Seniorin steht an der Bushaltestelle in Paderborn

Warum eine Rentnerin aus Paderborn ihren Führerschein abgibt

Paderborn | Unterwegs

Stand: 04.06.2023, 19:55 Uhr

Immer wieder kommt die Frage auf, ob ältere Menschen ihren Führerschein abgeben sollen. Die 87-jährige Renate Jansen aus Paderborn hat es gemacht - freiwillig. Aber warum?

Von Steven Hartig

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Plötzlich ohne Auto

Zwei Euro kostet eine Fahrt normalerweise. Renate Jansen, die ihren echten Namen lieber nicht veröffentlichen möchte, darf einfach so mit, die nächsten sechs Monate lang. Trotzdem hat sie dafür bezahlt, und zwar auf ungewöhnliche Weise: mit ihrem Führerschein. Ende Dezember zieht Jansen ein letztes Mal den Zündschlüssel aus ihrem silbernen Ford Fiesta, den sie 22 Jahre gefahren ist. Einen Monat zuvor hatte sie einen Brief von der Versicherung bekommen. 400 Euro mehr für das kommende Jahr wollte man von ihr haben. "Das ist verrückt, das finde ich nicht verhältnismäßig."

Jansen ist daran aber nicht ganz unschuldig. "Ich habe mit meinem Auto immer so kleine Macken gemacht." Nichts Schlimmes, beteuert sie: "Das war immer auf Parkplätzen. Wenn irgendjemand vorbeifahren wollte, obwohl es eigentlich nicht mehr ging, dann habe ich Platz gemacht. Dabei habe ich nicht richtig aufgepasst und bin manchmal an ein Auto drangekommen." Dellen und dicke Kratzer, zehn Stück in den letzten Jahren, schätzt sie. Ohne den teuren Brief von der Versicherung wäre Jansen trotzdem noch ein Jahr weitergefahren – bis zum Ende der TÜV-Zulassung.

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Fahrtauglichkeitsuntersuchungen für Senioren?

So glimpflich wie bei Jansen geht es nicht immer aus. In Delbrück, nicht weit von Paderborn, hatte zuletzt im November ein 81-jähriger Autofahrer einer älteren Frau mehrere Knochen gebrochen. Beim Ausparken hatte er das Gas- und Bremspedal verwechselt. Nach solchen Fällen flammt immer wieder eine Frage auf: Sollten ältere Menschen zu Fahrtauglichkeitsuntersuchungen verdonnert werden? Es ist nicht so einfach, wie ein Blick in die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt. Im Jahr 2020 waren über 280.000 Autofahrerinnen und -fahrer in Unfälle verwickelt. Davon waren aber nur 15 Prozent über 65 Jahre alt, obwohl Senioren knapp 22 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Andererseits tragen ältere Menschen überproportional oft die Hauptschuld, falls es doch mal kracht, ab 75 Jahren sogar in drei von vier Fällen.

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Anreize statt Verpflichtungen

Immer mehr Regionen in NRW versuchen deshalb Anreize für Senioren zu schaffen, ihren Führerschein freiwillig abzugeben. Jansen ist eine von 280 Seniorinnen und Senioren aus den Kreisen Paderborn und Höxter, die in den letzten drei Jahren ihren Lappen getauscht haben gegen ein sechsmonatiges Nahverkehrs-Abo. Auch anderswo in NRW gibt es ähnliche Aktionen, zum Beispiel im Kreis Lippe und in Bonn. Die Idee: Die Straßen sicherer machen, ohne älteren Menschen ihre Mobilität wegzunehmen.

Seniorin wartet mit ihrem Rollator an einer Bushaltestelle

Renate Jansen hat sich schon auf Wartezeiten eingestellt

Jansen haut sich einmal beherzt gegen das linke Ohr. "Ab und zu setzt mein Hörgerät aus, ich muss gleich die Batterien tauschen", sagt sie. Körperlich habe sie sich aber bis zuletzt wohlgefühlt im Auto. Noch vor einigen Jahren sei sie bis nach Amsterdam gefahren, immerhin 325 Kilometer. "Ich konnte immer schnell reagieren, auch wenn ich alt bin." Die Unfälle auf dem Parkplatz? "Da habe ich wahrscheinlich zu schnell reagiert", sagt sie und grinst.

