Tatjana Pannek über harte Sprache in der Bahn

Straßenbahnfahrerin über Duisburg: "Man sieht oft schon, ob es Ärger geben wird"

Duisburg | Unterwegs

Stand: 27.10.2023, 11:55 Uhr

Wenn Tatjana Pannek mit der Straßenbahn unterwegs ist, dann ganz vorne. Sie fährt die Züge durch Duisburg. Täglich transportiert sie tausende Fahrgäste. Immer öfter erlebt sie dabei beängstigende Situationen.

Von Frank Wolters

"Ich scanne immer, wer am Bahnsteig steht, wenn ich hinkomme. Man sieht oft schon, ob es Ärger geben wird." Tatjana Pannek hat sich einen besonderen Blick antrainiert. "Meistens wollen die Leute einfach nur schnell von A nach B. Und das ist mein Job, das ist ein klasse Job", sagt sie. Seit fünf Jahren fährt die 54-Jährige für die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) Straßenbahn.

Wenn der Ton richtig rau wird

00:34 Min. Verfügbar bis 27.10.2025

In ihrer Pause hat sie eine Stunde Zeit, um von ihren Erlebnissen zu erzählen. Mit Blick auf die Schienen am Bahnhof Waldfriedhof, ganz im Süden von Duisburg. "Hier ist es fast immer ruhig, muss an der Umgebung liegen", sagt Pannek.

Anderswo entlang der Straßenbahnstrecke ist das nicht so. Da wird sie öfters angepöbelt, angeschrien, beleidigt. "Ich bin einfach an allem schuld. Wenn die Bahn zu spät ist. Oder wenn einfach viele Leute drin sind. Zu warm, zu kalt, irgendwas ist immer. Früher haben die Leute schon mal gefragt, was los ist. Jetzt kaum noch."

Wie kann man nach einem Vorfall wieder runterkommen?

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Anfangs hat sich nur der Ton verändert. Rau und laut war er schon immer. "Das ist halt so in Duisburg, das gehört zum Ruhrpott, völlig ok. Aber immer öfter muss ich mir dann Schimpfworte anhören, die nicht ok sind", sagt sie. Sie zählt auf: "Dumme Kuh", "blöde Schlampe" – das seien noch die harmlosen Begriffe.

Übergriffe in Bus und Bahn häufen sich in Duisburg, sie reichen von verbalen Attacken über Randale und Zerstörungswut bis hin zu Körperverletzungen. Der bisher schlimmste Fall ereignete sich im September. Drei Jugendliche stiegen im Ortsteil Duisburg Walsum in einen Bus. Die Frage des Busfahrers nach den Fahrkarten, ließ die drei jungen Männer ausrasten. Sie zerrten den Busfahrer aus dem Sitz, hinaus aus dem Bus auf die Straße und prügelten ihn krankenhausreif. Die mutmaßlichen Täter wurden inzwischen von der Polizei ermittelt.

Vorfälle in Bus und Bahn nehmen zu

Allein in Duisburg gab es 2022 mehr als 830 Vorfälle in Bus und Bahn, im ersten Quartal dieses Jahres schon 230. Das sei ein landesweiter Trend, heißt es bei der Polizei. Rund ein Drittel mehr angezeigte Fälle als im Vorjahr gibt es. Gut die Hälfte dieser Vorfälle sind Türaufrisse während der Fahrt, das gilt als gefährlicher Eingriff in den Straßen- oder Schienenverkehr. Der Rest: Sachbeschädigung, Graffiti, Beschießen mit Feuerwerkskörpern, Verunreinigung wie etwa das Urinieren in die Bahn und eben Angriffe auf das Personal.

Inzwischen, sagt Pannek, habe sie sich ein dickes Fell zugelegt. Denn normalerweise ist sie ein fröhlicher, unerschütterlicher Typ. Auch während sie beschreibt, was sie alles erlebt, lacht sie viel. Aber immer öfter vergeht sogar ihr das Lachen. Sie erinnert sich genau an den Tag, als sie das erste Mal nicht nur bedroht wurde.

