Unbequeme Fragen an einen Staatsanwalt
Stand: 11.10.2023, 13:48 Uhr
Wolf-Tilman Baumert ist Leiter der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Wuppertal. Er ist selbst bei Ermittlungen vor Ort und vertritt Anklagen vor Gericht. Uns hat er neun unbequeme Fragen beantwortet.
Von Wolfram Lumpe
1. Lokalzeit: Werden Sie eigentlich privat auch mal gefragt, ob Sie nicht "mal was tun" könnten?
Wolf-Tilman Baumert: Auf Partys wird man oft gefragt, welche strafrechtlichen Folgen bestimmte Dinge haben könnten. Natürlich haben es die Leute angeblich nie selbst erlebt, können aber alle Nachfragen präzise beantworten. Zum Beispiel: "Die Polizei hat mir den Führerschein abgenommen. Dabei hatte ich in der Disco doch nur ein, zwei Bier getrunken." Fragt man dann nach, ob es eine Blutprobe gibt, dann hat die wohl deutlich über ein Promille angezeigt. Man weiß dann, wer es wirklich war und dass man angeflunkert wird. Demjenigen soll ich dann am besten eine Ausrede liefern, damit er einer Strafe entgehen kann.
2. Lokalzeit: Geben Sie dann Antworten oder eine Abfuhr?
Baumert: Es ist meistens leichter, die Fragen kurz zu beantworten, als die Leute abzuweisen. Dazu kommt: Ich bin in Wuppertal und drumherum bekannt wie ein bunter Hund. Ich werde ständig erkannt und auch immer wieder angesprochen. Zum großen Teil allerdings recht nett.
Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert
Wolf-Tilman Baumert leitet als Oberstaatsanwalt die Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Wuppertal. Seit 2009 ist auch der Pressesprecher der Behörde.
3. Lokalzeit: Bei den Anklagen, die Sie gemacht oder öffentlich vertreten haben, ging es über die Jahre auch um die Mafia, Rocker-Banden, mächtige Wirtschaftsstrategen. Haben Sie Angst vor Bedrohung?
Baumert: Es gab mal jemanden, der gemeint hat, mich bedrohen zu müssen. Der hat sich dafür eine weitere Haftstrafe gefangen. Das ist also keine schlaue Idee.
4. Lokalzeit: Ist Angst ein Thema für Sie?
Baumert: Ich bin kein ängstlicher Mensch. Man hat mal ein bisschen gegrübelt, ob Sicherheitsmaßnahmen noch verbessert werden können, als meine Familie bedroht wurde. Damals war unser Sohn noch klein. Ich habe mit der Polizei Kontakt aufgenommen, dann hat man ein bisschen was gemacht, damit man nicht so leicht zu finden ist und nicht so leicht zu attackieren. Einzelheiten möchte ich dazu aber nicht verraten.
5. Lokalzeit: Oft hören Sie den Vorwurf: Die Justiz in Deutschland ist eine "Kuscheljustiz". Trifft Sie das? Sie sind ja Teil davon.
Baumert: Als Staatsanwalt ist man da noch auf der besseren Seite. Das trifft wohl vor allem Richter, weil die die Urteile machen. Wir sind ja immer noch die Guten, die eine richtige Bestrafung fordern. Aber natürlich hört man diesen Vorwurf immer wieder. Oft ist er völlig unbegründet. Wenn es beispielsweise einen schrecklichen Vergewaltigungsfall gibt, dann wird schnell behauptet, der Täter würde ja sowieso nur Bewährung kriegen oder eine Geldstrafe. Das ist rechtlich jedoch ausgeschlossen. Das kann überhaupt nicht passieren. Aber man kann es zehnmal erklären, eine Woche später ist der Vorwurf doch wieder da.
6. Lokalzeit: Haben Sie schon mal an den Gesetzen gezweifelt, auf deren Grundlage Sie arbeiten?
Baumert: Eigentlich nicht. Woran ich ab und an zweifele, ist, ob die Strafen, die ausgesprochen werden, wirklich das erlittene Unrecht widerspiegeln. Aber natürlich ist hier auch viel persönliche Einschätzung dabei. Man darf eins nicht vergessen: Wir sind ja nicht das Gericht. Und ein Richter hat ganz anders zu denken als wir. Der ist kein Ermittler. Der ist einer, der entscheiden muss. Und davor muss man auch Respekt haben, dass jemand eine Entscheidung trifft, auch wenn man die nicht sofort klasse findet.
7. Lokalzeit: Der Staatsanwalt vor Gericht muss immer sachlich bleiben. Hand aufs Herz: Fällt Ihnen das je nach mutmaßlichem Täter und Verbrechen immer leicht?
Baumert: Natürlich hat man auch Gedanken, die nicht so druckreif sind, wenn man manche Taten sieht und dann die Beschuldigten. Aber es gehört zum professionellen Bild und zum Anspruch, den man an sich selbst hat, die Emotionen weitgehend außen vor zu lassen.
8. Lokalzeit: Gelingt das auch, wenn Sie merken, dass einer lügt?
Baumert: Das Schlimmste, das demjenigen passieren kann, ist ja gerade, dass ich professionell bleibe. Ich kann ja so einem Lügner auch sagen, dass er lügt. Das kann das Gericht schlecht machen. Weil gegen einen Richter sofort der Vorwurf der Befangenheit im Raum steht. Ich kann nicht befangen sein. Solange ich nicht persönlich ausfallend werde, bin ich der Staatsanwalt, der auch mal losdonnern darf.
9. Lokalzeit: In amerikanischen Serien ist der Staatsanwalt immer der mächtige Ankläger. In Deutschland aber nicht. Trifft man da nicht auf Menschen mit falschen Erwartungen?
Baumert: Einmal kam die Frage: "Du bist ja Staatsanwalt, unglaublich, dass du es geschafft hast, so eine Wahl zu gewinnen und jetzt Bezirksstaatsanwalt bist." Da habe ich gesagt: "Ne, falscher Kontinent. In Deutschland wirst du als Staatsanwalt nicht gewählt, sondern ernannt." Das sind dann die lustigen kleinen Fehler, mit denen man immer wieder konfrontiert wird. Im Übrigen ist ein amerikanischer Staatsanwalt nicht mächtiger als wir hier. Die stellen genauso Anträge wie wir. Allerdings haben die Kolleginnen und Kollegen in den USA einen gewaltigen Nachteil: Die sind einseitig gegen den Angeklagten tätig und damit nur eine "Prozesspartei", wir sind da nicht festgelegt und haben auch zu Gunsten eines Angeklagten zu ermitteln und auch strafmildernde Umstände zu berücksichtigen. Das verleiht unseren Anträgen dann einiges mehr an Gewicht.