Der erste Weinhof am Niederrhein

00:20 Min. Verfügbar bis 09.10.2026

"Wein ist Emotion": Wie der Niederrhein zur Weinregion werden soll

Kleve | Landwirtschaft

Stand: 09.10.2024, 07:42 Uhr

Mais, Kartoffeln oder Weizen ernten die Bauern auf den Feldern am Niederrhein schon lange. Aber Wein? Bisher eher nicht. Gianluca Antoniazzi aus Geldern will das ändern. Er ist der erste Winzer am Niederrhein. Wie er mit Emotionen und Visionen die ganze Region mit seiner Idee anstecken will.

Von Chadia Hamade

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Der erste Weinanbau am Niederrhein

Tausende Weinreben stehen säuberlich nebeneinander, Reihe für Reihe. Der Abstand ist immer gleich. Mal tragen sie rote, mal weiße Trauben. Der leichte Frühnebel mischt sich mit der aufgehenden Sonne und lässt die Reben in einem grellen Grün erstrahlen. Es wirkt wie ein Bild aus Italien oder aus Spanien. Zumindest aber irgendwo zwischen Hessischer Bergstraße und Baden, den bekannten Adressen für Weinanbau in Deutschland.

Es ist allerdings Nordrhein-Westfalen. Genauer: Geldern am Niederrhein, direkt an der deutsch-niederländischen Grenze, am Rande einer Landstraße. Hier betreibt Gianluca Antoniazzi Weinanbau im Flachland. Mit seinem schmalen Trecker tuckert er an einem Sonntagmorgen zwischen den Weinreben her. Das Gefährt passt gerade so durch. Seine Familie und seine Freunde beladen es mit roten Kisten. Jede randvoll mit kleinen, weißen, reifen Trauben.

Erntehelfer laden frisch gelesene Weintrauben in roten Kisten auf einen kleinen Trecker.

Der zweite Jahrgang bereit zum Abtransport: Weinlese ist Teamarbeit

"Jetzt bin ich hier am Niederrhein der erste, der Wein anbaut", erzählt er, während er sorgfältig Traube für Traube aus dem Rebstock schneidet. "In ein paar Jahren sähe das schon anders aus. Dann wäre ich vielleicht der Fünfte oder der Siebte." Der 34-Jährige ist stolzer Vorreiter in einer Region, die bisher wohl niemand mit Weinanbau in Verbindung bringen würde. Noch nicht. "Wir können jetzt hier die nächsten 50 Jahre Geschichte schreiben und unsere Kinder werden mit dem Anblick von Weinstöcken aufwachsen."

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Wie NRW langsam zum Weinland wird

Am Niederrhein ist Antoniazzi also ganz vorne. Ganz leer ist die NRW-Weinkarte aber nicht. Mittlerweile sind im Land laut NRW-Landwirtschaftsministerium rund 30 Weinerzeuger aktiv. Im Siegerland und Dortmund zum Beispiel. Vor ein paar Jahren waren es gerade einmal vier Weinerzeuger in NRW.

Doch die Zeiten haben sich geändert: Seit 2016 dürfen Weinreben nach EU-Recht auch außerhalb der traditionell anerkannten Anbaugebiete angepflanzt werden. Mit entsprechender Genehmigung. Seitdem wachsen die Flächen mit Weinanbau in NRW Jahr für Jahr. Winzer Antoniazzi hat in Geldern 2,4 Hektar Fläche und ein paar Orte weiter, in Sonsbeck, noch einmal fast einen Hektar.

Antoniazzi ist studierter Winzer und Önologe, also auf die Produktion von Wein und das Kellereiwesen spezialisiert. Die Wurzeln seines Vaters liegen in Italien. Dort hat er sich den Weinanbau genau angeguckt, auch in Neuseeland war er. Der Winzer hat gelernt, dass die Geschichte des Weines immer mit dem Boden, dem Klima und vor allem den Menschen des jeweiligen Gebietes tief verbunden ist. Und, dass ihm auch sein Heimatland NRW gute Voraussetzungen liefert. Auch, wenn es am Niederrhein keine Weinberge gibt.

Gianluca Antoniazzi erklärt, warum der Niederrhein eine gute Weinregion ist

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"Ich würde mir wünschen, dass hier am Niederrhein mehr und mehr Winzer Wein anbauen. Meine Idee wäre auch ein Weinanbauverband Niederrhein, um hier eine Infrastruktur zu schaffen, wie es sie auch in anderen Weinanbaugebieten gibt", sagt Antoniazzi und gießt langsam einen Rosé Cuvée aus seinem 2023er-Jahrgang für eine kleine Weinprobe ein. "Wenn mir hier was am Trecker kaputtgeht, fahre ich 300 Kilometer für Ersatzteile. Das ist nur eines von vielen Beispielen."

Nun widmet sich Antoniazzi aber erst einmal seinem 2024er-Jahrgang. Auf einem ehemaligen Bauernhof, ein paar Kilometer von seinen Weinstöcken entfernt, presst und keltert er seine Weine. Auf dem Bauernhof wurden früher Joghurt und Quark produziert. Jetzt reifen dort die weißen und roten Weine in dicken silbernen Weintanks. So werden die landwirtschaftlichen Räume und Flächen weiter genutzt.

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Wein braucht Kontrolle, Balance und Zauberei

Aus 1000 Kilogramm Trauben bekommt der Winzer vom Niederrhein etwa 800 Liter Wein. "Der regenreiche Mai und Juni hat die Menge der Trauben zwar etwas reduziert, aber der Qualität nichts anhaben können - so ist das in der Landwirtschaft", erzählt er.

Die Rebstöcke in Geldern kommen von einem zertifizierten Züchter aus der Pfalz. Sie sind sogenannte "Piwis", eine Abkürzung für pilzwiderstandsfähige Sorten. Aus jeweils drei weißen und drei roten Traubensorten stellt Antoniazzi seine Jahrgänge her.

2023 konnte Antoniazzi das erste Mal ernten. Über 5000 Flaschen hat sein erster Jahrgang ergeben. Die Kunden bezahlen 15 bis 20 Euro pro Flasche. Antoniazzi verkauft seinen Wein vom Niederrhein in seinem kleinen Laden in Geldern und auch im Internet.

Die Weinlese 2024 ist für Antoniazzi durch. Damit beginnt "die Zauberei", wie er es nennt. Die entstehenden Weine werden nun täglich kontrolliert. Auf Zucker, Säure, pH-Wert und Hefe, um den Wein in Balance zu bringen. Im Gesicht des Winzers ist große Freude erkennbar. Mit der konnte er seine Frau Christina, seine Familie und seine Freunde schon längst von der Idee des niederrheinischen Weins überzeugen.

Christina Antoniazzi spricht über die Leidenschaft ihres Mannes

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Eine Leidenschaft, die man Antoniazzi durchgängig anmerkt. "Wein ist Emotion", sagt er, "und vergleicht man eine auf 25 Jahre angelegte Weinrebe mit einem Menschen, ist sie im Laufe des Lebens zwar weniger ertragreich, dafür aber von umso höherer Qualität." Dann probiert er den Most, den noch unvergorenen Traubensaft, seines weißen 2024er Muscaris. Der schlummert schon seit der ersten Weinlese vor ein paar Tagen im Tank. Und mit einem breiten Lächeln spricht er über die exotischen Aromen mit etwas Litschi.

Über dieses Thema haben wir auch am 23.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.