Der Fahrtwind weht durch die kurzen grauen Haare von Herbert Althoff. Er sitzt auf der schmalen Bank an einer Seite des Floßes und schaut auf das Wasser. Die Sonne scheint, an den Seiten grüne Felder und Bäume. Inmitten der unberührten Natur wird Althoff wehmütig. Denn dies wird die letzte Fahrt für ihn und seine vier Freunde sein. "Vlotho ist unser Heimathafen. In Vlotho haben wir begonnen und in Vlotho wollen wir enden", sagt er.
Die Ruhe auf dem Wasser, die Landschaften am Ufer und die Geselligkeit - das ist es, was die Floßfahrten für die fünf Senioren zu einem Erlebnis machen. Und es ist das, was sie wohl am meisten vermissen werden. Fast 40 Jahre lang waren sie für mindestens eine Woche im Jahr mit ihrem Floß auf Tour. 44 Fahrten haben sie unternommen. Alle Crewmitglieder sind mittlerweile Rentner, der jüngste 81 Jahre alt, der älteste 87 Jahre.
Jeder der fünf Floßfahrer hat seine eigene Aufgabe. Die Kapitänsmütze verrät die von Wolfgang Klughardt. Der Floßführer sitzt hinten an einem der beiden Ruder und bedient den kleinen Motor, der das Floß antreibt. Über ihm baumeln einige Tassen an Haken in der Decke in gleichmäßigem Takt.
Auf 14 verschiedenen Flüssen hat Klughardt das Boot inzwischen gelenkt. Auch im Ausland. Sie waren auf der Weser, der Elbe, der Lahn oder der Moldau unterwegs. Besonders gefiel es der Crew auf der Unstrut, weil "die Landschaft drumherum so urwüchsig ist", sagt er. Vor jeder Fahrt muss die "Morsche Kugel", das Floß ist nach ihrem Kegelclub benannt, beim Wasserschifffahrtsamt angemeldet und von einem Gutachter geprüft und inspiziert werden. Ihre letzte Tour geht in sechs Etappen von Kassel bis nach Vlotho. Wenn das Boot nicht auf dem Wasser ist, lagert es in Einzelteile zerlegt in einer Halle.
Klughardt ist froh, dass das Wetter bisher mitspielt. Als Kapitän übernachtet er gemeinsam mit seinem Smutje Wilfried Stock auf dem Boot, während die anderen drei in einem mitfahrenden Lastwagen an Land schlafen. Warum er sich das mit über 80 Jahren noch antut? "Es ist herrlich. An der frischen Luft, das Wasser plätschert, morgens früh schon die Vögel, die zwitschern; der Kuckuck ist augenblicklich aktiv hier - das ist wunderbar."
Immerhin: Der Komfort für die Übernachtungen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die schwimmende Plattform, die die Freunde 1985 ursprünglich in einer Schnapsidee zu Wasser ließen, haben sie Stück für Stück ausgebaut. Anlass war damals die 800-Jahr-Feier der Stadt Vlotho. Erst kamen neue Schwimmkörper, dann ein kleiner Motor, ein Dach, Bänke und ein Tisch. Inzwischen gibt es einen Grill, eine Bierzapfanlage und einen Kühlschrank. Rettungsringe und -westen gehören ebenfalls zur Ausstattung.
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120 Seiten voller Erinnerungen
Herbert Althoff schreibt über den Tisch gebückt in einem kleinen Buch. Als Schriftführer hält er alle Etappen und Erlebnisse schriftlich fest. Er notiert sich das Wetter, den Flussverlauf, Beobachtungen am Ufer, aber auch Pannen und Missgeschicke. Er blättert kurz und zeigt auf mehrere Einträge: "Zweimal hat es an Bord gebrannt. Außerdem sind schon Steaks, Telefone und Crewmitglieder unfreiwillig baden gegangen." Es sind Erinnerungen für das Leben.
Abschied zu nehmen, fällt den Floßfahrern sichtlich schwer. Aus Altersgründen ist die Fahrt von Kassel nach Vlotho ihre letzte Tour. Ihr geliebtes Floß "Die Morsche Kugel" aber wird weiterfahren, mit einer neuen, jüngeren Crew. Einer der Söhne wird die Tradition mit seinen Freunden weiterführen.
Über dieses Thema haben wir auch am 24.06.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.