Fahrgast spuckte Straßenbahnfahrerin an

"Das war noch während Corona. Maskenpflicht in der Bahn, da hab ich tausend Mal am Tag Leute drauf hinweisen müssen. Einmal auch einen Mann, recht groß und unglaublich aggressiv", so fing es an.

"Der fing sofort an zu brüllen, ich hätte ihm gar nichts zu sagen. Und kam immer näher. Da hab ich gesagt, ich hol jetzt die Polizei. Hab mich langsam umgedreht, und dann hat der mich so richtig mit Anlauf voll gespuckt. Das lief mir über den Kopf, durch die Haare und den Nacken runter."

Tatjana Pannek blickt auf eine Straßenbahn

Tatjana Pannek versucht, schlechte Erlebnisse nicht mit nach Hause zu nehmen

Spontan versucht sie noch, den Mann festzuhalten. Bittet Fahrgäste um Hilfe. Aber es geht dann doch alles sehr schnell. Der Mann steigt aus und läuft weg. Kurz denkt sie darüber nach, sich ablösen zu lassen. "Aber das wollte ich den Leuten nicht antun, das hätte lange gedauert, und auf der Strecke wären ja daraufhin alle anderen auch verspätet gewesen." Also klettert sie wieder auf ihren Fahrersitz und fährt weiter. Bis zur Endhaltestelle und dann ins Depot. "Da hab ich dann den Schlüssel auf den Tisch geknallt und gesagt, ich komm‘ morgen nicht mehr."

Manchmal ist Eingreifen sinnlos

Warum ist sie doch am Tag nach der Attacke wieder gefahren? "Wir fahren so viele Leute, da sind das doch immer noch Ausnahmen", sagt Pannek. Aber sie kennt auch Kollegen, die nach so einem Erlebnis nicht mehr ohne Angst fahren können. "Angst habe ich eigentlich nicht. Dann könnte ich das ja gar nicht mehr machen. Ich muss mich ja auf das Fahren konzentrieren, ich habe Verantwortung", fasst sie zusammen.

Wie schützt sich Tatjana Pannek gegen Übergriffe?

00:54 Min. Verfügbar bis 27.10.2025

Dabei hilft auch das Deeskalationstraining, das die DVG zusammen mit der Polizei veranstaltet. Da lernen Fahrer und Fahrerinnen zum Beispiel, welche Wortwahl wann angebracht ist. Und wie sie sich fest hinstellen, damit sie nicht umgeschubst werden können. "Ganz wichtig ist immer, Leute direkt anzusprechen: 'Sie da im roten Hemd, rufen sie bitte die Polizei. Ach, junge Frau, gut, dass sie das alles filmen'".

Pannek hat aber auch gelernt, wann Eingreifen sinnlos ist. "Hatte ich auch schon: Wenn da eine ganze Gruppe von 10, 20 Jugendlichen reinkommt, und einfach alles kaputt macht. Notbremsen ziehen die dann, reißen alle Türen auf, werfen mit Bierflaschen." Dann ruft sie per Funk sofort die Polizei. "Und die sind immer echt schnell da", sagt Pannek.

Tatjana Pannek lässt sich den Job nicht vermiesen

Sie versucht, die Erlebnisse nicht mit nach Hause in den Feierabend zu nehmen. Sondern sich an die schönen Begegnungen des Tages zu erinnern. "Wenn die Leute sich gegenseitig helfen beim Einsteigen mit Kinderwagen oder Rollator zum Beispiel. Dauert dann zwar etwas länger, aber das warte ich dann gerne ab." Bei langen Spaziergängen rund um die Sechs-Seen-Platte in Duisburg Wedau kann sie entspannen und abschalten.

"Das hört sich so viel an, wenn ich es alles auf einmal erzähle. Aber wenn ich überlege, wie viele Fahrten ich pro Woche mache, dann sind die allermeisten Fahrten total ereignislos", meint sie. Und: "Ich lasse mir das Straßenbahnfahren halt nicht vermiesen. Dazu mache ich das echt zu gerne." Eine kleine Bitte hat sie doch: "Wenn Sie in einen Bus oder eine Bahn steigen, lächeln Sie uns Fahrer doch einfach mal an."

Über dieses Thema haben wir auch am 18.10.2023 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.