Müllabfuhr ist viel Arbeit
"Nein, verboten", ruft Ronny Kummerlöw, als er schon wieder die nächste Mülltonne an die Hebevorrichtung rollt. Es ist 9 Uhr morgens auf einem Marktplatz in Gütersloh und fünf Schülerinnen mit Zettel in der Hand wollen wissen, ob sie einmal im Müllauto mitfahren dürfen. "Wie sind Sie auf den Job gekommen?", fragt eine Schülerin. Die Tonne scheppert, der Restmüll entleert sich in die Presse im Laderaum. "Ja, wie soll ich das sagen? Vor 18 Jahren brauchte ich Arbeit."
Als Kummerlöw noch ergänzt, dass das kein Lehrberuf ist und er eigentlich Maurer werden wollte, zeigen die Schülerinnen ihm schon wieder den Rücken. "Schönen Tag noch", ruft eine von ihnen. Auf ihren Zetteln steht "Stadtrallye Berufsorientierung". Und eine Frage darauf wäre eigentlich noch offen gewesen: "Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem Beruf?" Für die Schülerinnen offenbar keine drängende Frage bei einem Müllmann.
Kummerlöw und seine zwei Kollegen Patrick West und Eduard "Eddy" Wohlgemuth haben ihren Dienst an diesem Mittwochmorgen um 7 Uhr angetreten. Es warten fast 800 Mülltonnen in der Gütersloher Innenstadt darauf, geleert zu werden.
Bei der städtischen Abfallentsorgung arbeiten 28 Lader, so lautet die offizielle Berufsbezeichnung, um die Haushalte von Restmüll und Kompost zu befreien. 2023 waren das in etwa 12.000 Tonnen Müll.
Müllabfuhr ist ein Knochenjob
Müllmann, das ist ein Kampf gegen Zeit und Körper: Spätestens alle zwei oder vier Wochen muss jeder Behälter ausgekippt sein - die kleine Hausmülltonne genauso wie der 1100-Liter-Container mit vier Rädern. Wenn Feiertag ist, müssen sie am Wochenende nacharbeiten. Müll macht keinen Urlaub.
"Bei den Ladern sind es meistens die Knie", sagt der 48-jährige Kummerlöw. Schnellen Schrittes geht er zur nächsten Tonne, während Fahrer Wohlgemuth mit dem Müllauto an ihm vorbeirauscht und Kollege West schon die Querstraße vorbereitet. "Wenn die Eimer so eng aneinanderstehen, laufen die Lader lieber, als auf dem Trittbrett immer hoch- und runterzusteigen, das macht die Knie kaputt", sagt Kummerlöw. Bei seinem Kollegen West sind es die Schultern, bei anderen der Rücken. Wer Müllmänner begleitet, hört einen Begriff öfter: "Knochenjob".
Das ist sogar gerichtlich bestätigt. 2012 hat das Hessische Landessozialgericht gesagt: Die Tätigkeit eines Müllladers ist in Bewegungsumfang und Verletzungsanfälligkeit vergleichbar mit Fußball-, Handball- und Basketballprofis. Müllabfuhr ist Höchstleistungssport.
In der Gütersloher Altstadt haben einige Restaurants ihre Mülltonnen rausgestellt. Kummerlöw und West treten unten gegen zwei Tonnen und stemmen gleichzeitig mit ihrem Körper von oben gegen den Griff. Manche sind bis oben hin vollgepresst, überwiegend mit Speiseresten. Die beiden Müllmänner haben sichtlich Mühe, sie überhaupt anzukippen, um sie mithilfe der Räder zum Müllwagen zu rollen. Volle Tonne ist nicht gleich volle Tonne.
Ein weiteres Problem: Mülltonnen, die nicht am Straßenrand stehen. Für die nächste Tonne muss Kummerlöw ein paar Meter auf ein Grundstück eilen. "Nächstes Mal bitte rausstellen", ruft er dem Gesicht hinter dem Fenster entgegen. Zum Diskutieren bleibt keine Zeit. "Da bin ich jetzt großzügig."
Es sind solche Kleinigkeiten, die sich Tonne für Tonne aufaddieren und den Müllladern ihren Job schwerer machen, als er ohnehin schon ist. Tonne falsch herum: zwei kräftezehrende Handgriffe mehr. Tonne hinterm Auto: zehn vollbepackte Schritte mehr bis zum LKW.
Dazu kommen Falschparker, die den Weg versperren. Oder ungeduldige bis rücksichtslose Auto- und Fahrradfahrer. "Man hat immer ein Auge auf der Straße", sagt der 37-jährige West. "Meinem Team vertraue ich, aber bei allen anderen weiß ich nie, wie reagieren die jetzt?"
