Norman von der Weydt tastet sich mit seinem Blindenstock durch den Duisburger Zoo. Um seinen Hals hängt eine Kamera. Ab und zu bleibt er stehen, schaut durch den Sucher und dreht am Objektiv. Einige Besucher sind irritiert. Ein blinder Fotograf? Wie geht das?
Seit seiner Geburt hat von der Weydt eine Sehkraft von weit unter einem Prozent. Gesetzlich gilt er damit als blind. Eigentlich ist er es aber nur fast.
Der 29-Jährige befindet sich ständig im Makromodus, wie er sagt. Alles hinter dem ersten Zentimeter vor seinem Auge ist "bunte Matsche". Mit der Kamera durchbricht er den Nebel vor seinem Auge, die bunte Matsche bekommt Konturen.
"Ich habe das Gefühl, richtig sehen zu können"
Vor sieben Jahren begann von der Weydt zu fotografieren. "Am liebsten fotografiere ich Flora und Fauna, weil ich mich dabei der Natur verbunden fühle." Dafür ist er in den verschiedenen Zoos im Ruhrgebiet unterwegs. Für den 29-Jährigen ist die Fotografie mehr als ein Hobby: "Die Fotos sind zwar immer nur eine Momentaufnahme. Aber wenn ich meine Bilder sichte, habe ich das Gefühl, richtig sehen zu können."
Der Zoom und der Autofokus dienen als "Fernrohr, um Distanzen zu überwinden". Die Kamera ersetzt das, was seine Augen nicht leisten können: Fokussieren, entfernte Objekte "heranholen" und scharfstellen.
"Meine Augen haben nie gelernt, richtig zu sehen und das werden sie auch nicht mehr. Das liegt an der Schwäche des Sehnervs." Von der Weydts Augen sind durchgehend in Bewegung, im Fachjargon heißt das "Nystagmus". Der Nystagmus sei ein Versuch seiner Augen, "ein scharfes Bild zu erzwingen. Das funktioniert aber nicht, deswegen hören meine Augen auch nie damit auf. Das ist über den Tag sehr anstrengend."
Was ist "Nystagmus"?
Wenn sich die Augen im gleichen Rhythmus, jedoch unkontrollierbar in kurzen Zuckungen oder Pendelbewegungen hin und her bewegen, spricht man von Nystagmus, der auch mit "Augenzittern" übersetzt werden kann. Die Augen finden keinen festen Halt und somit wird die Sehschärfe nie voll erreicht. Das Augenzittern kann angeboren, aber auch Hinweis auf eine neurologische Störung oder Stoffwechselerkrankung sein.
Kontraste, Umrisse, Konturen und Farben
Von der Weydt hat im Laufe seines Lebens gelernt, mit der Blindheit umzugehen. Autofahren darf er nicht, weshalb er viel mit Bus und Bahn unterwegs ist. Er hat erfolgreich eine Ausbildung zum Koch absolviert. Farbige Kleidung, farbige Messer, ein erhöhtes Schneidebrett - all das hilft ihm auch heute noch, sich in der Küche zurechtzufinden. Er arbeitet mit Kontrasten, Umrissen, Konturen und Farben. Bei der Fotografie funktioniert das ebenfalls.
Fotogalerie: Die Bilder des blinden Fotografen
Ein Lemur zeigt dezent den Mittelfinger in die Kamera
Bild 1 / 6
Oft geht von der Weydt von einer Zoo-Tour mit 2.000 bis 3.000 Bildern nach Hause. "70 Prozent davon sind Schrott, weil der Fokus unscharf war oder die Kamera den Rasen hinter dem Tier fokussiert hat. Ich picke dann die Rosinen raus." Anschließend bearbeitet er die Bilder nachträglich am Computer, wieder im Makromodus, einen Zentimeter vom Bildschirm entfernt.
Er retuschiert, hellt zu dunkel geratene Bilder auf und sättigt Farben. Die bearbeiteten Fotos lädt er in Foto-Communitys hoch, verkauft sie oder schmückt damit seine Wohnung.
Depressive Phasen überwinden
Blindheit und Fotografie - für von der Weydt schließt sich das nicht aus. "Ich hatte 29 Jahre Zeit, mich damit zurechtzufinden. Natürlich gibt es depressive Phasen, aber die überwinde ich recht schnell. Mich darüber beschweren und heulend in der Ecke sitzen, das ist für mich keine Option." Von der Weydt hat sich von nichts und niemandem Steine in den Weg legen lassen. Sein Ratschlag: "Macht euer Ding, wenn ihr für irgendetwas brennt."
Über dieses Thema haben wir am 22.11.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.