Der Couchtisch von Fynn Guba ist bedeckt mit Schwarz-Weiß-Fotos. Auf einem Bild ist das Gesicht eines Säuglings zu sehen, die Augen sind geschlossen, um den Kopf herum liegen Kuscheltiere. Auf einem anderen Foto ist ein winziger Fuß zu sehen, wieder ein anderes zeigt ein Baby im Arm seiner Eltern. "Auch nach mehreren Jahren und nach mehreren Einsätzen ist man immer wieder nervös", sagt Guba. Er sitzt in seinem Wohnzimmer auf einer schwarzen Ledercouch und blickt auf die ausgebreiteten Fotos vor sich. All diese Bilder hat er von verstorbenen Kindern gemacht.
Guba blickt auf seinen Laptop, der ebenfalls auf dem Couchtisch steht. Er hat ein Programm für Bildbearbeitung geöffnet. Das Foto, an dem er gerade arbeitet, zeigt eine Hand, die einen Babyfuß berührt. Mit ein paar Klicks verschiebt er kleine Regler und verändert die Bildwerte so lange, bis er mit dem Ergebnis zufrieden ist. Der 27-Jährige lebt in Goch und arbeitet eigentlich als Kinderpfleger auf einer Frühchen-Station. Fotografie ist schon lange sein Hobby.
Gegen die Hilflosigkeit
Dann erlebt Guba zum ersten Mal, wie ein Kind auf seiner Station stirbt. "Man möchte irgendwas tun für diese Eltern", sagt er. "So machtlos und hilflos zu sein, kann ich mit mir selber nicht vereinbaren." Die Situation beschäftigt ihn. Und er wird auf die Organisation "Dein Sternenkind" aufmerksam. Hunderte Fotografen und Fotografinnen aus ganz Deutschland sind Teil dieses Projekts. Sie fotografieren ehrenamtlich sogenannte Sternenkinder. Das sind Kinder, die kurz vor oder nach der Geburt sterben.
An diesem Tag bekommt Guba Besuch von Familie Szyszlo. Er hat sie an dem Tag begleitet, als der neun Monate alte Leon gestorben ist. Seitdem ist einige Zeit vergangen. Kathrin und Adam Szyszlo kommen zusammen mit ihrer Tochter zum Kaffeetrinken vorbei. Am Tisch schauen sie sich Bilder von Leon an.
Immer auf Abruf
Fynn Guba fragt die Eltern, wie sie mit seinen Bildern umgegangen sind. "Manchmal kann man sie sich ansehen, manchmal nicht. Aber ich finde es wichtig, dass ich diese Bilder habe", sagt Kathrin Szyszlo. Ihr Mann fügt hinzu: "Das ist Leon an seinem letzten Tag. Ich denke, psychologisch sind die Bilder für Betroffene sehr wichtig. Einfach um gewisse Phasen zu überwinden." Guba bestärken solche Worte in seiner Arbeit.
Mittlerweile engagiert sich Guba seit mehr als drei Jahren. Er ist immer erreichbar. Tag und Nacht. Eine App auf seinem Smartphone benachrichtigt ihn, wenn er in einem Umkreis von 100 Kilometern rund um Goch gebraucht wird. Dann muss es sehr schnell gehen: Kameratasche packen und ab ins Krankenhaus.
Auf dem Weg dorthin ist Guba immer noch aufgeregt. Er spricht von einer Gradwanderung zwischen Professionalität und Mitgefühl: "Das Wichtigste ist, die Würde des Kindes zu bewahren. Aber natürlich vergisst man seine emotionale Seite nicht. Es laufen schon auch bei mir Tränen."
Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR-Fernsehen am 17.04.2023: Lokalzeit Duisburg, 19.30 Uhr.