Führerscheinrückgabe: Hoffen auf das Deutschlandticket 

Größtenteils gleiche diese Führerscheinrückgabe bisher einem Mitnahmeeffekt, hört man aus der Kommunalpolitik. Auf das Auto verzichten für den Rest des Lebens, dafür sechs Monate kostenlos Bus und Bahn fahren – wirklich attraktiv ist das für die breite Masse noch nicht. Doch bis sich Fahrpreise und Abomodelle ändern, dauert es oft lange. Den Tarifdschungel entwirren, sich mit Bund und Ländern rumschlagen, Interessen von Stadt- und Kreispolitik, von kommunalen und privaten Unternehmen versöhnen. Dabei helfen könnte ab Mai das neue Deutschlandticket, hoffen viele.

Jansen würde sich freuen, wenn man ihr Ticket kostenlos verlängert. Aber viele ihrer Altersgenossen, die deutlich gebrechlicher sind – die trenne man von ihrem Auto nicht so einfach: "Wenn sie noch gut gehen können, sind Bus und Bahn eine gute Sache", sagt Jansen. "Wenn sie aber Probleme mit Knie und Hüfte, dann ist Autofahren die einzige Lösung, um mobil zu bleiben."

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Nur wenige machen Fahr-Fitness-Check

Bei einem Drittel aller Getöteten im Straßenverkehr handelt es sich um Senioren, die meisten von ihnen sterben als Pkw-Insassen. So zumindest die Zahlen in NRW für 2021. "Es ist ja toll, dass ältere Menschen mobil werden wollen und auch mobiler sind, aber es muss auch sicher sein", sorgt sich NRW-Innenminister Reul, als er im März vergangenen Jahres diese Zahlen vorstellt. Die Landesregierung setzt dafür auf Information, Freiwilligkeit und Fahreignungstests, heißt es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion. Zugespitzt: Auf die Hoffnung, dass ältere Menschen sich kritisch hinterfragen und selbst erkennen, wann sie das Auto besser stehen lassen. Die Bilanz dieser Strategie? Eher dürftig: Deutschlandweit, das zeigt eine Studie des Umweltbundesamts, nehmen Verfügbarkeit und Nutzung von Autos unter Älteren seit Jahren zu. Einen Fahr-Fitness-Check des ADAC haben im vergangenen Jahr nur 38 Menschen in Anspruch genommen – in ganz Ostwestfalen-Lippe.

Wenn es dir noch Spaß macht und du fährst gerne Auto, ist alles okay. Aber es gibt Leute, die haben Angst. Dann sollte man aufhören. Renate Jansen, 87

Doch was, wenn die Angst vor Bus und Bahn ähnlich groß ist? Viele Verkehrsunternehmen bieten Älteren extra ÖPNV-Schulungen an, um Berührungsängste abzubauen. Wie funktioniert Busfahren, wenn ich nicht mehr gut sehen oder hören kann? Wie kaufe ich ein Ticket – und welches? Wie steige ich im hektischen Busalltag sicher ein und aus?

Jansen kenne Ältere, die würden gerne umsteigen, trauen sich aber nicht, mit Rollator Bus zu fahren. Ärgerlich, für beide Seiten. Dazu wünscht sich Jansen mehr Informationen von Busunternehmen und von Fachgeschäften, die Rollatoren verkaufen. Sie selbst war mal in der Altenarbeit aktiv, nur dadurch kannte sie sich schon gut aus

Ob sie ihrem Auto nachtrauert, zumindest ein bisschen? Jansen schüttelt mit dem Kopf. "Ich kann auch gut loslassen, das muss man auch lernen im Alter." Einmal die Woche nehme eine Freundin sie aber noch im Auto mit zur Wassergymnastik. "Dann finde ich das wunderschön, dass ich in ein Auto einsteigen kann."