Jede Hilfe allein suchen müssen

Sie hat reagiert, um Schlimmeres für die Jugendlichen zu verhindern. Zurück bleibt, dass sie sich seitdem alleingelassen fühlt. "Ich habe das Gefühl, ich werde überhaupt nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen. Ich musste mir jede Hilfe selbst suchen." Vom Gang zum Opferschutz bis zur Suche nach einem Therapeuten, alles habe sie alleine organisieren müssen. Ihre Kollegen von der Schule hätten Anteilnahme gezeigt, die Stadt und übergeordnete Schul-Behörden aber nicht.

Die Ermittlungen ziehen sich über viele Monate hin. Der Anwalt von Tina Voß Carsten Rebber wartet mit ihr auf eine Anklage der Staatsanwaltschaft. "Wir sind hier im Jugendstrafrecht, wo der Erziehungsgedanke vorherrscht. Den Jugendlichen muss zeitnah klargemacht werden, was sie da gemacht haben."

Carsten Rebber ist für eine schnelle Umsetzung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht

00:15 Min. Verfügbar bis 01.08.2026

Dazu wird es wohl nicht mehr kommen: Auf WDR-Anfrage sagt die Wuppertaler Staatsanwaltschaft, man habe die Ermittlungen eingestellt. Es gebe keine ausreichenden Beweise gegen die drei Tatverdächtigen. Frustrierend für Tina Voß und ihren Anwalt. Das Signal an die Jugendlichen sei jetzt, dass man mit einer solchen Tat durchkommen könne.

Über dieses Thema haben wir auch am 23.02.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.