Mitten auf dem wuseligen Jahnplatz startet Eric Huy seine Tour durch die Bielefelder City. Auf einer Bank schnallt er sich eine kleine Actionkamera vor die Brust, dann schaltet er seinen Fotoapparat ein, überprüft kurz die Einstellungen und schlendert los.
In der Menge lässt er sich treiben, immer mit einem wachsamen Blick für die Menschen in seiner Umgebung. Passanten, die ihm entgegenkommen, Wohnungslose in den Hauseingängen, Straßenkehrer oder Polizisten: Huy möchte Menschen in ganz normalen Alltagssituationen zeigen – spontan und unverfälscht.
Auf der Suche nach dem Besonderen
"Ich kann gar nicht genau sagen, was es ist, dass mein Interesse an einer bestimmten Person weckt. Manchmal ist es der Kleidungsstil, manchmal besondere Gesichtszüge oder einfach ein Mensch, der seiner Arbeit nachgeht. Der kaum wahrgenommen wird, weil er bei einem Sicherheitsdienst arbeitet oder Müll aufsammelt", so der 25-Jährige. Das Faszinierende an der Streetstyle-Fotografie sei für ihn vor allem, dass sie dabei helfe, Vorurteile abzubauen: "Du siehst Menschen immer erst mal nur optisch und erst, wenn du sie ansprichst, merkst du, wie sie ticken. Dabei wird man immer wieder überrascht."
Auf seiner Tour durch Bielefeld hat Huy eine Kellnerin entdeckt. Die junge Frau trägt ihre Haare geflochten, in einem knalligen Rot-Ton. Für den Streetstyle-Fotografen ein Model aus dem Alltag, genau richtig für die Fotos, die er machen möchte. Er schaltet seine Videokamera ein, die die Begegnung aufzeichnen soll, und läuft zielstrebig auf die Kellnerin zu:
Sichtlich geschmeichelt fragt die Frau, wofür das denn sei. "Instagram und Tiktok" heißt die Antwort und tatsächlich darf Huy ein paar Fotos schießen. Bereitwillig posiert die Kellnerin von vorne, im Profil, mit Blick nach oben. Nicht einmal eine Minute dauert das kurze Fotoshooting.
"Natürlich kassiere ich manchmal auch Absagen", räumt Huy ein, "aber ich finde immer genug Leute, die gerne mitmachen."
Videos werden millionenfach geschaut
Die Fanbase von Eric Huy wächst schnell. Angefangen hat er vor einem Jahr auf Tiktok, inspiriert von einem sehr erfolgreichen Streetstyle-Fotografen aus den USA, dann kam Instagram dazu. Das Fotografieren hat sich der gelernte Rettungssanitäter komplett selbst beigebracht. Seine Kanäle heißen "huy_graphy" und haben mittlerweile insgesamt 68.000 Follower. Mit am meisten geklickt wurde ein Video mit den Fotos von Jan, dem Wohnungslosen, der seit vielen Jahren in der Bielefelder Einkaufszone Geld sammelt. Der Post hat über 1,3 Millionen Aufrufe.
Und der Kontakt bleibt bestehen: Jedes Mal, wenn Eric in Bielefeld unterwegs ist, begrüßt er Jan. Ein kurzer Schnack und Jan erzählt begeistert, dass ihn viele Leute auf das Tiktok-Video ansprechen. Gerne stecken sie ihm etwas Geld zu, weil sie ihn von Erics Social-Media-Kanälen kennen. Für den Streetstyle-Fotografen ein "Riesen-Geschenk", dass er dem wohnungslosen Mann ein bisschen helfen konnte.
Vom "Stubenhocker" zum Menschenfreund
Wer Eric Huy heute bei seinen Foto-Touren durch die Stadt erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass der 25-Jährige früher sehr schüchtern war und ganz zurückgezogen lebte. "Ich war ein Stubenhocker, habe FIFA gezockt und war kaum mit echten Menschen in Kontakt", sagt er. "Erst, als ich meine Ausbildung als Rettungssanitäter begonnen habe, bin ich ganz langsam aus meiner Komfortzone herausgekommen. Und auch als Fußballtorwart habe ich angefangen, etwas offener zu sein."
Die Karriere im Amateurfußball musste Eric wegen einer Verletzung aufgeben. Umso glücklicher ist er über sein neues Hobby als Streetstyle-Fotograf: "Ich bin echt dankbar, dass ich diese Leidenschaft entdeckt habe! Es hilft mir ungemein und hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Offen und zugewandt."
Über dieses Thema berichten wir auch am 16.11.2023 im WDR Fernsehen: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.