Ludwig Schürholz geht zielstrebig auf den Renault ZOE zu, der vor seinem Haus parkt. Der Rentner steigt aber nicht direkt ein, sondern nimmt erst sein Handy in die Hand. Mit einer App anstatt einem Schlüssel öffnet er das Auto. Nun noch das Stromkabel abziehen, in den Kofferraum damit und dann kann es losgehen. Geräuschlos und emissionsfrei - während seine Frau mit dem Erstwagen bei der Arbeit ist.
Schürholz ist Teil eines Nachbarschaftsprojekts in Borken. Ziel des Projekts "Nachbarschaftliches Carsharing in Wohngebieten" ist es, die Quote an Zweit- und Drittautos im ländlichen Raum zu senken. Wie das geht? Indem man eine Lösung findet, die den persönlichen Komfort kaum einschränkt, sagt Linn Westermann, Koordinatorin des Projekts.
"Wir wollen direkt da ansetzen, wo die Mobilität entsteht, direkt vor der Haustür. Wir wollen eben nicht, dass die Leute noch mit dem Fahrrad irgendwo hin müssen. Dann entsteht doch schnell der Wunsch nach einem Zweitwagen."
Jeder dritte Haushalt besitzt Zweitwagen
Eine Mobilitätsbefragung im Kreis Borken aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass jeder dritte Haushalt einen Zweitwagen besitzt. Haushalte mit Kindern verfügen am häufigsten über zwei Autos. Sieben Prozent der Haushalte besitzen sogar ein drittes Auto.
Meistens werden die Zweitwagen zum Einkaufen oder für den Transportdienst der Kinder benutzt, ergab die Befragung. Das Erstauto ist dagegen für den Weg zur Arbeit im Einsatz ist. Zweitwagen stehen also die meiste Zeit.
Das Problem im ländlichen Raum
Anders als in großen nordrhein-westfälischen Städten gibt es in kleineren Städten häufig Carsharing-Autos nur an bestimmten Sammelplätzen. Überall einfach abstellen, undenkbar in Städten wie Borken, wo die Autos am Rathaus stehen.
Das lockt niemandem hervor, erklärt Schürholz vom Nachbarschaftsprojekt: "Ich müsste mit dem Fahrrad zum Rathaus. Wagen nach hierhin holen, etwas einladen, dann wegfahren, dann den Wagen wieder zum Rathaus bringen und mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Das ist einfach zu aufwendig und zu langwierig."
Auch Familie Ahler macht mit. Raphaela Ahler hat den Job gewechselt und ist nun für den Arbeitsweg auf das Familienauto angewiesen. Bislang kamen sie ohne Zweitauto aus, aber die Möglichkeit jetzt eines zu haben, gefällt Markus Ahler:
"Da unsere Kinder immer mehr Hobbys haben, ist es jetzt praktisch, sie zum Beispiel zum Schwimmen fahren zu können, auch wenn meine Frau noch unterwegs ist."
Zudem will Familie Ahler E-Mobilität und Carsharing unterstützen. "Mich stört, dass die ganzen Pkw hier alle rumstehen", sagt der Familienvater, "wir brauchen halt nur bei Gelegenheit einen zweiten Wagen. Den haben wir ja jetzt."
Projekt läuft nun ein Jahr
Zehn Nachbarschaften wurden für das Projekt ausgewählt. Jeweils zwei in Bocholt, Borken, Isselburg, Rhede und Velen. Nach der Installation der Lade-Infrastruktur und einer technischen Einweisung konnte es im Dezember los gehen. Ein Jahr läuft das Pilotprojekt nun.
Linn Westermann setzt auch darauf, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer andere Menschen von der Idee des Carsharings überzeugen. "Denn viele kennen das gar nicht. Wissen nicht, wie das funktioniert und haben Vorurteile. Vielleicht auch Angst und wollen das gar nicht ausprobieren. Und wir wollen versuchen, dass die Leute E-Carsharing ausprobieren wollen."
Rechnung geht auf
Schürholz hat alles durchgerechnet. Schon vor Beginn des Pilotprojekts hat der Rentner sein Zweitauto verkauft. Dafür, dass er es nur hin und wieder gefahren ist, waren ihm 150 Euro im Monat - ohne Spritkosten - zu viel. "Ich komme hier mit dem Leihwagen deutlich günstiger weg", so Schürholz.
Was Schürholz besonders freut: Er hat keinen Stress mehr mit der Instandhaltung des Wagen. Kein Reifenwechseln mehr. Keine Inspektion mehr. Und fürs Saubermachen ist er auch nicht mehr zuständig. Das übernimmt der Carsharinganbieter. Schürholz' Fazit - schon jetzt: "Das Projekt muss verlängert werden."
Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR-Fernsehen am 10.03.2023: Lokalzeit aus Münster, 19:30 Uhr.