Müllabfuhr ist gefährlich
Der 63-jährige Wohlgemuth ist kein Mann des Blickkontakts, zumindest nicht auf dem Fahrersitz. Seine Augen gehören den sechs Außenspiegeln und einem faustgroßen Bildschirm, der in verpixelter Qualität zeigt, was seine Mülllader hinter dem Fahrzeug treiben.
Wohlgemuth legt den Rückwärtsgang ein, tritt aber plötzlich auf die Bremse. Im Spiegel verschränkt ein Lader seine Arme zu einem X. Sekunden später fährt ein Radfahrer hinter dem Müllauto lang. "Den hätte ich als Fahrer jetzt nicht gesehen", sagt Wohlgemuth und setzt - unter dröhnendem Piepen des Müllautos - seine Rückwärtsfahrt aus der Sackgasse fort.
Wer wissen möchte, wie gefährlich der Job eines Müllmanns wirklich ist, kann statistische Wälzer wie das "Arbeitsunfallgeschehen 2023" der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung aufschlagen. Auf 1000 vollzeitbeschäftigte Müllmänner kommen pro Jahr 108 Arbeitsunfälle. Anders formuliert: Wer Müllmann ist, arbeitet verglichen mit allen Berufen in Deutschland unter der zweithöchsten Unfallquote.
In Verl, einem Nachbarort von Gütersloh, überrollt 2018 ein Müllauto einen Fußgänger. In Beverungen im Kreis Höxter stirbt 2023 ein Mülllader auf seinem Trittbrett, weil er zwischen Baum und rückwärtsfahrendem Müllauto eingequetscht wird. Im schleswig-holsteinischen Schnakenbek gerät ein paar Monate später ein junger Mülllader kopfüber in die Müllpresse und wird schwer verletzt, weil seine Kleidung an der Hebevorrichtung hängen blieb.
- Ebenfalls gefährlicher Job: Wie Straßenwärter tagtäglich ihr Leben riskieren
Auch die Gütersloher Müllmänner erreichen solche Unfälle. "Spätestens am nächsten Tag kommt dann der Chef und macht eine Versammlung", sagt West. Der Chef sagt dann: "Es ist mal wieder was passiert."
Fahrer Wohlgemuth hatte weitestgehend Glück. "Es ist bisher nichts Großes passiert", sagt er und geht im Kopf seine 25 Berufsjahre durch. Einmal hat er einen Fahrradfahrer touchiert. Ein anderes Mal ist er vom Trittbrett gefallen und auf den Asphalt gestürzt, weil er sich nicht ordentlich festgehalten hat. Sieben Wochen ist er damals krankgeschrieben, inklusive Aufenthalt im Krankenhaus.
Müllabfuhr macht Freude
Eigentlich schwingen sich die Gütersloher Müllmänner zum Schichtbeginn um 7 Uhr auf ihr Trittbrett. Die meisten sind aber schon eine Stunde vor Dienstbeginn auf dem Betriebshof der städtischen Kläranlage. Zwei spielen dort an diesem Morgen gegeneinander Backgammon. Die anderen sitzen teilweise schon vor ihrem zweiten Kaffee und plaudern. So viel Gefahr, Anstrengung und Stress - für ein Heißgetränk und Brettspiele?
Fast niemand hier hatte den Traum, einmal Müllmann zu werden. Sie sind arbeitslos gewordene Maurer, gescheiterte Malermeister oder Tischler, die nur aus väterlicher Tradition Tischler geworden sind.
"Das Geld kommt pünktlich", sagt Wohlgemuth. Nach 25 Jahren im Job bekomme er als Fahrer inzwischen 2.700 Euro netto. Auch die Arbeitszeiten gefallen ihm. "7 Uhr anfangen, 16 Uhr Feierabend, das finde ich gut. Schichtdienst ist nicht meine Welt." Und die Kollegen? "Ganz okay", sagt Wohlgemuth und lacht. So viel Lob, so wirkt es, das sollen die Kollegen bloß nicht hören.
"Bei einer Familie in Gütersloh kriegen wir jedes Mal Süßigkeiten", sagt Wohlgemuth. "Das ist eine Mutter mit drei Kindern, das finde ich sehr nett." Oder die Rentnerinnen, die im tiefen Winter mit Wasserkocher oder Spaten herbeieilen, um den festgefrorenen Müll zu lösen, der die Tonnen verstopft und für die Lader eine Qual ist.
Aber die schönsten Momente im Job eines Müllmanns? Da sind sich alle drei einig: Die Kinder, die ihnen tagtäglich begegnen. Auch an diesem Vormittag bremsen mehrere ihre Mütter aus, um die Männer in Orange zu bestaunen, verlegen zu lächeln oder mit ihren kleinen Händen zu winken. Kummerlöw und West nehmen sich dann eine Sekunde, winken zurück und sagen "Hallo", bevor das Trittbrett wieder ruft.