Die ältere Dame kniet auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten. Handwerker Thorsten Leimbach ist nicht zimperlich mit ihr. Es sieht aus wie eine Bandscheiben-OP auf offener Straße. Leimbach bohrt der Frau mit voller Kraft in den Rücken.
Gut, dass Betonskulpturen keinen Schmerz fühlen. Und die Mini-Operation hat ja auch einen Sinn - die Dame soll auf einer Bank in der Hohen Rheinstraße befestigt werden.
Hier, im Süden von Rees, sitzen beziehungsweise stehen sechs Figuren. "Alltagsmenschen". Ziemlich groß, ziemlich beleibt, aber in ihrem Aussehen eben auch total gewöhnlich. Rund 50 Skulpturen sind über die ganze Stadt verteilt. Drei Monate lang sind sie hier zu sehen, bis Ende Juni.
Die Idee dazu hatte das Mutter-Tochter-Duo Christel und Laura Lechner. Sie bezeichnen ihre Outdoor-Ausstellung als "künstlerische Inszenierung des Alltäglichen". Die Künstlerinnen wollen das Leben in Reinform zeigen - ohne Filter, ohne Spezialeffekte, aber trotzdem nicht banal. Man darf die Skulpturen auch anfassen.
"Wie ein kleines Stück Heimat"
Die Figuren kommen ganz schön herum. Dieses Jahr waren sie unter anderem schon auf Sylt und in Fulda. "Sie wirken an jedem Platz anders", sagt Christel Lechner. Lechner sieht Parallelen zum eigenen Charakter und dem ihrer Tochter. "Natürlich hat es damit zu tun, dass wir selber die Gelassenheit haben, die diese Figuren ausstrahlen. Dass wir dieses Positive beide in die Arbeit einfließen lassen und wichtig finden."
Rees statten sie zum zweiten Mal nach 2016 einen Besuch ab. "Es ist wunderbar, wenn man schon mal hier war und die Plätze auch kennt. Es ist wie ein kleines Stück Heimat", sagt die gebürtige Wittenerin.
Zurück in der Hohen Rheinstraße, wo auch Ludger Dahmen wohnt. Er hat seine Bank vor dem Haus für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Auf der rechten Seite sitzt jetzt eine Beton-Frau mit hellblauem Kleid und dunkelblauen Gummistiefeln.
"Die Figuren passen sehr gut in unsere Straße. Wir sind ja einer der ältesten Straßen in der Stadt Rees. Und insofern kann auch mal eine jüngere Dame in unsere Straße kommen", sagt Dahmen. "Auf der Bank ist noch ein Plätzchen für mich frei. Ich werde gerne neben ihr Platz nehmen."
Figuren kommen gut in Rees an
In den Gassen immer wieder das gleiche Bild: Passanten kommen an den Figuren vorbei, bleiben stehen. Manche machen Fotos, imitieren die Gesten der Figuren. Passantin Heike hat die "Alltagsmenschen" schon in anderen Städten besucht und ist froh, dass sie jetzt wieder in Rees Halt machen.
Die Reeserinnen und Reeser fühlen sich als Teil des Projekts. Die Beziehung zur Ausstellung ist auch so hoch, weil zehn Figuren dauerhaft in der Stadt stehen. 2016 seien über 100.000 Leute nur wegen der Ausstellung nach Rees gekommen, sagt ein Pärchen.
Auch die Stadtverwaltung ist froh. Die Figuren brächten Lebensfreude in die Stadt, heißt es. Auch die Gastronomie und der Handel profitierten davon.
Für das Künstlerduo Christel und Laura Lechner bleibt trotzdem das In-Kontakt-Kommen das Wichtigste. Laura Lechner sagt: "Wenn man direkt mitbekommt, dass die Leute so nah an die Figuren rangehen, sie in den Arm nehmen und sich damit fotografieren, das ist einfach super."
Über dieses Thema haben wir am 30.03.2023 auch im WDR-Fernsehen: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.